„Alle Kinder bleiben hier“

seemoz-allekinderbleibenhierIn der Konstanzer Öffentlichkeit sind die Abschiebungen – Nacht- und Nebelaktionen Anfang des Jahres – kaum registriert worden. Dennoch engagieren sich immer mehr Menschen dieser Stadt im „Aktionsbündnis Abschiebestopp Konstanz“. seemoz sprach mit Susanne Scheiter, einer der Bündnis-SprecherInnen, über die Probleme der Asylsuchenden, über die Angst vor Abschiebung und die Möglichkeiten zur Gegenwehr

Vorige Woche hat das Aktionsbündnis eine neue Kampagne gestartet: „Alle Kinder bleiben hier“. Ihr konzentriert Euch damit auf Kinder aus Roma-Familien, die in Konstanz leben. Warum diese Einschränkung? Sind nicht auch andere von Abschiebung bedroht?

Natürlich sind auch andere Kinder, Familien und Einzelpersonen von Abschiebungen bedroht. Allerdings sind Romafamilien aufgrund des am 1. März ausgelaufenen Winterabschiebestopps für Roma aus dem Kosovo, Mazedonien und Serbien jetzt besonders von der Abschiebung bedroht. Es ist zu vermuten, dass die ausgesetzten Abschiebungen nun im Frühjahr nachgeholt werden und die Kinder und Familien in ihre Heimatländer abgeschoben werden sollen. Dort droht ihnen aber auch jetzt noch massive rassistische Diskriminierung, und fast immer bedeutet eine Abschiebung den Weg in die Obdachlosigkeit sowie völlige Perspektivlosigkeit, ja Elend…

…zumal die Berliner Regierung weitere Verschärfungen plant…

…auch auf Grund der bereits angekündigten Gesetzesänderung der Bundesregierung, die plant, die Länder Bosnien und Herzegowina, Mazedonien, Serbien, Albanien und Montenegro als sogenannte „Sichere Herkunftsstaaten“ anzuerkennen, sind Abschiebungen in vorauseilendem Gehorsam der Behörden ernsthaft zu vermuten. Diese Gesetzesänderung schafft das im Grundgesetz verankerte Recht auf Asyl für Personen aus diesen Staaten faktisch ab und ignoriert die Erkenntnisse zahlreicher Organisationen, wie beispielsweise von Unicef, dem UNHCR oder Amnesty International, die wiederholt und beständig die Diskriminierung und Verfolgung der Roma in diesen Ländern feststellen und anmahnen.

Gleichzeitig schiebt das Aktionsbündnis Abschiebestopp Konstanz eine Petition an, in der OB Burchardt und die Abgeordneten Jung und Lehmann aufgefordert werden, sich gegen die Abschiebung von Roma aus Konstanz zu wehren. Gibt es schon erste Reaktionen?

Es haben sich bereits zahlreiche Gruppen, Vereine und kirchliche Institutionen den Forderungen der Petition angeschlossen. Wir haben auch von der Konstanzer Bevölkerung bereits viele positive Rückmeldungen bekommen. Es wurden in wenigen Tagen bereits über 300 Unterschriften gesammelt, obwohl die Kampagne gerade erst an ihrem Anfang steht. Ebenso haben wir sehr positive Rückmeldungen von Personen bekommen, welche die Kinder wirklich selber kennen, sei es aus dem Sportverein, der Musikschule oder natürlich auch von ErzieherInnen und LehrerInnen.

Diese Menschen haben erkannt, dass man die Familien und vor allem die Kinder nicht einfach aus ihrem vertrauten Umfeld reißen kann, in das sie sich teils schon seit vielen Jahre eingelebt haben. Viele dieser Kinder wurden hier in Konstanz eingeschult und sind noch nirgendwo anders zur Schule gegangen, und wären bei einer Abschiebung stark in ihrer Entwicklung beeinträchtigt. Dies zu verhindern, hat sich Deutschland auch in der UN-Kinderrechtskonvention verpflichtet, welche durch die Abschiebungen allerdings mit Füßen getreten wird.

Was können Konstanzerinnen und Konstanzer außerdem machen, um die drohenden Abschiebungen zu verhindern?

Natürlich kann man als einfachstes Mittel die Petition unterzeichnen. Wir würden uns auch sehr freuen, wenn man die Petition in dem eigenen Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis bekanntmachen würde und für die Anliegen wirbt. Selbstverständlich kann man auch seine lokalen Abgeordneten auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene ansprechen, damit diese sich endlich konsequent gegen die Abschiebungen von Kindern stellen.

Für die Situation gerade der Roma sollte es bei Deutschen schon aus historischen Gründen eine besondere Verantwortung geben.

Wir bemühen uns, ein Verständnis für die Situation der Roma zu schaffen und sind froh darüber, wenn dieses Wissen an möglichst jeden weitergegeben wird. So ist beispielsweise kaum bekannt, dass de facto alle Roma aus den Westbalkanstaaten Angehörige und Nachfahren von deportierten und in Konzentrationslagern von den Nationalsozialisten ermordeten Sinti und Roma sind. Dies machen allein schon die Zahlen deutlich: Die Nationalsozialisten haben rund 90 000 Roma auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens umgebracht und heute leben noch 180 000 Roma in Serbien, Mazedonien und dem Kosovo. Es ist also stark anzunehmen, dass fast jede der Familien, die wir jetzt wieder aus Deutschland abschieben wollen, vom NS-Terror und seinem Rassenwahn getötete Vorfahren hat. Dieser geschichtlichen Verantwortung wollen wir uns stellen, indem wir konsequent für ein humanitäres Bleiberecht eintreten.

In einem aufwändigen Faltblatt dokumentiert das Aktionsbündnis die beiden bisherigen Abschiebungen in diesem Jahr, über die als einziges Medium seemoz berichtet hat. Dennoch ist Protest in der Konstanzer Öffentlichkeit kaum zu vernehmen….

Diesen Eindruck kann ich so nicht bestätigen. Wir haben diese Abschiebungen neben der journalistischen Aufarbeitung im Faltblatt auch jeweils in einer Kundgebung am Tag nach der Abschiebung auf der Marktstätte bekanntgegeben und sind dabei auf viel Interesse, aber auch Schock und Entsetzen ob der menschlich fragwürdigen Abschiebungen gestoßen. Zu hören, dass mitten in der Steinstraße in Konstanz Menschen nachts aus dem Schlaf gerissen werden, um innerhalb von 10 Minuten ihre gesamte Habe zu packen und dann in die Obdachlosigkeit abgeschoben zu werden, hat viele Menschen betroffen gemacht. Dass sich nicht noch mehr Menschen bisher dagegen ausgesprochen haben, ist sicherlich der Tatsache geschuldet, dass vielen noch gar nicht bekannt ist, dass solche nächtlichen Abschiebungen auch Familien mit Kindern mitten in Konstanz betreffen, selbst wenn sie hervorragend integriert sind und die Kinder hier ihre Freunde, Vereine und LehrerInnen haben.

Euer Aktionsbündnis besteht erst seit einigen Monaten. Wie viele KonstanzerInnen machen mit, wie finanziert Ihr Euch, wie kann man/frau sich bei Euch engagieren?

Das Aktionsbündnis gibt es seit Dezember 2012 und in der Zeit konnten bereits einige Erfolge verzeichnet werden. So wurden gerade zum 1. April die diskriminierenden Warengutscheine abgeschafft und die Asylsuchenden bekommen endlich – wie alle anderen Menschen auch – die ihnen zustehenden Leistungen als Bargeld und müssen sich nicht länger einer demütigenden Gutscheinpraxis an der Supermarktkasse unterwerfen.

Für die jetzige Kampagne hat sich allerdings ein separater „Arbeitskreis Roma-Solidarität“ gebildet, welcher nicht nur aus dem Aktionsbündnis Abschiebestopp Konstanz besteht, sondern viele Akteure aus Kirchen, gesellschaftlichen Gruppen, Vereinen, Menschenrechtsorganisationen und engagierte Einzelpersonen umfasst.

Wir freuen uns über jede Mitarbeit und stehen allen Interessierten offen, die sich auch ehrenamtlich engagieren wollen. Unser nächstes Treffen findet am Montag, 14. April, um 20 Uhr im Gemeindezentrum der Petruskirche in der Wollmatinger Straße 58 statt.

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Autor: hpk; das Foto zeigt Flüchtlingskinder aus der Konstanzer Steinstraße

Die Petition findet sich unter:

www.openpetition/petition/online/alle-kinder-bleiben-hier-keine-abschiebung-von-roma-aus- konstanz

Siehe auch:

Nächtliche Abschiebeaktion in der Steinstraße

Steinstraße: Trotz Abschiebestopp nächtliche Polizeiaktion

Protest gegen Abschiebungen stand nicht auf der Tagesordnung

Landrat Hämmerle droht mit der juristischen Keule

Das Menschenrecht Asyl gilt auch für Roma

Auch am Bodensee werden Flüchtlinge produziert