„Alle Straßennamen sollten überprüft werden“
Lettow-Vorbeck-Straße in Radolfzell, Von-Emmich-Straße oder Hindenburgstraße in Konstanz – überall in der Republik wird über die Umbenennung von Straßennamen aus der Nazi-Zeit diskutiert. Wobei nicht nur die Rolle vermeintlicher Kriegshelden infrage gestellt wird, sondern auch die willkürliche Benennung durch die Nationalsozialisten. Da helfen historische Einschätzungen von Wissenschaftlern wie Heike Kempe (Uni Konstanz, s. Foto), die wohl auch der Konstanzer Kommission zur Seite stehen könnte
Der Radolfzeller Gemeinderat hat in einer seiner letzten Sitzungen bei Stimmengleicheit und einer großen Zahl von Enthaltungen den Vorschlag abgelehnt, die Lettow-Vorbeck-Straße umzubenennen. Ein beschämendes Ergebnis, wie ich finde…
Da kann ich Ihnen nur zustimmen. In den vorangegangenen Gemeinderatssitzungen wurde das Thema schon ausgiebig diskutiert und ich hatte den Eindruck, dass die Entscheidung – wenn auch mit einer sehr knappen Mehrheit – zugunsten der Umbenennung ausgehen könnte. Allerdings denke ich, wird das Thema wohl über kurz oder lang wieder auf der Tagesordnung des Radolfzeller Gemeinderats stehen. Das lehren die Beispiele anderer Städte, in denen die Lettow-Vorbeck-Straße immer wieder diskutiert und auch die Umbenennung mehrfach abgelehnt wurde, bevor die Straße letztlich dann doch umbenannt wurde.
seemoz hatte schon vor Monaten von der Recherche-Arbeit des Schülers Max Uhlemann berichtet, durch die diese Diskussion erst ins Rollen kam. Sie haben für den Gemeinderat ein Gutachten zu Lettow-Vorbeck erstellt und plädierten für eine Umbenennung. Was waren Ihre Gründe?
Max Uhlemann hat eine ganz hervorragende Arbeit geschrieben. Ich denke, unsere Gründe waren im Prinzip die gleichen wie im übrigen auch die der Gutachter, die für Hannover und Halle (Westfalen) tätig waren. Wenn man die umfangreich vorliegende neuere Forschung zur deutschen Kolonialgeschichte betrachtet, ist ein anderes Ergebnis auch kaum möglich. Gerade die auf zum Teil neu erschlossenen Quellenmaterial basierenden Biographien von Uwe Schulte Varendorff und Eckard Michels zeigen deutlich, dass der gesamte militärische Lebensweg von Lettow-Vorbeck im Widerspruch zu dem bis dahin vorherrschenden Mythos und der Traditionspflege der Bundeswehr nach 1955 von schweren Menschenrechtsverstößen, aggressivem Rassismus und Kolonialismus, Kriegsverbrechen in Südwestafrika/Namibia und vor allem in Ostafrika geprägt ist.
Von seinen Verbrechen nach Ende des 1. Weltkrieges in Deutschland ganz zu schweigen…
Die in Afrika angewandten Praktiken hat er zum Teil gegen Streikende und Demonstrierende sowie gegen Abgeordnete, Regierungen und Presse in den Unruhen in Deutschland 1919 und 1920 fortgeführt. Mit seiner Teilnahme am Kapp-Putsch 1920 beging er Hochverrat und Verfassungsbruch und unterstützte ab 1933 schließlich als maßgeblicher Propagandist der Kolonialrevision das nationalsozialistische System. Hinzu kommt, dass sich Lettow-Vorbeck noch in seinen 1957 erschienenen Memoiren, also nach dem Erlass des Grundgesetztes und der Verabschiedung der UN-Menschenrechte 1948, eindeutig zu seiner aktiven Zeit bekennt und den Vernichtungsbefehl von Trothas gegen die Herero ebenso für gerechtfertigt hält, wie seine eigene rücksichtslose Kriegsführung im östlichen und südlichen Afrika, die exzessive Nutzung des Belagerungszustandes während seines Militär-Einsatzes in Hamburg 1919 oder seine Teilnahme am Kapp-Putsch 1920.
Er gehörte zu den Ewig-Unbelehrbaren?
Wohl wahr. Noch 1957, als die vom NS-Regime begangenen Verbrechen durch die Nürnberger Prozesse und andere Enthüllungen allgemein bekannt waren, bedauerte er lediglich die Tatsache, dass Hitler den Sieg im 2. Weltkrieg, der selbst in einem Mehrfrontenkrieg noch möglich gewesen sei, durch eine Reihe strategischer Fehlentscheidungen verschenkt habe. Der Krieg und besonders die Tatsache, dass Deutschland seine Nachbarn überfallen und millionenfachen Mord an der jüdischen wie nicht-jüdischen Zivilbevölkerung begangen hatte, wurde in Lettow-Vorbecks Memoiren mit keinem Wort erwähnt, geschweige denn verurteilt. Daher bin ich der Meinung, dass Lettow-Vorbeck allein schon wegen seines politischen Engagements zwischen 1919 und 1945, von seinem Handeln in Afrika ganz zu schweigen, als Namensgeber für Straßen absolut ungeeignet ist.
Viele dieser Straßenbenennungen wurden in den 1930iger Jahren von den Nazis befohlen – ohne demokratische Willensbildung. Ist nicht das schon Grund genug, heute über Umbenennungen nachzudenken?
Richtig. Man sollte die Zeit der Benennung mit einbeziehen. Die Straße hätte schon 1939 aufgrund des Erlass des Ministeriums des Innern vom 4. Oktober 1934 nicht nach Lettow-Vorbeck benannt werden dürfen, weil dieser schlichtergreifend noch lebte. Die Benennung wurde also gewissermaßen von der Kreisleitung der NSDAP durchgedrückt. 1945 sollten im Rahmen der Entnazifizierung alle nach Ereignissen oder Personen benannte Straßen, die mit Kriegshandlungen nach dem 1. August 1914 in unmittelbarem Zusammenhang standen, umbenannt werden. Außerdem waren wie bereits zuvor Benennungen nach Lebenden untersagt. Demzufolge hätte die Benennung der Straße nach Lettow-Vorbeck in doppelter Hinsicht getilgt werden müssen.
Die Diskussion um Umbenennungen von Straßen, die ihre Namen vornehmlich in der Nazizeit nach vermeintlichen Kriegshelden erhielten, läuft in vielen Städten, auch in Konstanz. Was halten Sie von solchen Namenskorrekturen, die dem jeweiligen Zeitgeist entsprechen?
Ich muss zugeben, ich bin da etwas hin und her gerissen. Angesichts der inhaltlichen Bandbreite und Bedeutung für die Epoche der Neuesten Geschichte bedauere ich es, dass Straßennamen als Medium des historischen Lernens und Lehrens bisher kaum Beachtung fanden. Dabei ließen sich hier einige tolle Projekte auf die Beine stellen. Ich habe da schon was im Hinterkopf, aber um auf die Frage der Namenskorrekturen zurückzukommen: Grundsätzlich würde ich immer für eine genaue Einzelfallprüfung plädieren.
Selbstverständlich stehen gerade die während der NS-Zeit vergebenen Straßennamen besonders im Focus und das ist auch gut so. Ich denke aber, man sollte drüber hinaus prinzipiell einmal alle nach Personen oder Ereignissen benannte Straßennamen näher betrachten. Daher habe ich mich auch sehr gefreut, als ich las, dass genau dies nun in der Stadt Freiburg passiert und alle Straßennamen systematisch überprüft werden sollen. Auf das Ergebnis darf man sehr gespannt sein. Ob es immer eine Umbenennung sein muss, hängt dann vom Ergebnis ab, aber bei vielen Straßenschildern wäre eine Zusatztafel angebracht, die sich aber bitte nicht nur auf neutrale Fakten, wie Name, Geburts- und Sterbejahr und Tätigkeit der Person beschränken, sondern auch den Kontext bzw. ihre Funktion zur Zeit der Benennung miteinbeziehen sollte.
Wie geht es weiter in Radolfzell? Die Rede ist von einem Zusatz zum Straßenschild. Was würden Sie da drauf schreiben?
Darüber grüble ich gerade und werde meine Vorschläge Ende Mai dem Gemeinderat einreichen. Klar ist jedenfalls, dass nur eine umfangreiche Erläuterung der Sache gerecht werden könnte und soviel Platz hat man auf einer Zusatztafel in der Regel nicht, zumal neben Erläuterungen zur Person Lettow-Vorbeck – wie schon gesagt – auch der Kontext, d.h. die Zeit der Benennung berücksichtigt werden sollte und darüber hinaus eigentlich auch noch, dass der Straßenname zwar in der Diskussion stand, warum aber trotz neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse für eine Beibehaltung entschieden wurde.
Zur Zusatztafel gab es bereits einen sehr guten Vorschlag eines Anwohners, der eine ausführlichere Erklärung möglich machen würde. Und zwar, indem nicht an allen fünf Straßenschildern die gleiche Zusatztafel angebracht wird, sondern auf jedem Schild eine andere Station seines Lebens einschließlich der Rezeptionsgeschichte thematisiert wird. Außerdem könnten in die Zusatztafeln einige QR-Codes integriert werden, die auf eine Website auf der städtischen Homepage weiter leiten, auf der neben der Arbeit von Max Uhlemann und meinem Gutachten weitere Materialien und Links zur Verfügung gestellt werden. Mir hat dieser Vorschlag gut gefallen und entsprechend werde ich einmal mehrere Vorschläge ausarbeiten.
Autor: hpk
Weitere Links:
Wie PI den Max Uhlemann und seemoz entdeckte und dann hetzte
Ganz einfach. Aus Lettow-Vorbeck wird die Bayume Mohamed Husen (Mahjub bin Adam Mohamed) Straße. Und zur Erläuterung steht da folgendes: Geboren am 22.04.1904 in Dar-es-Salaam, Tanganjika, Soldat der Kaiserlichen Schutztruppe 1914-1918, Träger des Frontkämpferabzeichens, Schauspieler und deutscher Patriot – von deutschen Nazis am 24.11.1944 im KZ Sachsenhausen ermordet. Dann steht da natürlich auf noch dies: Mahjub bin Adam Mahamed (Bayume Mohamed Husen) Alizaliwa tarehe 22.04.1904 Dar-es-Salaam, Tanganjika, alikuwa Askari mwenye cheo wa Wajerumani na alikuwa anapigana vita katika Tanganjika kati ja Wajerumani na Waingereza kuanzia mwaka 1914-1918, na alikuwa ni shujaa mkubwa. Licha ya hayo alikuwa pia anaigiza maigizo, kwa bahati mbaya aliuawa na Wajerumani (Nazi) tarehe 24.11.1944 katika mji wa Sachsenhausen.
Das würde dann den vielen tausend gefallenen und getöteten Afrikanern des Ersten Weltkrieges ein wenig gerecht und gleichzeitig würden sich die reaktionäre Rechte und die selbstgerechte Linke ohne Maß ärgern. Das wär doch mal Partisanesk.