Alles über „das blutrote schwäbische Meer“

„Wir sind der Ansicht, dass das Bild der EADS Deutschland GmbH/Cassidian in der breiten Öffentlichkeit in der Bodenseeregion keiner Korrektur bedarf“. Schreiben EADS-Standortleiter Jens Nielsen und Vorstandsmitglied Yvonne Eisele als Begründung für ihre Absage an einer Diskussion über die Rüstungsindustrie am Bodensee, die heute am Stadttheater Konstanz stattfindet. Auch andere Industrie-Vertreter sagten ab. Scheuen sie die Diskussion mit dem Rüstungsgegner Jürgen Grässlin?

So bleiben wohl Grässlin („Deutschlands bekanntester Rüstungsgegner“, DIE ZEIT) und Hans-Peter Koch, Mitherausgeber von seemoz, alleine auf der Werkstattbühne des Konstanzer Stadtheaters, wenn am heutigen Freitag ab 20 Uhr über die Rüstungsindustrie der Bodenseeregion informiert wird. Und aus dem Streitgespräch wird unversehens, nachdem sämtliche Manager der Waffenschmieden keine Zeit haben, ein Informationsgespräch. Das aber wird spannend:

Denn wussten Sie, dass sich der Export deutscher Kriegswaffen 2010 um 60 Prozent erhöhte, die größte Steigerungsrate aller Exportbranchen in Deutschland? Dass Griechenland, über dessen Ausgabenpolitik hierzulande so gerne hergezogen wird, 2010 aus der Bundesrepublik allein 223 Panzerhaubitzen importierte? Mehr als jedes andere Mitglied der Vereinten Nationen. Und erinnern Sie sich an den seemoz-Artikel aus 2010, dass die MOWAG in Kreuzlingen, größter Arbeitgeber im Thurgau, 195 gepanzerte „Eagle“-Fahrzeuge an die Bundeswehr in Afghanistan liefern wird – aufgesplittet in drei Großaufträge aus Deutschland mit einem Volumen von insgesamt 500 Millionen Euro?

Grässlin, letztjähriger Träger des Aachener Friedenspreises, war gerade in den letzten Wochen vielfach in den Schlagzeilen, als es um die Affären beim Kleinwaffenhersteller Heckler&Koch ging: Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und die Hausdurchsuchungen in Oberndorf gehen auf eine Strafanzeige von Grässlin zurück. Und auch die Gewehr-Lieferungen nach Libyen wurden von ihm aufgedeckt. Von dem 4,5-Milliarden-Geschäft, das EADS aus Friedrichshafen mit der “Grenzsicherung“ in Saudi-Arabien macht, ganz zu schweigen.

Jürgen Grässlin lebt und arbeitet als Lehrer in Freiburg. Er bezeichnet sich selber als „Humanist, Menschenrechtler und Pazifist“ und leitet daraus sein Engagement für Frieden und Abrüstung ab. Seine neueste Kampagne „Aktion Aufschrei: Stoppt den Waffenhandel!“ startete im Frühjahr 2011: Grässlin lädt Kriegsopfer aus aller Welt nach Deutschland ein, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Einer dieser Besuche ist auch in Konstanz geplant.

Über solche und andere Informationen hätte man heute gerne gestritten auf der Konstanzer Werkstattbühne. Denn selbstredend gibt es auch eine andere Sicht auf die Rüstungsindustrie. Die ist immerhin größter Arbeitgeber und größter Steuerzahler in der Bodensee-Region und sponsert – womöglich nicht ganz uneigennützig – Schulen und Hochschulen, Vereine und Kultureinrichtungen in Friedrichshafen und Konstanz. Doch die Sessel für die Manager bleiben leer, die Diskussion findet unter Verzicht der Rüstungsindustrie statt.

Jedoch nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Der Publikumsandrang ist, wie man hört, erstaunlich groß, selbst Zuhörer aus Friedrichshafen, Lindau und Überlingen haben sich angesagt zur Veranstaltung „Das blutrote schwäbische Meer“ am 13.1., 20 Uhr, Konstanz Inselgasse (Karten zu 6 Euro gibt es an der Theaterkasse, Konzilstraße 11; ein beschränktes Angebot von Freikarten steht zur Verfügung).

Autor: Redaktion

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