„Als Landrat wird man nicht geboren“
Die Vorstellung der Landratskandidaten Zeno Danner und Dirk Schaible im Kreistag war perfekt. So perfekt, dass zwischen beiden kaum inhaltliche Unterschiede zu erkennen waren. Was letztlich den Ausschlag für Zeno Danner gab, ob sein brühwarmes Bekenntnis zu seiner Heimat Bodensee oder seine (zu) gut einstudierten Handbewegungen, ist unklar. Er wurde im ersten Wahlgang mit 36:31 Stimmen gewählt und durfte als erster einen Blumenstrauß aus der Hand des scheidenden Frank Hämmerle in Empfang nehmen.
Man ist geneigt, die Bedeutung des Landkreises zu unterschätzen, dabei ist er eine große Behörde mit rund 1.200 MitarbeiterInnen und breit gefächerten Aufgaben, die vom Straßen- und Radwegebau und dem seehas über die Verwaltung der KFZ-Kennzeichen bis hin zu Berufsschulen und Krankenhäusern reichen. Dementsprechend qualifiziert müssen Bewerber auf den Posten des Landrates, der an der Spitze des Landkreises steht, sein, und das Bewerberfeld für die Schlussrunde muss eigens vom Innenministerium gebilligt werden.
Als es gestern um die Nachfolge des seit 21 Jahren amtierenden Frank Hämmerle ging, waren am Ende noch zwei Bewerber übriggeblieben, die beide ausgewiesene Verwaltungsfachleute sind – und sich inhaltlich wie ein Ei dem anderen glichen.
20 Minuten vorsingen
Beide Kandidaten hatten 20 Minuten Zeit, sich den KreisrätInnen und dem Publikum im voll besetzen Kreistag zu präsentieren, und beide waren bestens präpariert. Natürlich gleicht ein solches Vorsingen einem Wunschkonzert, gilt es doch, jeder im Kreistag vertretenen politischen Richtung möglichst viel zu versprechen und zumindest niemanden vor den Kopf zu stoßen. Also soll es sowohl einen ausgeglichenen Haushalt als auch zukunftsträchtige Investitionen in die Infrastruktur, ein neues Verkehrskonzept, die ökologische Wende und Verbesserungen in der Gesundheitsversorgung ebenso wie in der beruflichen Bildung geben. Ganz abgesehen natürlich von einer nachhaltigen Förderung von Handwerk, Industrie und Dienstleistung – beide Bewerber vergaßen übrigens die Landwirtschaft zu erwähnen, der Nährstand scheint in der lokalen wie regionalen Politik einfach keine bekennende Lobby mehr zu haben. Natürlich wollen beide ihren MitarbeiterInnen auch ein guter Chef sein und mit allen, auch den KreisrätInnen aufs das Engste und Kooperativste zusammenarbeiten.
Ziemlich ähnlich
Der 49-jährige Dirk Schaible, gebürtig in Calw, hat nach seinem Zivildienst (immerhin etwas!) ein wenig Jus studiert, dann aber als Diplom-Verwaltungswirt abgeschlossen. Er sammelte in Calw wie Ludwigsburg intensive Erfahrungen in der öffentlichen Verwaltung und ist seit 2008 Bürgermeister in Freiberg am Neckar, wo er zuletzt mit rekordverdächtigen 94% der Stimmen in seinem Amt bestätigt wurde, das er nach seiner gestrigen Wahlniederlage wohl oder übel weiter ausüben muss. Er setzte in seiner durch und durch seriösen Präsentation ganz auf sein Fachwissen und seinen „analytischen Blick auf die kommunale Verwaltung“, nannte sich selbst „pragmatisch und ideologiefrei“ (letzteres sagt man für gewöhnlich seinem übelsten Feind nicht nach) und versprach eine kooperatives Kreisentwicklungskonzept.
Der 40-jährige Zeno Danner, der später obsiegen sollte, ist Erster Landesbeamter im Landkreis Calw und erinnert in seiner gefälligen Art unwillkürlich an wenig an Emmanuel Macron. Danner ist in Konstanz geboren und mit einer Sängerin aus Alicante verheiratet. Er hat früher einmal das Rechts- und Ordnungsamt des Bodenseekreises geleitet und auch im Haifischbecken der Brüsseler Politik fürs Ländle den Kopf hingehalten. Er neigt anders als Dirk Schaible gelegentlich zu großen, eher wolkigen Worten und sprach (wenn Sie mich fragen: etwas zu viel) von Zukunft, Vernetzung, Kommunikation, Wertschätzung, Teamarbeit und Führung.
Keine Privatisierung des Gesundheitsverbundes
Beide Kandidaten sind, wie auch die anschließende Befragung durch die RätInnen bestätigte, gegen jegliche Privatisierung auch nur von Teilen des Gesundheitsverbundes. Für sie ist das Rosinenpickerei, weil ein privater Betreiber lediglich die profitablen Abteilungen der Krankenhäuser beibehält und die unprofitablen wie die Notaufnahmen am Ende doch durch den Kreis bezuschusst werden müssen, um eine Schließung zu verhindern.
Beide finden, dass Wohnen keine Frage des Geldbeutels sein dürfe, und Schaible brachte eine kreiseigene Baugesellschaft ins Gespräch, also eine Art Wobak des Landkreises. Natürlich wollen beide auch die Wirtschaft fördern und sich bei IHK und Handwerkskammer unterhaken, und ebenso selbstverständlich vergaßen beide dabei, Arbeitnehmer, Gewerkschaften und Betriebsräte zu erwähnen. Natürlich forderten sie auch Klimaschutz, die Beibehaltung des dezentralen Berufsschulsystems im Kreis, besseren öffentlichen Nahverkehr und eine einfache, verständliche Tarifgestaltung (Hut ab, wer das hinkriegt, hat eine Kiste Bier bei mir gut!). Dirk Schaible regte einen geförderten Modellversuch nach Wiener und Radolfzeller Vorbild an, um durch niedrigere Tarife mehr Menschen in die öffentlichen Verkehrsmittel zu locken. Ebenso ein Lieblingsprojekt beider ist die Umgestaltung der Kreisverwaltung, die sie – wie der Zeitgeist das gerade mit Nachdruck fordert – agiler und flexibler machen wollen.
Sozialpass nicht so beliebt
Auf die Frage der Linken Anke Schwede nach ihrer Haltung zu einem landkreisweiten Sozialpass für einen verbilligten öffentlichen Nahverkehr eierten beide Kandidaten ein wenig herum wegen der Kosten und überhaupt, und zu deutlichen Stellenvermehrungen etwa im Gesundheitswesen und einer übertariflichen Bezahlung von Pflegekräften mochte sich auch niemand recht bekennen – zu groß sei der Personalmangel auf dem Arbeitsmarkt, also müsse man vor allem an den anderen Stellschrauben drehen, Wertschätzung vermitteln und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf anstreben, um Kräfte zu binden und vom Wechsel in die Schweiz abzuhalten. „Lohnersatzhandlung“ hätte mein Großvater, Sozi der ersten Stunde, das genannt.
Zeno Danner hingegen konnte mit der Forderung nach einem Fahrradlandkreis punkten und hat als Landrat ja auch schon bald Gelegenheit, seinen Worten Taten folgen zu lassen, denn eine Beleuchtung des Radweges zwischen Litzelstetten und Wollmatingen ist zu einem guten Stück Sache des Kreises.
Abgesehen davon will Danner den „Wandel gemeinsam gestalten, das Verbindende finden, auch mit der Schweiz“. Und er ist als alter Konstanzer stets zutiefst ergriffen, wenn er auf der A81 auf den Bodensee zurauscht und den Untersee, den Hegau und den Säntis sieht. „Ich bin ein Kind dieser Region,“ war sein Schlusswort, und seine Stimme brach tremolierend, wie sich das für einen verlorenen Sohn gehört. Vor so viel Schleimerei musste selbst der hartgesottene Kreistag kapitulieren.
Ab 1. Mai ist Danner also nicht mehr nur ein Kind, sondern sogar der Landrat dieser Region. Wie er, der bekennende Fan des öffentlichen Nahverkehrs, es aber schafft, auf die A81 zu kommen, die ja für die Züge der Bahn eigentlich gar nicht zugelassen ist, mag er später einmal erklären.
Aller guten Dinge sind drei
Das bessere Schlusswort hatte jedenfalls Dirk Schaible parat, der konstatierte, als Landrat werde man nicht geboren. Damit wollte er wohl sagen, diesen Beruf müsse man lernen und dazu müsse man dann auch noch gewählt werden. „Als geschichtsinteressierter Mensch habe ich mal nachgeschaut. Im 19. Jahrhundert [1849–1856] gab es hier einen Landrat Ludwig Schaible. Im 20. Jahrhundert [1926-1927] hieß der Landrat Alexander Schaible. Alle guten Dinge sind drei, und ich heiße auch Schaible!“
Trotzdem ist ein dritter Schaible in diesem Jahrhundert noch möglich. Das 21. Jahrhundert ist noch lang, vielleicht finden sich da ja noch ein paar Jahre für einen Konstanzer Landrat namens Schaible. Dirk Schaible allerdings dürfte der wohl kaum heißen.
Wo wir gerade bei Namensspielereien sind: Es bleibt nur zu hoffen, dass Zeno Danner mit seinem sympathischen Namensvetter Zeno Cosini wenigstens einige Charakterzüge teilt.
O. Pugliese (Text & Fotos)