Am Montag geht es um die Zukunft der Geburtshilfe
10 000 Unterschriften aus drei Petitionen, zwei Busladungen voller Demonstranten, die nächsten Montag vor und im Konstanzer Landratsamt demonstrieren wollen – der Streit um den Erhalt der Geburtshilfe am Radolfzeller Krankenhaus tritt in die entscheidende Phase: Am Montag, 19.12., entscheidet der Kreistag über eine Finanzspritze für die Entbindungsstation.
Wie die Abstimmung auch ausfällt – am 24. Dezember wird die letzte schwangere Patientin in Radolfzell aufgenommen. Denn dann stellen die drei Belegärzte (Radolfzeller Ärzte mit auch noch eigener Praxis), die bislang die Geburtshilfe mit Hebammen und PflegerInnen des Hegau-Bodensee-Klinikums Radolfzell besorgten, ihre Arbeit ein. Hintergrund: Einer der Belegärzte tritt absehbar in den Ruhestand und ein Nachfolger ist noch nicht gefunden.
Und die Nachfolge gestaltet sich schwierig, denn die Versicherung nahm das Ausscheiden dieses Arztes zum Anlass, die Beiträge empfindlich – von 43 000 auf maximal 150 000 Euro – zu erhöhen. Damit, so argumentieren die Belegärzte Karpuzoglu, Groß und Stubenrauch, sei dieser Kostenanstieg für sie nicht verkraftbar. Mehr noch: Zu diesen Konditionen ließe sich auch kein Nachfolger finden. Die Versicherungen ihrerseits begründen die, übrigens bundesweit geltende, Beitragserhöhung mit einem gestiegenen Risiko: Durch die aktuelle Rechtsprechung deutscher Gerichte seien Schadensersatzansprüche um ein Vielfaches gestiegen, die Versicherungen müssten also im Schadensfall mehr zahlen, was nur über Beitragserhöhungen refinanzierbar sei.
Es geht um eine halbe Million
Diese unerwartet aufgetretene Problematik rief viele Beteiligte auf den Plan: Neben den betroffenen Ärzten auch den Gesundheitsverbund, der einen „Sicherstellungsauftrag“ für die Gesundheitsfürsorge im Landkreis hat, und den Landkreis, der wesentlicher Träger des aus der Fusion der Kliniken in Singen, Konstanz und Radolfzell hervorgegangenen Verbundes ist. Und mit dem Landkreis ist der Kreistag in der Pflicht – der soll am kommenden Montag über Lösungen und deren Finanzierung beraten
Auf der Tagesordnung dieser Sitzung (ab 14 Uhr im Landratsamt) steht ein interfraktioneller Antrag Radolfzeller Kreisräte, die eine Weiterführung der Geburtshilfe fordern. Die Zusatzkosten sollen dann die Ärzte, die Stadt Radolfzell und die Stiftung des Radolfzeller Spitalfonds sowie der Landkreis unter sich aufteilen. Es geht um Mehrkosten, so der Verbunds-Geschäftsführer Fischer, von „mindestens 410 000 und höchstens 560 000 Euro jährlich.“
„Die Frauen brauchen keine Angst zu haben“
Für Landrat Frank Hämmerle, gleichzeitig Aufsichtsratsvorsitzender des Gesundheitsverbundes („ich bin dagegen, Gewinne zu privatisieren und Verluste den Steuerzahler zahlen zu lassen“) ist das nicht finanzierbar. Zusammen mit der Geschäftsführung des Verbundes plädiert er darum dafür, die Geburtshilfe in Radolfzell nicht weiter zu führen, sondern die Schwangeren wie die Beschäftigten auf die Entbindungsstationen in Konstanz und Singen zu verteilen. Nach Aussage der dortigen Chefärzte sei das problemlos zu bewerkstelligen, wenn auch in Singen kurzfristige Baumaßnahmen nötig würden. Geschäftsführer Fischer: „Die Frauen brauchen keine Angst zu haben.“ Zur Begründung noch einmal Landrat Hämmerle: „Ich bin bereit, öffentliche Gelder für Investitionen zu geben, aber nicht für den laufenden Unterhalt.“
Das allerdings sehen die betroffenen Schwangeren anders. Am gestrigen Mittwoch überreichte eine Abordnung dem Landrat über 10 000 Unterschriften aus dem Landkreis (Foto), mit denen ein Erhalt der Geburtshilfe in Radolfzell gefordert wird. Und sie werden wiederkommen, versprechen sie: Für eine Demonstration vor der entscheidenden Sitzung des Kreistages am nächsten Montag um 13. 30 Uhr sind bereits zwei Busse geordert.
hpk (Foto: Presse/LRA)
# Bruno Neidhart
Zwei Dinge gegenüber zustellen, um sie abzuwägen, hat nichts mit verwechseln zu tun. Werte gegenüberzustellen geht sogar mit Äpfeln und Birnen. Das wissen zumindest die, die z. B. auf Apfelsaft aus sind. Und wenn dann doch ein Apfel-Birnensaft daraus wird, dann haben sie sehr wohl und erst recht etwas miteinander zu tun
Was hat eine Geburtshilfestation mit einem Bodensee-Forum gemein? Da verwechselt jemand etwas. Nico Plenz argumentiert dagegen sachlich.
#Nico Plenz
Ihr Beitrag gibt schon irgendwie Sinn, ungefähr soviel wie meine Aufforderung, Ihr Auto abzuschaffen und sich ein Moped anzuschaffen, damit sollten Sie auch irgendwie überallhin kommen. Und wenn Sie mir jetzt mit „unpraktisch“ oder gar „zu wenig Komfort“ kommen, sage ich Ihnen, dass viele Menschen in Afrika noch nicht mal ein Fahrrad besitzen.
Wenn es eine bestehende funktionierende und allseitig geschätzte Lösung für eine Aufgabe gibt, und man es dann zerschlagen will, weil man damit Geld sparen kann, ist das zwar gängige Realität, aber darauf ist gepfiffen.
Hätte man z.B. das fragwürdige Bodensee-Forum in die runde Ablage gerührt, könnte man die Geburtshilfe in Radolfzell und einige weitere der übriggebliebenen Dienstleistungen, die für die Menschen da sind, in Ruhe lassen.
So weh es auch tut. Ich verstehe nicht ganz, weshalb der Untergang der Welt an die Wand gemalt wird, wenn die Geburtshilfe in Radolfzell endet. Ich kann verstehen, dass dies emotional schwierig ist, aber sachlich sehe ich keine Probleme.
Der Landkreis Konstanz ist flächenmäßig nicht gerade riesig und hält in Konstanz und Singen zwei Geburtsstationen bereit. Von Radolfzell nach Singen sind es lt.Routenplaner 15 km. Das ist medizinisch vertretbar.
Wer heute in Engen oder Tengen Wehen bekommt, hat es weiter. Aber auch von dort sind keine erhöhten Geburtenraten in PKWs o.ä. bekannt.
In Baden-Württemberg ist man aus meiner Sicht extrem verwöhnt, was Krankenhäuser angeht. In anderen Bundesländern sind 20 – 30 km Weg zum nächsten Krankenhaus üblich und auch dort sind echte medizinische Probleme nicht bekannt.
Krankenhäuser sind teuer und wer sich eine qualitativ gute Medizin sichern will, muss Häuser schaffen, die auch entsprechende Fallzahlen und damit Erfahrung haben. Kleinkrankenhäuser mit wenig Fallzahlen können nicht das Ziel sein.
Dass Radolfzeller Frauen nicht gerne nach außerhalb gehen, ist emotional nachvollziehbar, von unseren Kreistagsmitgliedern erwarte ich aber sachliche Abwägungen bei dieser Frage. Wenn sich dann ein ja zum Erhalt ergeben sollte, muss die Geburtshilfe erhalten bleiben. Wenn sich dieses Ja aber nicht ergibt, muss die Entscheidung eben anders ausfallen.