Amtsblatt: Linke Liste Konstanz gewinnt Prozess gegen Stadt um Harrison-Artikel

Freude und Genugtuung bei der Linken Liste Konstanz (LLK): Die Stadt Konstanz handelte rechtswidrig, als ihr Pressereferat im Juli 2019 den Abdruck eines Beitrags der LLK im Amtsblatt verweigerte. Zu diesem Urteil kam jetzt das Verwaltungsgericht Freiburg, bei dem die Stadträt:innen der LLK-Fraktion Klage gegen Oberbürgermeister Uli Burchardt als Herausgeber erhoben hatten.

In dem strittigen Artikel hatte die LLK-Rätin Anke Schwede unter der Überschrift „Harrison ist Konstanzer“ aus Sicht ihrer Fraktion gegen die damals drohende Abschiebung des lange in Konstanz lebenden und arbeitenden Harrison Chukwu Stellung bezogen. Die Stadt begründete die Abdruckverweigerung damit, der Fall sei keine Angelegenheit der Gemeinde und habe deswegen im Amtsblatt nichts zu suchen. Zu Unrecht, wie jetzt das Gericht in einem Urteil feststellte, das es als Grundsatzentscheid für Veröffentlichungsrechte von Gemeinderatsfraktionen verstanden wissen will.

Große Solidaritätsbewegung

In der Presse werde im Regelfall nur über „gescheiterte Integration“ berichtet, kommentiert LLK-Stadtrat Simon Pschorr das Urteil. „Das Schicksal von Harrison zeigt, wie Integration gelingt und wie viele Konstanzer:innen daran Anteil haben. Wir glauben, die Öffentlichkeit hat ein Interesse, von diesem positiven Beispiel und den Ungerechtigkeiten des Asylverfahrens zu erfahren – und wir sind stolz, dass das Verwaltungsgericht sich unserer Auffassung angeschlossen hat.“

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Zur Erinnerung: Vor anderthalb Jahren hatte sich in Konstanz breiter Widerstand gegen die Abschiebung von Harrison Eijke Chukwu in das von Bürgerkriegswirren zerrissene Nigeria formiert. Viele Konstanzer:innen kannten den gut integrierten Geflüchteten als ehrenamtlichen Mitarbeiter des Integrationsprojekts Café Mondial. Eine von Unterstützer:innen lancierte Petition unterschrieben damals in nur kurzer Zeit rund zweitausend Menschen, der Fall ging durch die Presse. Teil der Solidaritätsbewegung war die LLK, die in dem fürs Amtsblatt gedachten Text die Bürger:innen aufrief, mit ihrer Unterschrift zum Verbleib von Harrison in Konstanz beizutragen.

Auch überörtliche Themen können ins Amtsblatt

Den Abdruck verweigerte die Stadt im Kern mit der Behauptung, die LLK habe keinen Anspruch auf Veröffentlichung, weil der Beitrag mangels Ortsbezug keine Angelegenheit der Gemeinde berührt habe, wie vom Redaktionsstatut gefordert. Die Zuständigkeiten lägen in ausländerrechtlichen Fragen bei der Kreisverwaltung und der Landesregierung. Überdies sei der Abschiebungsbedrohte zum Veröffentlichungszeitpunkt nicht in Konstanz gemeldet gewesen, unerheblich deswegen, dass er in der Stadt gearbeitet habe und eine Ausbildung beginnen wollte. Unterschlagen wurde dabei, dass Chukwu seinen mehrjährigen Wohnort Konstanz nicht etwa freiwillig verlassen hatte, sondern sich einer behördlich angeordneten Zwangsumsiedlung in die Gemeinde Öhningen beugen musste.

An dieser Argumentation der Stadt lassen die Freiburger Richter:innen kaum ein gutes Haar. In der Urteilsbegründung betonen sie das Recht von Ratsfraktionen, sich zu allen Themen zu äußern, „bezüglich derer der Gemeinderat eine Befassungskompetenz hat“. Das gelte auch für Veröffentlichungen im städtischen Organ Amtsblatt. Diese Kompetenz greife verfassungsrechtlich immer, wenn „überörtliche Entscheidungen“ Aufgaben des eigenen, aber auch des „übertragenen Wirkungskreises“ berühren. Im Klartext: Wenn das Stuttgarter Innenministerium einen Einwohner der Stadt Konstanz zwangsweise ausschaffen will, dürfen kommunale Mandatsträger:innen sich auch im Gemeindeorgan dazu äußern. Das gilt laut Gericht selbst dann, wenn – wie im Fall Harrison – der Betroffene unfreiwillig nicht mehr in seiner Heimatgemeinde wohnt, dort aber einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat.

Schallende Ohrfeige

Die Ausführungen der Richter:innen, wieso im Fall Harrison ein solcher örtlicher Bezug vorliegt, kommen einer schallenden Ohrfeige für die Stadt gleich. Ausführlich würdigen sie das Engagement des Geflüchteten für die Integration von Migrant:innen in der Stadt, woran auch ein behördlich erzwungener Ortswechsel nichts änderte. Verwiesen wird auf Harrisons „starke Beziehung zur örtlichen Gemeinschaft“ sowie die „breite öffentliche Aufmerksamkeit, die seine Situation in der Konstanzer Bürgerschaft gefunden hat“. Die habe später sogar die Stadt und den Oberbürgermeister zu aktiver Unterstützung des Betroffenen im Petitionsausschuss bewogen, so der deutliche Seitenhieb in Richtung Rathaus.

„Für Menschen, die in unserer Stadt leben und von staatlicher Willkür betroffen sind, werden wir uns auch weiterhin öffentlich engagieren, egal ob das die Gemeinde, das Land oder der Bund zu verantworten haben“, stellt Anke Schwede klar. „Wir freuen uns sehr, dass uns das Gericht nun den Rücken dafür gestärkt hat, das auch im Amtsblatt tun zu können.“

MM/jüg (Bild: J. Geiger)


Das Urteil samt Begründung kann hier heruntergeladen werden.