An den Grenzen des Wachstums

Der Konstanzer Gemeinderat befand jetzt über die ersten methodischen Vorüberlegungen und konkreten Maßnahmen in Sachen Klimaschutz. Alle Fraktionen waren sich darüber herzlich einig, dass mehr Klimaschutz dringend not tut. Differenzen zwischen den üblichen ideologischen Lagern gab es aber in der Frage, wie viel Geld dafür in die Hand genommen werden soll. Star des Tages war der städtische Klimaschutzmanager Lorenz Heublein, der es schaffte, die schwierige Thematik souverän aufzubereiten.

Vor Beginn der öffentlichen Sitzung hatte sich der Gemeinderat bereits stundenlang in nichtöffentlicher Sitzung mit dem Thema Klima befasst. Die Stadt will ihr Klimaschutzkonzept gemeinsam mit dem ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg, einer gemeinnützigen Gesellschaft, entwickeln und umsetzen, und das Institut hatte anscheinend die Gelegenheit erhalten, Rat und Verwaltung hinter verschlossenen Türen in einer Klausursitzung mit ersten Überlegungen und einigen Basics vertraut zu machen. Zumindest schmeichelte Hans Hertle, ein Versorgungstechnikspezialist von ifeu, anschließend in aller Öffentlichkeit den RätInnen, er habe noch nie einen Stadtrat erlebt, der derart vom Klimaschutz begeistert sei. Und niemand, wirklich niemand versank bei dieser Ranschmeiße schamrot im Boden.

Entscheidung für oder gegen Generationen

Natürlich stellte der OB der bisherigen Arbeit seiner Verwaltung ein gutes Zeugnis aus und sprach von einer trotz Corona starken Klimaschutzbilanz. Er verwies auch darauf, dass die für 2021 verhängte globale zehnprozentige Einsparung für den Klimaschutz ausdrücklich nicht gelte. „Es geht beim Klimaschutz um sehr viel, es geht vor allem darum, wie wir hier vor Ort die Beschlüsse des Pariser Klimaschutzabkommens umsetzen können. Es geht nicht nur um Entscheidungen für unsere Kinder und Enkel, sondern auch um Entscheidungen, die die Bürgerinnen und Bürger hier in unserer Stadt bereits heute betreffen.“ Er verwies aber auch darauf, dass erst noch zu definieren sei, was in Konstanz unter der angestrebten Klimaneutralität überhaupt zu verstehen sei, denn dazu gebe es verschiedene Meinungen.

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Eckpunkte des eigentlichen Klimaschutzberichtes hat seemoz bereits vorgestellt. Es ist seither klar, dass Konstanz, Stand heute, die Klimaneutralität bis 2030 nicht schaffen wird. An diesem Eingeständnis spalteten sich im Gemeinderat die Lager: Die eher Bürgerlichen sind der Meinung, man müsse halt mal schauen, welche Finanzmittel man habe, und dann entscheiden, was man damit erreichen könne – wenn die Mittel nicht reichen, hat das Klima halt Pech gehabt. Heinrich Fuchs (CDU) brachte diese Position auf den Punkt, als er spitz anmerkte, „dass in diesem Gremium noch nicht bei jedem angekommen ist, dass wir nicht beliebig viel Geld ausgeben können“. Die Gegenseite will hingegen zuerst einmal feststellen, was alles geschehen muss, um die Klimaziele von Paris tatsächlich rechtzeitig zu erreichen, und dann sehen, wie sich die Mittel dafür auftreiben lassen. Simon Pschorr (LLK) sah diese Position auch durch das beratende Institut Ifeu bestätigt: „Das Institut sagt, man solle erst die Ziele setzen und daraus dann die Maßnahmen ableiten. Hier im Rat wollen etliche Herrschaften aber erst einmal schauen, was überhaupt möglich ist, und das Wenige dann verwirklichen. Das geht aber bei derart existenziellen Fragen nicht, denn diese Ziele müssen wir auf Gedeih und Verderb erreichen.“ Anne Mühlhäußer (FGL) zeigte sich gar ziemlich verwundert, dass ausgerechnet jene Ratsmitglieder, die bereit sind, Jahr für Jahr Millionen für die Defizite des Bodenseeforums in die Luft zu blasen, beim Klimaschutz plötzlich jeden Cent zweimal umdrehen wollen.

Der Linke Pschorr verriet bei dieser Gelegenheit übrigens eines der bestgehüteten politischen Geheimnisse der Konstanzer Lokalpolitik: Er hätte sich bei der letzten OB-Wahl einen anderen Oberbürgermeister gewünscht. Aber auch der OB machte aus seinem Herzen keine Mördergrube, als er herzlich erwiderte, er hingegen habe Simon Pschorr seine Stimme gegeben. Touché, / Eins zu null für den OB! (Das reimt sich sogar.)

Mehr Frauen- und Männer-Power

Mehr Einsatz fürs Klima heißt Mehrarbeit in der Verwaltung, und dafür hatte Lorenz Heublein mehrere neue Stellen beantragt, etwa für das Sanierungsmanagement und die Klimaneutralitätsprüfung. Diese Stellen werden, so erläuterte es Thomas Traber, der Leiter des Personal- und Organisationsamtes, für zwei oder drei Jahre aus Bundes- und Landesmitteln bezuschusst, daher kann man sie auch auf diesen Zeitraum befristen und später schauen, ob man sie als städtische Stellen beibehalten will oder nicht. Das missfiel den üblichen Verdächtigen. Die FDP sei gegen neue Stellen, so Achim Schächtle in erzliberaler Manier, da „mehr Stellen mehr Arbeitskreise, mehr Besprechungen und weniger Fortschritt bringen“. Man wisse ja, dass etwa die Handlungsfelder Photovoltaik, Heizung und Wärmedämmung zu beackern seien, und das Geld für die geplanten neuen Stellen könne man viel besser beispielsweise für Solaranlagen ausgeben, für deren Errichtung private Ingenieurbüros bereitstünden [als ob Ingenieurbüros umsonst arbeiteten]. Außerdem schlug er vor, keinen Fachmenschen für die Klimafolgenabschätzung einzustellen, sondern alle im Bauamt so zu schulen, dass sie die Folgen ihres Handelns selbst abzuschätzen lernen.

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Dieser Position widersprach Hans Hertle von der ifeu gGmbH: Bis die Stellen im Herbst besetzt seien, seien die Konstanzer Klimaziele definiert, die neuen Mitarbeiter dringend notwendig und voll damit beschäftigt, die bis dahin bereits beschlossenen Maßnahmen abzuarbeiten. Der Gemeinderat soll am 11. März über ein Szenario „Klima plus“ zum schnellen Absenkung der Emissionen befinden, und im Juli 2021 soll mit dem nächsten Klimaschutzbericht dann auch die Gesamtstrategie vorgelegt werden.

Erste Schritte

Auf Basis des vorliegenden Masterplanes Mobilität wird ein Klimamobilitätsplan erstellt. Darin sind Maßnahmen verzeichnet, die zur CO2-Minderung beitragen. Außerdem gibt es dank dieses Masterplanes mehr Landesgelder zum Aufbau des digitalen Verkehrsmanagements. Außerdem soll ein neues Sanierungsgebiet in Teilen der Stadtteile Königsbau (westlich der Friedrichstr.) und Petershausen-West (nördlich der Wollmatinger Straße) eingerichtet werden. Allerdings erhalten Hausbesitzer in diesem Gebiet für die Sanierung ihrer Hütten keine direkte Förderung, sondern „nur“ steuerliche Vorteile, weshalb sich ihr Zuspruch in Grenzen halten könnte. Zur Erinnerung: 20% der Emissionen werden vom Verkehr erzeugt, die anderen 80% lassen sich am besten vermindern, indem Gebäude saniert und eine neuzeitliche Energie- und Wärmeversorgung installiert wird. Deshalb ist auch die angedachte Wärmenetzplanung unter Federführung der Stadtwerke derart wichtig.

Eine strategische Entscheidung ist es, den rechnerischen Preis von 1 Tonne CO2 künftig auf 155 Euro zu erhöhen. Der Hintergrund: Eine klimaschützende Maßnahme, die 155.000 Euro kostet, rechnet sich bei diesem Preis, wenn sie 1.000 Tonnen CO2 einspart. Bei einem Preis von 15,50 Euro pro Tonne wäre sie nur sinnvoll, wenn sie das Zahnfache, also 10.000 Tonnen CO2 einsparte. Dem zugrunde gelegten Preis für CO2 kommt also eine entscheidende Bedeutung bei allen Klimaschutzmaßnahmen zu. Lorenz Heublein verwies darauf, dass dieser Preis auf Bundesebene nach aktuellen Planungen bis 2025 auf nur 55 Euro steigen soll. Außerdem soll das Hochbauamt noch in diesem Jahr zusätzlich 500.000 Euro für Gebäudesanierungen erhalten und zusätzliche personelle Ressourcen bekommen.

Am Ende wurden alle vorgeschlagenen Punkt angenommen, erwartungsgemäß kamen aber etliche Gegenstimmen aus FDP und CDU gegen die geplanten neuen Stellen. Wie kommentierte das doch Simon Pschorr (LLK)? „CDU und FDP haben wohl den Schuss noch nicht gehört.“

Bäume, Grünflächen und Wartehäuschen

Allerdings gab es im Lauf der Aussprache immer wieder auch kritische Überlegungen. Die Grünen etwa wollten, dass in Zukunft bei der Klimaschutzstrategie auch der Flächenverbrauch berücksichtigt wird. Ewald Weisschedel (FWK) forderte, darauf zu achten, dass alle Maßnahmen sozial ausgewogen sein müssten, und Verena Faustein (Junges Forum), wies auf die Bedeutung der Ernährung fürs Klima hin (wohl vor dem Hintergrund, dass die Fleischproduktion hohe Emissionen mit sich bringt). Und Anne Mühlhäußer merkte skeptisch an, dass alle Versuche, in einer eigens ausgerufenen „Offensive“ private Hausbesitzer von Solarzellen zu überzeugen, bisher kaum irgendwelche Erfolge gezeitigt haben. Nach diesen Erfahrungen ist es natürlich auch sehr fraglich, was ein Sanierungsgebiet Königsbau/Friedhof überhaupt bringen kann, wenn die Immobilienbesitzer damit keinen fetten Reibach machen können.

Für die SPD erinnerte Tanja Rebmann daran, dass ihre Fraktion Begrünung und Solarzellen auf den Buswartehäuschen beantragt habe. Damit erreichte die Debatte endlich ihre religiöse Dimension, das schnöde Hier und Jetzt gründlich transzendierend. Die Wartehäuschen werden in Zusammenarbeit mit einer Außenwerbungsfirma aufgestellt und haben laut Bürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn eine derart geringe Grundfläche, dass sich eine Photovoltaikanlage auf ihnen nicht lohnt, da man unter anderem ja auch teure Kabel verlegen müsste, die die Einspeisung des erzeugten Stromes ins Netz übernehmen usw. Das alles fällt offenkundig in den Bereich eines reinen Showeffektes, etwa so wie die Idee, Radwege mit Solarzellen zu pflastern oder eine Hamsterfarm mit vielen stromerzeugenden Laufrädern zu unterhalten. Trotzdem soll es im Industriegebiet auf einer sonnigen Bushaltestelle eine Versuchsanlage geben und an der Laube ein verschattetes Wartehäuschen begrünt werden. In manchem ist durchaus dem nüchtern denkenden Heinrich Everke von der FDP rechtzugeben: Man muss sich fragen, welche Maßnahmen wirklich etwas für das Klima bringen, welche nur Symbolpolitik sind – und welche nur vorgeblich klimaschützenden Maßnahmen vielleicht aus anderen Gründen sinnvoll sein können, weil sie die Lebensqualität anderweitig erhöhen, wie zum Beispiel neue Bäume im Stadtgebiet, deren Pflanzung und Unterhalt pro Stück mit etwa 3.000 Euro veranschlagt wurde und die das Herz des Menschen einfach erfreuen würden.

Milchmädchen rechnen nicht

Auch ein anderes Problem wurde von mehreren Seiten angesprochen, nämlich jenes der genauen Taxierung von Klimaschutzmaßnahmen. Natürlich, daran erinnerte Jürgen Ruff (SPD), wird die Verwaltung versuchen, der Öffentlichkeit jeden Cent, den sie für eine Gebäudesanierung ausgibt, als Geld für den Klimaschutz unterzujubeln, auch wenn diese Sanierung eh überfällig war.

In der Logik einer zum Klimaschutz verdonnerten Verwaltung kosten beispielsweise sechs Elektrobusse 3.960.000 Euro. Daraus werden im Zuge des unvermeidlichen Eigenlobes wie von Zauberhand ganz schnell auch mal 3.960.000 Euro für den ÖPNV plus 3.960.000 Euro für den Klimaschutz – und wenn alle Stricke reißen auch gleich noch 3.960.000 Euro für die Schulen (weil die Dinger sich ja auch als Schulbusse einsetzen lassen). Macht summa summarum 11.880.000 Euro sozialer und ökologischer Wohltaten, die sich die Verwaltung bei verschiedenen Gelegenheiten zugutehalten könnte.

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Dabei wären in Wirklichkeit nur die Mehrkosten der E-Busse und Ladeanlagen gegenüber Bussen mit herkömmlichem Antrieb wirklich als Klimaschutzmaßnahmen anrechenbar (ca. 2,5 Millionen), wovon allerdings auch der billigere Betrieb sowie die längere Laufzeit der E-Busse abgezogen werden müssten – ein ziemlich komplexes Rechenexempel, an dessen Ende sich ergeben könnte, das die echten Kosten (Total Cost of Ownership) über die Gesamtlaufzeit pro gefahrenem Kilometer gar nicht so viel höher liegen als jene der herkömmlichen Busse. Der Klimaanteil der neuen Busse als Ersatz für die alten läge finanziell am Ende wohlmöglich in der Gegend von null (weil sich die Kosten pro km am Ende kaum von den bisherigen Bussen mit Stinkemotor unterscheiden), der Gewinn betrüge dann aber viele Tonnen CO2 zu je 155,- Euro.

Das alles hört sich ziemlich trickreich an, und man kann sich fragen, ob solche Wirtschaftlichkeitsberechnungen der Weisheit letzter Schluss sind, wo es doch um nichts Geringeres geht als um die Rettung der Welt und der Menschheit.

Aber mit den beschriebenen, nur allzu menschlichen und daher verlockenden kleinen Fouls könnte Konstanz schnell erringen, was selbst Jogi Löw und seinen Mannen versagt blieb: Der selbstverliehene Titel des Klima-Sozial-Verkehrs-Bildungs-Weltmeisters.

O. Pugliese (Bild: Justin1569 at English Wikipedia, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)

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