Anders (als) gewohnt

Die Baugemeinschaft Habitat Grenzbach plant im Konstanzer Stadtteil Paradies ein innovatives Wohnprojekt, das eine ökologische und soziale Wende im innerstädtischen Wohnungsbau verspricht. Und sucht dazu noch weitere Mitstreiter:innen.

Gemeinderatssitzung Tagesordnungspunkt 23. Business as usual: Der Gemeinderat beschließt, auf sein Vorkaufsrecht für ein an der Ecke Riedstraße/Max-Stromeyer-Straße zur Unterbringung von Flüchtlingen vorgesehenes Gebäude zu verzichten. Stattdessen will er dieses anmieten – so wie im Fall des ehemaligen Siemensareals, wo sich nach dem Verzicht auf städtisches Vorkaufsrecht das Technologiezentrum teuer einmietete. Statt das für die Flüchtlinge vorgesehene Gebäude für 4,63 Millionen Euro zu kaufen, mietet die Stadt es nun auf zehn Jahre für 5 Millionen Euro oder je nach Inflation auch mehr. So geht Wirtschaftsförderung!

Unter Tagesordnungspunkt 24 dann aber Erstaunliches: Ein Grundstück am Grenzbach mit dem Gebäude des Medizingeräteherstellers Nouvag, gleich neben dem früheren Technologiezentrum, soll für den Wohnungsbau gekauft werden! Die Verwaltung sei sich mit dem Eigentümer einig; 4 Millionen Euro sollen fließen. Eine gute Nachricht: Die Stadt erwirbt Flächen, die sie für den Wohnungsbau in Erbpacht zu vergeben beabsichtigt.

[the_ad id=“94028″]Eine schlechte Nachricht aber auch hier: Der bisherige Eigentümer wird einen guten Schnitt machen. War doch sein als Mischgebiet eingestuftes Grundstück bisher nur 1,8 Millionen Euro wert, wovon noch die Abrisskosten des maroden Fabrikbaus abzuziehen wären. Mit der geplanten Wohnbebauung steigt der Grundstückswert auf das 2,5-fache, ohne dass der Besitzer einen Finger krumm machen musste. Angesichts dieser Wertsteigerung einer Umwandlung von Misch- in Wohngebiet haben auch die störrischen Grundbesitzer:innen, die ihre Äcker im Baugebiet Hafner partout nicht freiwillig an die Stadt verkaufen wollen, gute Gründe, auf die Enteignung zu spekulieren: Dann werden sie nämlich für den vollen Wert des künftigen Baulands (abzüglich Entwicklungskosten) entschädigt.

Gewinn bleibt privat, der Verlust gehört dem Staat

Im Fachjargon spricht man von planungsbedingter Bodenwertsteigerung, die nicht der Gemeinde, sondern allein den Grundeigentümern zugute kommt. Geht es jedoch anders herum, wird also ein Grundstück durch die Planung der Gemeinde abgewertet, so steht den Eigentümer:innen ein Schadenersatz zu.

Seit Gründung der Bundesrepublik haben sich politische Schwergewichte wie der frühere SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel und andere Wohnungspolitiker erfolglos daran abgearbeitet, diese schreiende Ungerechtigkeit zugunsten einer Sozialbindung des (Grund-)Eigentums zu beheben. So bleibt etwa die Bestimmung der Bayerischen Verfassung „Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen“, noch immer ein leeres Versprechen: Es wird praktisch nicht umgesetzt.

Doch zurück an den Grenzbach. Hier hat die Stadt 2021 ein Planungsverfahren vorgenommen, um das Areal des früheren Technologiezentrums nebst angrenzendem Fabrikgebäude „sukzessive mit Wohn-, Arbeits-, Gewerbe- und Kulturflächen zu füllen.“ Gebraucht wurde damals vor allem eine neue Bleibe für den im Personalbau des Palmenhauses angesiedelten Flüchtlingstreff Café Mondial. Der Bau sollte abgerissen und die Fläche renaturiert werden, um so den Biotopverlust durch den Bau der Grenzbachtrasse zu kompensieren. Inzwischen hat sich Café Mondial jedoch den Verbleib am aktuellen Standort erstritten.

Sozial statt mittelpreisig

Mit dem anzukaufenden Grundstück besitzt die Stadt dann am Grenzbach zwischen Schulthaiß- und Blarerstraße einen durchgehenden Geländestreifen (siehe Abbildung). Bleiben soll die dort im letzten Jahr neu eröffnete Kindertagesstätte. Die übrigen Flächen will man jedoch in Erbpacht an eine Baugruppe vergeben. Hier sieht der Siegerentwurf des Planungswettbewerbs ein dreigliedriges, in Holzbauweise mit Laubengängen erstelltes Wohnhaus für 130 Menschen vor, das in der Mitte ein zu erhaltendes Bestandsgebäude (mit Gewerbenutzung) überspannt.

Eine Baugruppe steht mit „Habitat Grenzbach“ bereits in den Startlöchern. Die Macher:innen um Sabine Seeliger, ehemals Gemeinderätin der Freien Grünen Liste, und Günther Schäfer, Moster und auch mal Landtagsabgeordneter der Grünen, planen nichts Geringeres als eine ökologische und soziale Wende im innerstädtischen Wohnungsbau. Während die Stadt an Wohnungen „im mittleren Preissegment“ denkt, wagt sich die Habitat-Gruppe an den sozialen Wohnungsbau, von dem es ja gemeinhin heißt, er rechne sich nicht mehr.

Flexible Satelliten

Wie soll das gehen? Alle Wohnungen orientieren sich an den förderfähigen Größen für sozial gebundenen Wohnraum. Günstige Erbpacht, hohe Standardisierung auch beim Innenausbau und ein durchgehendes vertikales Raster der Grundrisse senken die Kosten. Ein gewisser Anteil von Wohnungen wird auch an Menschen ohne Wohnberechtigungsschein für sozial Benachteiligte vergeben. Die zahlen dann aber mehr pro Quadratmeter und subventionieren so die Miete für Menschen in prekären Verhältnissen. Hausverwaltung, Hausmeisterdienste, Gartenpflege und dergleichen werden von den Bewohner:innen in Gemeinschaftsarbeit erledigt – das senkt die Nebenkosten.

Eine von vielen Besonderheiten von Habitat Grenzbach sind die geplanten Cluster-Wohnungen. Dabei gruppieren sich mehrere selbstständige Wohneinheiten („Satellitenwohnungen“) mit je ein oder zwei kleinen Zimmern, Teeküche und Bad um einen großen Gemeinschaftsraum („Shared Space“) mit Aufenthalts-, Koch- und Essbereich. Diese Wohnform gewährt gleichermaßen Raum für Rückzug wie für Gemeinschaft. „Die persönlichen Flächen fallen eher klein aus“, so Schäfer, „der Komfort des Wohnens entsteht durch die Gemeinschaftsflächen.“ Wichtig ist der Baugruppe auch die Möglichkeit zum Wohnungstausch innerhalb des Hauses. Menschen sollen in verschiedenen Lebensphasen genau soviel privaten Raum erhalten, wie sie brauchen.

Noch ist offen, wie sich die Baugemeinschaft rechtlich organisiert. Alternativ zur mit hohen Anlaufkosten verbundenen Gründung einer Genossenschaft gibt es die Option, sich als Projekt in das Mietshäuser Syndikat (MHS) einzubringen. Dies würde dem Habitat Grenzbach auch Kredite aus dem Solidarfonds des MHS erschließen.

Modell Mietshäuser Syndikat
Im Mietshäuser Syndikat sind aktuell deutschlandweit knapp 200 Hausprojekte in einem losen Verbund organisiert. Jedes Projekt ist eine eigenständige Hausbesitz-GmbH mit zwei Gesellschaftern: dem aus der Hausgemeinschaft bestehendem Hausverein und dem Mietshäuser Syndikat. Der Hausverein entscheidet über alle Belange des Haus selbst. Nur beim Hausverkauf oder der Aufteilung in Eigentumswohnungen hat das Syndikat ein Vetorecht. Und verhindert so gemäß seinem Zweck die kapitalistische Verwertung der Immobilie.

Termine: Die Baugemeinschaft Habitat Grenzbach lädt Interessierte zu zwei Info-Abenden ein – jeweils Freitag, 18. August und 22. September. Beginn 19.30 Uhr ins Café Mondial, Palmenhauspark am Alten Graben.

Text und Fotos: Ralph-Raymond Braun. Im Bild oben: Günther Schäfer und Sabine Seeliger von Habitat Grenzbach vor dem noch stehenden Firmengebäude der Nouvag.