Angst essen Wähler auf
Nichts treibt Menschen so sehr an die Wahlurne wie die Angst, meint Michael Lünstroth in seinem Gastkommentar. Hätte es noch eines Beweises für diese These bedurft, das Ergebnis der Oberbürgermeisterwahl in Konstanz, der grössten Stadt am Bodensee, hat ihn geliefert, ist der Redaktionsleiter des Ostschweizer Magazins thurgaukultur.ch überzeugt.
Uli Burchardt bleibt also Oberbürgermeister der Stadt Konstanz. Der CDU-Mann mit zartgrünem Anstrich und Zweitagebart hat die Niederlage im ersten Wahlgang vor drei Wochen gegen seinen links-grünen Kontrahenten Luigi Pantisano in der zweiten Runde in einen Sieg umgewandelt: Er holte 49,5 Prozent aller abgegebenen Stimmen. Pantisano lag gute vier Prozentpunkte und knapp 2000 absolute Wählerstimmen dahinter. Ein Triumph für den Amtsinhaber?
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Eher nicht. Dass der frühere Marketing-Chef der Nobel-Marke Manufactum im Amt bleiben darf, verdankt er weniger seiner eigenen überzeugenden Vorstellung, sondern vielmehr einer diffusen Angst bei vielen Konstanzerinnen und Konstanzern vor einem Linken im Rathaus.
Der „Hausbesetzer-Sympathisant“
Diese Ängste haben Burchardts Wahlkampfteam und die ihn unterstützenden Parteien, mit freundlicher Unterstützung der lokalen Zeitung „Südkurier“, in der Endphase des Wahlkampfes gezielt geschürt: Pantisano sei einer, der schöne Versprechungen mache ohne zu sagen, wie das alles zu finanzieren sei. Ein Hausbesetzer-Sympathisant, der für den Klimaschutz den Wohlstand der Stadt gefährde.
So entstand ein Zerrbild des Kandidaten Pantisano, dem dieser am Ende nichts mehr entgegen setzen konnte. Als Pantisano schliesslich in der für Konstanz so wichtigen Frage, wie viele neue Wohnungen die Stadt braucht, und wie das alles mit den Klimaschutzbemühungen einhergehen soll, unklar blieb, war es um ihn geschehen.
Die Angst besiegte den Mut: Das im Kern immer noch sehr bürgerliche Konstanz schreckte vor der eigenen Courage zurück. Und machte dann mehrheitlich das Kreuzchen doch lieber bei dem konservativen Uli Burchardt. Der holte am gestrigen zweiten Wahlgang fast 7000 Stimmen mehr als im ersten Wahlgang. Die Wahlbeteiligung, die bei früheren OB-Wahlen um die 40-Prozent-Marke dümpelte, stieg auf 61,4 Prozent. Nichts mobilisiert Wählerinnen und Wähler so gut wie die Angst vor ungewollter Veränderung.
Tatsächlich standen mit dem Stadtplaner Luigi Pantisano, Kind italienischer Gastarbeiter mit bemerkenswerter Aufstiegsgeschichte, einerseits und dem erfahrenen Amtsinhaber Uli Burchardt aus gutbürgerlichem Elternhaus andererseits zwei verschiedene Politikentwürfe zur Wahl. Angetrieben von Klimaschutz und der Vision einer solidarischen Gesellschaft wollte der 41-jährige Pantisano den Wandel nach Konstanz bringen. Uli Burchardt, 49, ist da bedächtiger. Zwar ist er auch irgendwie für Klimaschutz, aber vor allem dann, wenn es nicht wehtut.
Alte Gräben aufgerissen
Das Ergebnis zeigt dann auch ganz schön, dass Burchardt offenbar näher an der Mentalität der Stadt liegt als Pantisano: Klimaschutz ist vielen Menschen in der grössten Stadt am Bodensee schon irgendwie wichtig, aber ein schönes Leben ohne grossen Verzicht den meisten vielleicht doch noch ein bisschen wichtiger.
Wie zukunftsfähig diese Haltung ist, werden die nächsten Jahre zeigen. Acht Jahre, so lange dauern die Amtszeiten für Oberbürgermeister in Baden-Württemberg. Uli Burchardt hat nun die Chance zu beweisen, dass auch seine Vision eines Wandels durch Kontinuität erfolgreich sein kann – für die jetzigen, aber auch für nachfolgende Generationen. Er steht vor einer Mammutaufgabe.
Vor allem, weil die Stadt so gespalten ist wie selten. Der Wahlkampf hat die Gräben zwischen den Lagern vertieft. Hier die eher progressiveren Milieus rund um die Hochschulen der Stadt, dort die Beharrungskräfte einer sehr bürgerlichen Schicht. Das knappe Ergebnis von 49,5 Prozent (20.116 Stimmen) zu 45,1 Prozent (18.319 Stimmen) bildet genau diese Spaltung ab. Auch die Arbeit im Gemeinderat dürfte nicht leichter werden, der raue Ton im politischen Wettstreit hat zu Verletzungen auf beiden Seiten geführt. Es droht politischer Stillstand.
Wenn Uli Burchardt schlau ist, schaut er sich jetzt ein paar Eigenschaften seines Kontrahenten Luigi Pantisano ab. Der konnte auf Menschen unvoreingenommen zugehen, im Gespräch zuhören und sich von Gegenargumenten auch mal überzeugen lassen. Einen solchen Brückenbauer braucht Konstanz jetzt. Sonst werden in acht Jahren dieselben Debatten geführt wie heute.
Michael Lünstroth (zuerst erschienen bei saiten.ch)
Bild: Uli Burchardt in Erwartung des Wahlergebnisses am 18.10. im Bodenseeforum (Foto: H. Reile)
Thomas Leba: Diese Aufkleber waren sicher schon vor dem ersten Wahldurchgang da. Dazu brauchte es keine weitere Panikmache des Südkurier. Peter Groß kann ich mich wieder einmal nur anschließen.
@Thomas Leba. Gerade Handwerker sollten wissen, dass sie die Wohnungen die sie heute bauen, nach Fertigstellung nicht mehr bezahlen können. Die Frage ist offen, waren das Handwerker mit tariflicher Bindung in Festanstellung? Kamen die Aufkleber von den Handwerkskammern oder vom Boss? Waren das jene Bauarbeiter, die als Soloselbstständige von „der Hand in den Mund“ leben, die nur einen Bruchteil der Einnahmen versteuern, ihren SUV bar bezahlen oder sogar jene die vor Tagesanbruch als Scheinselbstständige, beispielsweise rumänische Baukolonne aus einer überbelegten, versifften Unterkunft abgeholt werden? Das Bild, das ich jetzt gerade in diesem Zusammenhang im Kopf habe gleicht Bier berauschten amerikanischen Trump-Anhängern, die ihr „Wir sind deine Kerle Uli“ in die herbstliche Konstanzer Nachtluft grölen, weil ein Großteil öffentlicher Bauten aus der Stadtkasse bezahlt wird. Vergleich BoFo.
@ Thomas Leba
Na klar, und Blitzmerker wie Sie haben eben gleich gecheckt, dass ökologisches Bauen eh keinen Profit bringt. Gute Nacht und herzlichen Glückwunsch!
Wenn der Kandidat L. Pantisano die geplanten Neubaugebiete nicht in Frage gestellt hätte wäre er jetzt Bürgermeister. Viele Handwerker hatte einen Aufkleber auf dem Fahrzeug “ Handwerker wählen Uli“.
…vielleicht etwas blumig ausgedrückt, aber L.P. war , neben seiner unbestrittenen fachlichen Kompetenz, auch ein „Kandidat der Herzen“ (die Szenen am Marktstand sprachen für sich) und um das zu zerstören, musste die Gegenseite schon alle Register des Angstmachens ziehen.
Wie auch immer, da muß ich Malte Ebers Recht geben, die Menschen machen sich trotzdem ihr eigenes Bild – aber sie machen es eben nicht aus freien Stücken.
Treffende Analyse von Michael Lünstroth; dem ist nichts hinzuzufügen