Antifaschismus muss gemeinnützig bleiben

Anfang November hat das Finanzamt Berlin der Bundesvereinigung der VVN-BdA die Gemeinnützigkeit entzogen. Ein bürokratischer Akt mit fataler politischer Wirkung, versetzte man damit doch der ältesten antifaschistischen Organisation der Republik einen existenzbedrohenden Schlag. Ein verheerendes Signal, zumal in Zeiten grassierender Naziumtriebe auf deutschen Straßen und in Parlamenten. Esther Bejarano, Shoah-Überlebende und Vorsitzende des Auschwitz-Komitees, hat deswegen jetzt einen Brief an Bundesfinanzminister Olaf Scholz geschrieben.

Von Überlebenden der Konzentrationslager und Gefängnisse zwei Jahre nach der Befreiung vom Hitler-Faschismus gegründet, ist die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten nicht nur die älteste, sondern auch die größte überparteiliche und überkonfessionelle Organisation von Antifaschistinnen und Antifaschisten im Land. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, für die Interessen von Verfolgten und Widerstandskämpfern sowie deren Nachkommen einzutreten. Mit ihren Aktivitäten sorgt die Vereinigung auch für Aufklärung über aktuelle neofaschistische Umtriebe und müht sich, breite Bündnisse gegen den Vormarsch der Rechten zu organisieren. So auch in der Bodensee-Region, wo Mitglieder der Kreisvereinigung immer wieder am Zustandekommen von Bürgerprotesten gegen Nazi-Aufmärsche mitwirken. Verdienste erworben hat sich der lokale VVN-BdA-Verband zudem etwa durch das jährliche Gedenken an die Opfer des KZ-Außenlagers in Überlingen oder die beharrliche Aufklärungsarbeit des VVN-Aktivisten Fritz Besnecker in der Singener Geschichtswerkstatt.

Was ist gemeinnützig? Zur Entscheidung eines Finanzamtes

Sehr geehrter Herr Minister Scholz,

seit 2008 bin ich die Ehrenvorsitzende der VVN–BdA, der gemeinnützigen Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, gegründet 1947 von Überlebenden der Konzentrationslager und NS-Verfolgten. Die Arbeit der Antifa, die Arbeit antifaschistischer Vereinigungen ist heute – immer noch – bitter nötig. Für uns Überlebende ist es unerträglich, wenn heute wieder Naziparolen gebrüllt, wenn jüdische Menschen und Synagogen angegriffen werden, wenn Menschen durch die Straßen gejagt und bedroht werden, wenn Todeslisten kursieren und extreme Rechte nicht mal mehr vor Angriffen gegen Vertreter des Staates zurückschrecken.

Wohin steuert die Bundesrepublik?
Das Haus brennt – und Sie sperren die Feuerwehr aus!, wollen der größten und ältesten antifaschistischen Vereinigung im Land die Arbeit unmöglich machen? Diese Abwertung unserer Arbeit ist eine schwere Kränkung für uns alle.

„Die Bundesrepublik ist ein anderes, besseres Deutschland geworden“, hatten mir Freunde versichert, bevor ich vor fast 60 Jahren mit meiner Familie aus Israel nach Deutschland zurückgekehrt bin. Alten und neuen Nazis bin ich hier trotzdem begegnet. Aber hier habe ich verlässliche Freunde gefunden, Menschen, die im Widerstand gegen den NS gekämpft haben, die Antifaschistinnen und Antifaschisten. Nur ihnen konnte ich vertrauen.

Wir Überlebende der Shoah sind die unbequemen Mahner, aber wir haben unsere Hoffnung auf eine bessere und friedliche Welt nicht verloren. Dafür brauchen wir und die vielen, die denken wie wir, Hilfe! Wir brauchen Organisationen, die diese Arbeit unterstützen und koordinieren.

Nie habe ich mir vorstellen können, dass die Gemeinnützigkeit unserer Arbeit angezweifelt oder uns abgesprochen werden könnte! Dass ich das heute erleben muss! Haben diejenigen schon gewonnen, die die Geschichte unseres Landes verfälschen wollen, die sie umschreiben und überschreiben wollen? Die von Gedenkstätten ‚als Denkmal der Schande‘ sprechen und den NS-Staat und seine Mordmaschine als ‚Vogelschiss in deutscher Geschichte‘ bezeichnen?

Begründet hat die Berliner Finanzverwaltung den Entzug der Gemeinnützigkeit mit dem Verweis auf den bayerischen Verfassungsschutz, der die dortige Landesvereinigung als „linksextremistisch beeinflusst“ einstuft. Ausgerechnet jenen Inlandsgeheimdienst als Kronzeugen zu bemühen, der seit Jahren vor allem durch Versagen oder Unwillen im Kampf gegen rechte Umtriebe auffällt, legt politische Absicht nahe. Zumal 2018 eine Prüfung des VVN-Landesverbands in Nordrhein-Westfalen mit einer Bestätigung der Gemeinnützigkeit geendet hatte. Nicht nur die VVN-BdA selbst weist den Extremismus-Vorwurf zurück. In Bayern setzen sich selbst SPD-Politiker wie der Landtagsabgeordnete Florian Ritter gegen die Erwähnung der VVN-Landesvereinigung im Verfassungsschutzbericht ein. Für ihn ist die Organisation „ein wichtiger Brückenbauer und Moderator in Bündnissen“. Und Martina Renner, Sprecherin der Linksfraktion für Antifaschismus, hält es für einen „Skandal, dass eine so zwielichtige Institution wie der Inlandsgeheimdienst über den demokratischen Charakter und in Folge über den Fortbestand von Organisationen wie der VVN-BdA entscheiden darf.“

In den vergangenen Jahrzehnten habe ich viele Auszeichnungen und Ehrungen erhalten, jetzt gerade wieder vom Hamburger Senat eine Ehrendenkmünze in Gold. Mein zweites Bundesverdienstkreuz, das Große, haben Sie mir im Jahr 2012 persönlich feierlich überreicht, eine Ehrung für hervorragende Verdienste um das Gemeinwohl, hieß es da. 2008 schon hatte der Bundespräsident mir das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse angeheftet. Darüber freue ich mich, denn jede einzelne Ehrung steht für Anerkennung meiner – unserer – Arbeit gegen das Vergessen, für ein „Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus“, für unseren Kampf gegen alte und neue Nazis.

Wer aber Medaillen an Shoah-Überlebende vergibt, übernimmt auch eine Verpflichtung. Eine Verpflichtung für das gemeinsame NIE WIEDER, das unserer Arbeit zugrunde liegt.

Und nun frage ich Sie:
Was kann gemeinnütziger sein, als diesen Kampf zu führen?
Entscheidet hierzulande tatsächlich eine Steuerbehörde über die Existenzmöglichkeit einer Vereinigung von Überlebenden der Naziverbrechen?

Als zuständiger Minister der Finanzen fordere ich Sie auf, alles zu tun, um diese unsägliche, ungerechte Entscheidung der Aberkennung der Gemeinnützigkeit der Arbeit der VVN–BdA rückgängig zu machen und entsprechende Gesetzesänderungen vorzuschlagen.

Wir Überlebenden haben einen Auftrag zu erfüllen, der uns von den Millionen in den Konzentrationslagern und NS-Gefängnissen Ermordeten und Gequälten erteilt wurde. Dabei helfen uns viele Freundinnen und Freunde, die Antifaschistinnen und Antifaschisten – aus Liebe zur Menschheit! Lassen Sie nicht zu, dass diese Arbeit durch zusätzliche Steuerbelastungen noch weiter erschwert wird.

Mit freundlichen Grüßen

Esther Bejarano
Vorsitzende Auschwitz-Komitee in der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Ehrenvorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

N.B.: Dieser Brief wird auch an Fraktionen im Bundestag, an Medien und Freundeskreise weitergeleitet.


Solidarität üben

Der VVN-BdA stehen nun vorerst Steuernachforderungen in fünfstelliger Höhe ins Haus. Dabei wird es nicht bleiben: Weitere, erhebliche Nachforderungen sind zu erwarten, und auch zukünftig drohen wesentlich höhere steuerliche Belastungen. Damit ist die antifaschistische Organisation in ihrer Existenz bedroht. Um die Kaltstellung einer zivilgesellschaftlichen Gruppe zu verhindern, die die Gesellschaft gegen rassistische, antisemitische, nationalistische und neofaschistische Angriffe verteidigt, braucht es jetzt Solidarität.

Eine Petition gegen die Aberkennung der Gemeinnützigkeit kann hier unterzeichnet werden.

Und wer ein besonders deutliches Zeichen der Solidarität setzen will, kann hier Mitglied der VVN-BdA werden.

MM/jüg (Foto: Sabine Bade)