Antisemitismus auf dem Fußballfeld
Alex Feuerherdt (40) ist Lektor und freier Autor. Er lebt in Bonn und schreibt u.a. für die Jüdische Allgemeine, KONKRET, den Tagesspiegel und Jungle World. Und er hält Vorträge wie jüngst in Konstanz. Für alle, die diesen hörenswerten Vortrag verpasst haben, dokumentieren wir den Text in mehreren Folgen. Hier Folge eins:
Lassen Sie mich meinen Vortrag mit einer Episode beginnen, die sich vor etwas mehr als drei Jahren in Berlin zutrug, nämlich bei einem Spiel der Kreisliga B (viel tiefer geht es im Fußball nicht mehr). Es standen sich Ende September 2006 gegenüber: die Reservemannschaften der Volkssportgemeinschaft Altglienicke und des jüdischen Klubs Makkabi Berlin. Gleich nach Spielbeginn fing eine Gruppe von rund 30 Neonazis an, unablässig Hassparolen zu grölen: „Synagogen müssen brennen“, „Auschwitz ist wieder da“, „Dies ist kein Judenstaat, dies ist keine deutsche Judenrepublik“, „Vergast die Juden“ und „Wir bauen eine U-Bahn bis nach Auschwitz“. Der Schiedsrichter wollte davon jedoch nichts mitbekommen haben und reagierte auch auf mehrere eindringliche Hinweise von Makkabi-Spielern nicht. Der gastgebende Verein aus Altglienicke blieb ebenfalls untätig. Nach 78 Minuten verließen die Gästekicker deshalb den Platz; die Partie war damit vorzeitig beendet.
Im Verlauf der folgenden Sportgerichtsverhandlung gaben sowohl der Schiedsrichter als auch die Verantwortlichen von Altglienicke an, keinerlei antisemitische Schmähungen gehört zu haben, obwohl sie nachweislich nur wenige Meter von den Neonazis entfernt gestanden und selbst Vereinsmitglieder sich auf der Homepage von Altglienicke bei Makkabi für das Verhalten eines Teils der Zuschauer entschuldigt hatten. Dennoch stellte Makkabi den Antrag, das Spiel nicht gegen Altglienicke zu werten, sondern es an einem neutralen Ort unter regulären Bedingungen zu wiederholen. Dadurch wollte der Klub verdeutlichen, dass die sportliche Entscheidung auf dem Spielfeld gesucht werden sollte und nicht am „grünen Tisch“.
Der Schiedsrichter darf weiter pfeifen
Der Schiedsrichter wurde vom zuständigen Sportgericht zunächst lebenslänglich gesperrt; inzwischen darf er allerdings wieder Spiele pfeifen, weil eine höhere Sportgerichtsinstanz „Verfahrensfehler“ festgestellt haben wollte. Die Volkssportgemeinschaft Altglienicke hingegen kam ausgesprochen glimpflich davon: Ihre Reservemannschaft musste lediglich zwei Heimspiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit austragen, die in den Kreisligen ohnehin kaum präsent ist; sie musste an einem „Seminar gegen Rassismus“ teilnehmen und fortan Platzordner stellen, die bei antisemitischen oder rassistischen Parolen einschreiten sollen.
Geldstrafen, Punktabzüge oder Sperren gab es hingegen nicht. Das anberaumte Wiederholungsspiel verlor Makkabi, weil die Reserve von Altglienicke sieben Spieler aus der ersten Mannschaft des Vereins eingesetzt hatte.
Der fällige Protest Makkabis gegen die Spielwertung wurde dennoch letztinstanzlich abgeschmettert; dadurch stieg die Reserve des Vereins nicht in die nächsthöhere Spielklasse auf. Die Sturheit und Hartnäckigkeit, mit der sich die zuständigen sportgerichtlichen Instanzen dabei in den Verhandlungen sämtlichen Kompromissvorschlägen verweigerten, legten den Verdacht nahe, dass hier ein unliebsamer Verein benachteiligt werden sollte. „Werden wir etwa so behandelt, weil wir ein Verein mit jüdischen Wurzeln sind?“, fragte Makkabis Präsident Tuvia Schlesinger. Und man muss sagen: Offenkundig ja.
Aus einem Fußballspiel wird eine rechtsradikale Demonstration
Die Ereignisse in Altglienicke sind durchaus kein Einzelfall, denn immer wieder kommt es insbesondere bei Fußballspielen in unteren Ligen zu antisemitischen und rassistischen Ausschreitungen. Im Mai 2007 beispielsweise verwandelten Jugendliche am so genannten Vatertag ein Jugendfußballspiel von 14-Jährigen im sächsischen Wurzen in eine rechtsradikale Demonstration.
Dem Bericht der 22-jährigen Schiedsrichterin Christine Weigelt zufolge wurden bereits kurz nach dem Anpfiff die ersten Feuerwerkskörper gezündet und die Gäste aus Chemnitz sowie das Schiedsrichtergespann mit Parolen bedacht wie: „Du Judenschwein“, „Fick deine Mutter, du Judensau“ und „Wir ziehen dir die Vorhaut runter, du Jude“. Ein Zuschauer grölte: „Los, wir formieren uns jetzt zu einem Hakenkreuz!“ Nach einer knappen Stunde wechselten die Gäste einen Spieler vietnamesischer Herkunft ein, der von den jugendlichen Zuschauern fortan als „Nazi Goreng“ und „Fidschischwein“ beschimpft wurde; zudem gab das Publikum Affenlaute von sich, sobald er in Ballbesitz kam.
Der Präsident des Wurzener Vereins bestritt die Vorfälle zunächst hartnäckig, musste sie schließlich aber doch einräumen, nachdem die Polizei die Ermittlungen aufgenommen hatte und überregional über die Geschehnisse berichtet worden war. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei den Neonazis um Spieler einer älteren Jugendmannschaft des Klubs.
Vereinsintern wurden die Beteiligten dazu verurteilt, bei der Erweiterung des Wurzener Sportgeländes selbst den Spaten in die Hand zu nehmen; außerdem wurde ihnen der Besuch der KZ-Gedenkstätte Buchenwald aufgetragen. Anders als im Fall Makkabi Berlins verhängte das zuständige Sportgericht darüber hinaus vergleichsweise drakonische Strafen: Wegen des rassistischen und antisemitischen Verhaltens seiner Zuschauer und des Verstoßes gegen die Platzordnung musste der ATSV Wurzen 1.200 Euro Strafe zahlen. Die betroffene Jugendmannschaft wurde zudem für das nächste Pflichtspiel gesperrt und mit einem Abzug von drei Punkten bedacht.
Ich könnte hier noch zahllose weitere Beispiele nennen – zum Beispiel jenes aus dem April 2008, als Anhänger des Halleschen FC diverse Male in beleidigender Absicht „Juden Jena“ in Richtung der Fans und der Mannschaft der Gäste riefen. Auch hier stellten sich die Verantwortlichen des Vereins zunächst blind und taub und witterten sogar eine „Medienkampagne“ gegen ihren Klub.
Die Staatsanwaltschaft sah keinen Anlass, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten.
Sie konnten jedoch nicht verhindern, dass das Sportgericht den Halleschen FC zu einer Geldstrafe und einem Punktabzug verurteilte. Die Staatsanwaltschaft hingegen sah keinen Anlass, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Der Tatbestand der Beleidigung der Volksverhetzung sei nicht erfüllt, hieß es. Ein Sprecher sagte, der Ruf „Juden Jena“ sei zwar moralisch verwerflich, mit dem Strafrecht aber nicht zu fassen. Daraufhin wiederholte sich das „Juden Jena“-Gebrüll wenige Monate später in Erfurt. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) mag zwar schöne Kampagnen wie „Zeig dem Rassismus die rote Karte!“ ins Leben gerufen haben; in den Niederungen des Amateurfußballs greifen sie allerdings überhaupt nicht, teilweise auch deshalb, weil die regionalen Fußballverbände bisweilen eher ein Teil des Problems als ein Teil der Lösung sind.
Autor/In: Alex Feuerherdt