Arne Engelis Vision von einer Welt ohne Krieg

20140414-001552.jpgAus dem Ostermarsch am Bodensee ist schon vor Jahren der Friedensweg geworden – nun weitgehend von kirchlichen Gruppen organisiert, aber immer noch von rund 70 Organisationen aus allen drei Ländern am Bodensee getragen. Rechtzeitig zum diesjährigen Friedensweg am Ostermontag ein Gespräch mit Arne Engeli, einem der Organisatoren

Das Motto des Bodensee-Friedenswegs heißt „Krieg ächten – Frieden schaffen“. Am Tag unseres Gesprächs droht auf der Krim ein Krieg, in Syrien und andernorts sind grauenhafte Kriege im Gang – wie gehen Sie damit um?

Was das Motto betrifft: Ursprünglich sollte es „Krieg erinnern“ heißen, im Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor hundert Jahren. Das war eine gewaltige Zäsur in der Geschichte – zuvor war Europa ein Kontinent der durchlässigen Grenzen gewesen. „Krieg erinnern“ war dann insbesondere dem Vorarlberger Pax Christi-Vertreter Walter Buder zu neutral. Die Veranstaltung müsse Position beziehen – so kam es zum Begriff „Krieg ächten“. Ein Begriff, der auch vage bleibt. In der UNO-Charta ist das Ziel verankert, „künftige Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren“. Im Rahmen der UNO erfolgen jetzt konkrete Schritte, wenigstens die grausamsten Waffen mit Acht und Bann zu belegen. Wir nehmen also etwas auf, was im Gang ist. Krieg zu ächten heißt natürlich noch nicht, dass er verschwindet. Aber es geht um die Botschaft: Mit Krieg kann man keinen Frieden schaffen.

Arne Engeli, 1936, Politologe und Koordinator des Bodensee-Friedenswegs. Er leitete von 1971 bis 1991 das Bildungszentrum Schloss Wartensee, präsidierte 1992–96 den Schweizerischen Friedensrat und war 1992 Mitinitiant von „Gemeinden Gemeinsam Schweiz“.

Woher kommt Ihre Motivation für Friedensarbeit?

Unter anderem von den acht Jahren, 1993-2001, als HEKS-Programmbeauftragter für das ehemalige Jugoslawien. (HEKS – Hilfswerk der evangelischen Kirchen Schweiz – Anm. d. Red.). Ich habe die furchtbaren Zerstörungen in Vukovar gesehen, in Bosnien, im Kosovo, viele Gegenden sind noch heute unbebaubar, weil sie vermint sind. Noch schlimmer ist das schreckliche Los der Vertriebenen, das Schicksal vergewaltigter Frauen oder der Männer, die zerrüttet aus dem Krieg zurückkamen… Es hat sich mir eingeprägt: Es gibt keinen Grund, der Krieg rechtfertigen würde.

Keine Ohnmachtsgefühle?

Nein, sondern Empörung. Was jetzt in der Ukraine passiert, empört mich. Da ist die imperiale Einmischung Russlands, aber auch Unvernunft bei den Aufständischen: Kaum ist der Diktator gestürzt, wird per Gesetz Russisch als Amtssprache abgesetzt (inzwischen wieder zurück genommen). Das ist kriegstreibend. Wer Frieden will, muss Andersdenkende und Minderheiten respektieren. Davon wird auch meine Rede beim Friedensweg handeln: „Gerechtigkeit schafft Frieden“.

Sie sind trotz Empörung optimistisch?

Mir gefällt der Satz „Eine andere Welt ist möglich“. Ich hatte das Privileg, die Wahrheit dieses Satzes zu erleben – am 9. Oktober 1989 in Leipzig, als Zehntausende für diese Überzeugung auf die Straße gingen und ein Konflikt gewaltfrei gelöst wurde. Es ist also möglich, dass sich Dinge ganz grundlegend ändern. Das ist meine Vision, nach der Empörung. Aber eine solche Veränderung ist jahrelang vorbereitet worden, z.B. unter dem Dach der Kirchen.

Ist der Friedensmarsch ein wirkungsvolles Mittel zur Verbreitung dieser Vision? Sie rechnen mit nur etwa 300 Mitwanderern.

Es ist nicht mehr die Mobilisierung wie bei den früheren Ostermärschen, das stimmt. Es gab eine erste starke Bewegung in den Sechzigerjahren. Auslöser für den ersten Marsch 1963 von Lausanne nach Genf war – man kann sich das fast nicht mehr vorstellen heute – das Volks-Ja zur atomaren Bewaffnung der Schweiz. Wer mitmarschierte, wurde teilweise als Landesverräter beschimpft. Die zweite Bewegung folgte in den Achtzigerjahren als Protest gegen die Nachrüstung und die atomare Bedrohung im Kalten Krieg: 40 000 Leute auf dem Bundesplatz, Tausende auf den Ostermärschen: Die Angst vor einem Atomkrieg mobilisierte damals stark. 1988 fand dann auch der erste Bodensee-Ostermarsch in Bregenz statt. In den Neunzigerjahren flachte das Interesse ab.

Warum?

Dazwischen lag eben 1989 – mit der Auflösung des Ost-West-Konflikts verminderten sich die Bedrohungslage und die Angst vor einem Atomkrieg. Es ging nicht mehr um die große Konfrontation, sondern um lokale Konflikte.

Und heute? Friedlicher ist die Welt ja nicht geworden.

Immerhin ist die Anzahl der Kriege zurückgegangen, es wurde massiv abgerüstet. Aber generell empfinde ich heute ein breites Krisenbewusstsein – ob Klimaerwärmung, Fracking, Gentechnik, Rohstoffhandel, Krieg oder Hunger in der Welt: Man weiß fast nicht, wo anfangen.

Was ist das Dringendste, wofür muss man auf die Straße gehen?

Es ist schwierig geworden, sich auf ein Thema zu fokussieren.

Ist das auch eine Generationenfrage? Marschieren die Jungen an Ostern mit?

6. Internationaler Bodensee-Friedensweg am Ostermontag, 21. April in Lindau
70 Organisationen aus dem Bodenseeraum laden zum diesjährigen Friedensweg am Ostermontag nach Lindau ein. Ein Stationenweg führt um 13 Uhr zu geschichtsträchtigen Orten der Insel: Luitpoldkaserne – Peterskirche – Altes Rathaus, mit kurzen Ansprachen. Die Schlussveranstaltung findet um 15:15 Uhr in der Inselhalle statt. Arne Engeli aus Rorschach, spricht dort zu „Gerechtigkeit schafft Frieden.“ Das Toggenburger Klang-Trio mit Peter Roth musiziert und singt. Weitere Informationen: www.friedensrat.ch und info@friedensrat.ch

Für die Älteren ist es eine Tradition, sie haben zum Teil alle diese Phasen des Friedensprotests miterlebt.Letztes Jahr mischte die Juso Thurgau mit einer Delegation den Friedensweg auf mit Sprechchören und Transparenten. Die Jungen haben jedoch andere Orte für Austausch und Protest¸ in der Ostschweiz etwa das Sufo (Sozial- und Umweltforum Ostschweiz -Anm.d. Red.).

Das Bewusstsein für Friedenspolitik ist nicht schwächer geworden?

Nein. Ich finde es legitim, dass jede Generation ihre eigenen Formen findet.

Sind Sie selber ein friedlicher Mensch?

Eine wichtige Frage… Man muss auf jeden Fall bei sich selber anfangen und schauen: Wie gehe ich in der Familie, mit Freunden, bei der Arbeit, gegenüber den Nachbarn mit Konflikten um? Höre ich auf die Anderen, respektiere ich die Schwächeren? Es dabei zu belassen, wäre mir aber zu individualistisch. Friedensarbeit bedeutet auch, dass wir an den strukturellen Veränderungen arbeiten und gegen die Ausbeutung von Natur und Mensch kämpfen.

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Autor: Peter Surber/www.Saiten.ch