Auf dem Drahtesel mit Tempo 30 von Konstanz nach Singen und zurück

Der Radschnellweg zwischen Konstanz – Radolfzell – Singen könnte einer von zehn sein, die das Land Baden-Württemberg bis 2025 plant. Ob und wie er realisiert werden kann, das wird derzeit in einer vom Landkreis Konstanz in Auftrag gegebenen Machbarkeitsstudie analysiert. Das Vorgehen, den aktuellen Stand und den weiteren Projektverlauf stellten die beiden beauftragten Verkehrsplanungsbüros brenner Bernard GmbH (Stuttgart) und VIA eG (Köln) bei bisher zwei Veranstaltungen in Radolfzell und Singen vor.

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Radfahren ist gut für Klima und Umwelt, hält schlank und fit, ist also gesund (meistens jedenfalls, wenn man nicht gezwungen wird, neben einer zähfließenden Autokolonne in der Rush-hour deren Abgase tief einzuatmen oder gar von einer schweren PS-starken Blechkiste umgenietet wird), praktisch und preiswert dazu (je nach Anspruch und Ausstattung des Bikes, aber jedenfalls günstiger als ein PKW oder der Unterhalt einer Pferdekutsche) und ist damit die ideale Fortbewegungsmöglichkeit im Alltag … oder könnte dies sein, wenn eine entsprechende fahrradfreundliche Infrastruktur vorhanden wäre.

Rund 2.400 RadfahrerInnen pendeln täglich zwischen Konstanz und Allensbach, so das Ergebnis der „Potentialanalyse für Radschnellverbindungen in Baden-Württemberg“ von 2018, was einen vordringlichen Bedarf für einen „Velo-Highway“ auf dieser Strecke deutlich macht. Eine Strecke von mehr als 5 km Länge und mindestens 2.000 RadlerInnen pro Tag, damit sind zwei wichtige Anforderungen für den Bau von Radschnellwegen erfüllt.

Am Anfang ist die Machbarkeitsstudie

Das tägliche Pendeln mit dem Fahrrad im Landkreis soll schneller (durchschnittliche Geschwindigkeit 20 bis 24 km/h) und dazu sicherer werden (30 km/h dank hoher Belagsqualität und freier Strecke sollen gefahrlos möglich sein), sodass AutofahrerInnen, die den zu Stoßzeiten schon obligatorisch zähflüssigen Verkehr oder Stau auf dieser Strecke leid sind, zu einem Umstieg auf den umweltfreundlichen Drahtesel motiviert werden – erhoffen sich die Planer. Dass es funktionieren kann, zeigen die vielen, gut angenommenen Schnellverbindungen in den Niederlanden, in Kopenhagen und die Cycle-Superhighways in London, für deren Einrichtung sich ein gewisser Boris Johnson – als seinerzeitiger Bürgermeister von London – stark engagierte … er konnte auch mal anders als „Brexit“.

Was das Team der beiden Planungsbüros präsentierte, waren die vorgegebenen Qualitätsstandards für Radschnellverbindungen und die notwendigen Arbeitsschritte bei ihrer Machbarkeitsstudie. Radschnellwege müssen – um eine durchschnittliche Fahrtgeschwindigkeit von 20 km/h zu erreichen – „direkt und steigungsarm geführt werden und mit hoher Oberflächenqualität ausgestattet sein“. Nebeneinanderfahren und Überholen muss gefahrlos möglich sein, was bedeutet, „dass Radschnellverbindungen im Zweirichtungsverkehr mit einer Breite von 4,00 m und im Einrichtungsverkehr mit einer Breite von 3,00 m ausgeführt werden.“ Mittlere Zeitverluste pro Kilometer durch Anhalten und Warten sollten außerorts nicht mehr als 15 Sekunden und innerorts nicht mehr als 30 Sekunden pro Kilometer betragen, lautet die Theorie auf Amtsdeutsch. Hier heißt es also auf einer Länge von rund 29 Kilometern die passende Wegführung zu finden, durch zum Teil enge Ortsdurchfahrten (z.B. Allensbach, Böhringen), auch durch Naturschutzgebiet und entlang einer Bundesstraße.

Dass dieser erste Teil der Untersuchung weitgehend abgeschlossen ist, zeigten die Pläne, auf denen mögliche Streckenführungen und Trassenvarianten eingezeichnet waren und über die mit den anwesenden BürgerInnen diskutiert wurde. Anwesend waren in Singen jedoch sehr wenige, nur etwa 30 von immerhin 48.000 EinwohnerInnen. Und das Gros waren sogenannte Best Ager, während die Generationen Y und Z fehlten. Schade, denn hier werden wirklich wichtige Weichen gestellt oder genauer gesagt Trassen für die geforderte Verkehrswende mit dem Ziel der CO2-Neutralität festgelegt. Im kleineren Radolfzell waren es gut doppelt so viele Interessierte.

Show me the way – finde die „Vorzugs-Trasse“

In den Workshop-Gesprächen zeigte sich – wenig überraschend – dass alle Trassenvarianten Vor- und Nachteile haben und es etliche kritische Punkte gibt. Auf der Bundesstraße von Böhringen kommend noch vor der Einfahrt nach Singen zum Beispiel die Brücken und Ampeln bei der Abzweigung Richtung Autobahnauffahrt. Und wo könnte die Fahrradschnellstraße durch Singen gehen? Die Bundes- und Einbahnstraßen Ekkehard- und Freiheitsstraße sind wohl Favoriten – vorausgesetzt der Status Bundesstraße würde aufgehoben. Eine der beiden Straßen dann für den Gegenverkehr zu öffnen und die andere dem Radverkehr vorzubehalten, war ein Vorschlag. Die Trasse durchs Industriegebiet, entlang der Georg-Fischer-Straße wäre eine weitere Alternative. In Radolfzell ergab sich bei der Diskussion, dass zum Beispiel die Führung durch die Ratoldusstraße geeignet sein könnte. In Konstanz sind die Schützenstraße-Schottenstraße oder eine Trasse entlang des Grenzbachs mögliche Varianten – als Anschluss an eine entsprechende Verbindung in den Thurgau.

Die gesammelten Vorschläge werden ein Kriterium bei der Findung der sogenannten „Vorzugs-Trasse“ sein, die zudem die Bedingung erfüllen muss, auf 80 Prozent der Gesamtlänge alle vom Land geforderten Qualitätsstandards zu erfüllen.

Geld oder Leben

Im nächsten Schritt werden die Planungsbüros einen „Steckbrief“ der ausgesuchten Vorzugs-Trasse erstellen. D.h. eine Maßnahmenkonzeption wird ausgearbeitet werden, für Konfliktbereiche müssen Einzellösungen gefunden werden und der Nachweis für die durchgehend hohe Qualität erbracht werden. Danach erfolgt mit der Kosten-Nutzen-Analyse: die Nutzen-Kosten-Abschätzung. Hier eine Zahl zum Vergleich: Die zweite Radschnellverbindung entlang des Bodensees zwischen Baindt und Friedrichshafen wird mit fast derselben Länge (28,6 km) wie Konstanz – Singen mit Baukosten von insgesamt 36,2 Mio. Euro veranschlagt, also 1,2 Mio. Euro pro Kilometer. Ist das viel oder wenig? Kommt wohl ganz darauf an, wie viel den Verantwortlichen Klimaschutz, intakte Umwelt und emissionsfreie Mobilität Wert sind, und nicht zuletzt die Sicherheit und die Gesundheit derjenigen, die zum Nutzen aller emissionsfrei unterwegs sein wollen! Und wie stark das Interesse und der Ruf aus der Bürgerschaft nach dieser neuen Radinfrastruktur sein wird oder ob – wie so oft bei ÖPNV und Bahn – die Autolobby wieder gewinnt bzw. lauter trommelt und besser schmiert.

50 Prozent weniger PkW-Verkehr ist eine Hausnummer, die von der Landesregierung schon mal genannt wird. Das wird aber nicht reichen: 85 Prozent (Elektroautos inbegriffen) müssen es bis 2050 sein, um die Pariser Klimaziele zu erreichen, so eine Studie der Baden-Württemberg-Stiftung (). Nehmen wir an, dass dieses ehrgeizige Ziel endlich einmal nicht wie bisher immer krachend verfehlt werden wird, dann wären die Machbarkeitsstudien für den Radverkehr viel einfacher: Autostraßen könnten mit wenig Aufwand zu Rad(schnell)wegen umgewidmet werden, und Radwege, die zu schmal oder zu schlecht ausgebaut sind, würden entsiegelt und begrünt zu bequemen Fußwegen werden …

Die Machbarkeitsstudie für die Radschnellverbindung Konstanz – Radolfzell – Singen, die zu 80 Prozent aus Landesmitteln finanziert wird, soll im Sommer nächsten Jahres abgeschlossen sein. Am Dienstag, 29. Oktober, 18 Uhr findet im Großen Sitzungssaal des Landratsamtes die dritte Öffentlichkeitsveranstaltung „Radschnellwege“ in Konstanz statt. Auch die Radverkehrs-Koordinatorin des Kreises, Claudia Bierbaum, gibt Auskunft zum Stand der Planung.

Dieter Heise (Text und Foto)