Auf dem Weg in die Expertokratie

Alt-Stadtrat Jürgen Leipold meldet sich zu Wort, wenn es um die Beschneidung von Rechten des Gemeinderats geht (s. dazu die zweiteilige seemoz-Berichterstattung aus der letzten Sitzung des Gemeinderats): Er fürchtet eine Verschiebung der Machtbalance zugunsten von OB und Verwaltung. 

Es gibt kein Auswahlverfahren, das absoluten Schutz vor falschen Personalentscheidungen bietet. Diese sind zwar in ihren Folgen ärgerlich, manchmal auch spektakulär, aber keineswegs die Regel. Ich behaupte (und ich kann einen großen Zeitraum überblicken): In 95 Prozent der Fälle hat der Gemeinderat gut entschieden. Und selbst wenn die Trefferquote etwas geringer angesetzt würde: Eine Begründung, die Machtbalance zwischen Gemeinderat einerseits und OB und Verwaltung andererseits zu verschieben, kann man daraus nicht ableiten.

Natürlich geht es in allererster Linie darum, wer wo was zu sagen hat. Dass ein OB, von der Gemeindeordnung ohnehin mit großer Machtfülle ausgestattet, diese weiter ausbauen will, ist kein spezifisch Burchardt’sches oder Konstanzer Phänomen. Man würde es freilich eher in der zweiten Amtsperiode eines OB und nicht im zweiten Amtsjahr erwarten. Mehr Macht für den OB heißt auch: mehr Macht für die ihm nachgeordnete Verwaltung. Kontinuität ist eine der Säulen einer guten Verwaltung, übersetzt als „Weiter so“ aber keine zwangsläufig gute Maxime bei der Neubesetzung von Positionen. 

Ich habe oft erlebt, dass für die Verwaltung die „Passgenauigkeit“ von Bewerbern, das Einfügen in bestehende Organisations- und Denkstrukturen wichtiger waren als Kreativität, Innovationskraft und die Fähigkeit und der Mut zu eigenständigem Denken. Da helfen auch externe Experten nichts, die üblicherweise und meist ausschließlich die Verwaltung fragen, welche Fähigkeiten denn erwartet werden. Gar „Headhuntern“ faktisch die Auswahl zu überlassen und die Abstimmung im Gemeinderat zu einem mehr oder weniger formalen Bestätigungsakt zu degradieren, ist für mich ein Weg in Richtung Expertokratie – und jeder Schritt dazu ist ein Schritt zu viel.

Dass der letzte Teil des bisherigen Verfahrens öffentlich stattfinde, halte, so wird gesagt, besonders qualifizierte Personen von der Bewerbung ab. Empirisch ist das nicht belegbar (anders als die Konstanzer Miet- und Immobilienpreise!). Zudem: Der öffentliche Auftritt gehört zu den unverzichtbaren Attributen des Führungspersonals in der Stadt und deren Betriebszweigen.

Ich bleibe dabei: Das bisherige Verfahren hat sich bewährt, es muss und soll nicht geändert werden. Um das mit konkreten Beispielen zu unterstreichen: Mit dem jetzt vorgeschlagenen Verfahren wäre ein Hans J. Ammann so wenig Intendant unseres Stadttheaters geworden wie ein Christoph Nix. Den Stadträten, die höchstselbst ihre Befähigung zu Personalentscheidungen bezweifeln, ein altes Bonmot zur Erinnerung: Man muss nicht selbst Eier legen können, um zu wissen, ob ein Ei gut oder schlecht ist. Übrigens: Aufgabe von Stadträten ist es nicht, Verantwortung auf die Verwaltung abzuschieben und sich darauf zu verlassen, dass die schon alles richtig macht.[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]

Autor: Jürgen Leipold