Auf die Straße gegen Erdogans Krieg
Erdogan macht Ernst: Allen internationalen Warnungen zum Trotz hat der Autokrat die türkische Armee für einen Überfall auf Nordsyrien in Marsch gesetzt. Das neue Kriegsabenteuer hat die Vernichtung der kurdischen Autonomieprojekte zum Ziel und soll den Einfluss des autoritären Regimes in Ankara beim Machtpoker um die Neuordnung Syriens stärken. Nicht nur vor Ort formiert sich Widerstand gegen die völkerrechtswidrige Attacke, weltweit demonstrieren Menschen ihre Solidarität mit Rojava. In Konstanz mobilisiert das Solidaritätsbündnis Rojava heute Abend zu einer Mahnwache auf der Marktstätte.
Erdogan hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er die kurdischen Autonomieprojekte im Norden Syriens vernichten will. Auf den Trümmern der durch den Krieg zerstörten Dörfer und Städte bauen dort Menschen seit einigen Jahren, unabhängig von Herkunft, Religion und politischer Gesinnung, friedlich rätedemokratische Gemeinschaften auf, die insbesondere auch einen wichtigen Beitrag zur Frauenemanzipation leisten. Weil der türkische Machthaber diese demokratische Revolution in der Region Rojava, wie sie bei der mehrheitlich kurdischen Bevölkerung heißt, zurecht als Bedrohung autokratischer Herrschaftsstrukturen fürchtet, sollen in einem völkerrechtswidrigen Feldzug jetzt erneut tausende Menschen getötet werden.
Zugleich will Ankara mit der faktischen Annexion eines Teils des syrischen Territoriums das Gewicht der türkischen Staates bei der anstehenden Neuordnung Syriens erhöhen. Die Planspiele der religiös-faschistischen AKP/MHP-Koalition laufen auf eine großangelegte Vertreibung der mehrheitlich kurdischen Bevölkerung hinaus, an deren Stelle Ankara arabischstämmige Syrienflüchtlinge ansiedeln will. Die Blaupause dafür liefert Afrin, das türkisches Militär und verbündete islamistische Hilfstruppen Anfang 2018 überfallen und geschleift hatten. Dort exerzierten Erdogans Besatzer vor, was jetzt den Bewohner*innen ganz Rojavas droht: Mord, Folter, Vergewaltigung und Vertreibung in großem Stil.
Gerade in Deutschland gibt es viele Gründe, gegen Erdogans Absichten auf die Straße zu gehen. Eine Sprecherin der Bundesregierung hat den angekündigten Einmarsch zwar abgelehnt. Tatsächlich arbeitet Berlin aber weiter eng mit dem Regime in Ankara zusammen, wirtschaftlich und militärisch. Wie in Afrin werden auch diesmal deutsche Panzer mit nach Rojava rollen. Innenminister Seehofer hat jüngst gar eine weitere Erhöhung der Milliardenzahlungen für den Flüchtlingsdeal in Aussicht gestellt. Auch mit der anhaltenden strafrechtlichen Verfolgung kurdischer Oppositioneller leistet der deutsche Staat Erdogan willkommene Hilfsdienste.
Sicher ist: Der Aggressor wird auf erbitterten Widerstand stoßen. Nicht nur die Frauen- und Volksverteidigungseinheiten YPJ und YPG, die den entscheidenden Beitrag zur Niederlage des Islamischen Staats geleistet haben, werden sich der NATO-Armee der Türkei entgegenstellen. Die türkischen Truppen und ihre islamistischen Handlanger müssen mit der Gegenwehr vieler Menschen rechnen, die dort unter großen Opfern gerade die Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben in Frieden und Würde aufbauen. Sicher ist aber auch: Je besser es gelingt, das faschistische Regime in der Türkei international unter Druck zu setzen, desto größer ist die Aussicht auf ein Scheitern der Annexionspläne und desto geringer der Blutzoll, den die geschundene Bevölkerung zahlen muss.
Hierzulande stehen Linke und Demokraten geradezu in der Pflicht, Front gegen eine Bundesregierung zu machen, die trotz des Völkerrechtsbruchs mit Ansage das Regime ungerührt weiter mit Geld und Waffen für seinen Krieg versorgt. Ganz zu Schweigen davon, dass die Unterstützung des emanzipatorischen Aufbruchs in Rojava allen am Herzen liegen sollte, die sich für Humanität und Frieden einsetzen.
J. Geiger (Fotos: ANF News, J. Geiger)
Mahnwache: Donnerstag, 10.10., 18.00 Uhr. Wo: Konstanz, Marktstätte.