Auf großer Schokofahrt an die Nordsee

Als städtischer Radverkehrsbeauftragter ist Gregor Gaffga so etwas wie der hauptberufliche oberste Radfahrer von Konstanz. Aber auch privat kann er nicht vom Fahrrad lassen: Jüngst fuhr er mit dem Lastenfahrrad vom Bodensee nach Amsterdam und zurück, um Schokolade für die Schleckermäuler am Bodensee abzuholen – und das praktisch ohne Emissionen.

Wie kommen 555 Tafeln Schokolade, also rund 50 Kilogramm, so gut wie emissionsfrei aus Amsterdam an den Bodensee? Mit dem Lastenrad natürlich, auch wenn das auf den ersten Blick eine ziemliche Schinderei zu sein scheint. Gregor Gaffga saß insgesamt 15 Tage im Sattel und legte dabei 1.720 Kilometer zurück – pro Tag also rund 115 Kilometer. Über den Schwarzwald, ein Stück den Rhein entlang und schließlich – bei ständigem Gegenwind aus allen Richtung, wie er für das Radfahren in der norddeutschen Tiefebene typisch ist, – direktemang von Düsseldorf nach Amsterdam, immer dem Navi nach. Möglich wurde diese Fahrt, die sich für weniger trainierte ZeitgenossInnen eher nach einer Höllenfahrt anhört, durch die Elektrounterstützung seines Lastesels. Zwei Akkus gehörten zum Gepäck, sie wurden unterwegs gewechselt und nachts wieder aufgeladen und sorgten bei Geschwindigkeiten bis zu 25 km/h für die zweite Puste. Mit diesen Hilfsmitteln wurde die Fahrt zur Schokoladenfabrik in Amsterdam (und zurück) nur als etwa so anstrengend wie mit einem normalen Fahrrad empfunden.

Gesegelter Kakao

Was aber macht die Schokolade aus der Stadt Rembrandts so besonders, dass es regelmäßig zweimal im Jahr, zu Ostern und im Oktober, eine Art Sternfahrt dorthin gibt?

Alles beginnt natürlich mit dem Kakao. Der stammt aus der Dominikanischen Republik und wird dort von einer Kooperative mit mehr als 10.000 Mitgliedern ökologisch erzeugt, und die Bauern erhalten für ihr Produkt eine Vergütung, die etwa das Doppelte des Weltmarktpreises beträgt.

Der Transport nach Europa erfolgt dann per Segelschiff, das von einer Spezialfirma Fairtransport Shipping & Trading betrieben wird. Das Schiff heißt „Tres Hombres“, laut Wikipedia handelt es sich dabei um einen 1943 gebauten und erst vor etwa 15 Jahren zum Segelschiff umgerüsteten Kriegsschiffkutter, aus dem der motorische Antrieb entfernt wurde. Die Brigantine hat eine Länge über alles von 32,50 m und eine Breite von 6,35 m und kann 40 t Nutzlast laden. Es gibt eine siebenköpfige Besatzung sowie acht Trainees und bis zu vier Passagiere an Bord.

Eine stürmische Vergangenheit

Das bereits zweimal gesunkene Schiff mit einer äußerst abwechslungsreichen Vergangenheit überquert regelmäßig den Atlantik, und dies vor allem zwischen Skandinavien, Holland, Brasilien und der Karibik. Kaffee, Kakao und auch Rum, also haltbare Genussmittel, sind typische Waren, die heutzutage nach Europa gesegelt werden, so soll es im Weltladen auch gesegelten Kaffee zu kaufen geben. In der Gegenrichtung nach Südamerika werden etwa Stockfisch, französischer Wein und Olivenöl mitgenommen. Bananen allerdings, „die im Supermarkt ja schon als deutsches Obst durchgehen“, wie Gaffga spöttisch anmerkt, werden auf diese Art nicht transportiert, denn gesegelte Produkte sind wegen des hohen Personalaufwands und der begrenzten Lademenge teurer als konventionell transportierte.

In Amsterdam wird aus dem Kakao bei den „Cocolate Makers“ Schokolade, und zwar mit Ökostrom aus den Solarzellen auf dem Fabrikdach. Die verschiedenen Kakaosorten aus mehreren Ländern, mit denen das Unternehmen arbeitet, werden nicht vermischt, sondern getrennt verarbeitet, damit sichergestellt ist, dass bei der Schokofahrt tatsächlich genau dieser emissionsfreie Kakao weiterverteilt wird.

Netzwerk Schokofahrt

Bei der Fahrt, die zum elften Mal stattfand, haben rund 160 TeilnehmerInnen aus Deutschland mitgemacht. Menschen aus Berlin und Dresden, aus dem Ruhrgebiet, aus Aachen und Karlsruhe, aus Konstanz, Freiburg und München. Was sind das für Leute, ist das vielleicht ein verkappter Betriebsausflug der Radbeauftragten deutscher Städte? Gregor Gaffga war zwar nicht der einzige Radbeauftragte im TeilnehmerInnenfeld, aber das war letztlich wie immer bunt gemischt, denn auch in Deutschland wächst mittlerweile eine ausgesprochene Lastenrad-Szene heran. Das Lastenrad wird in diesen Kreisen zum für alle erkennbaren Kennzeichen eines Lebensstils.

In anderen Städten gibt es (anders als in Konstanz, wo Lastenräder ja gemietet werden können), eine freie Lastenrad-Szene, die sich ehrenamtlich engagiert und keine Miete für die Räder nimmt, sondern sich über Spenden finanziert. Gerade aus diesem Bereich kamen viele TeilnehmerInnen dieser Art Sternfahrt. Auch altersmäßig war das Teilnehmerfeld sehr gemischt, vom Studenten bis zum Rentner, wenn auch tendenziell eher mit einem jüngeren Altersdurchschnitt, was angesichts der Entfernungen auch verständlich ist. Natürlich ist die Strecke aus Konstanz relativ lang, und die Lastenrad-Fans aus Münster, für die es ja einfach nur durch die norddeutsche Ebene geht, waren hin und zurück insgesamt lediglich vier Tage unterwegs.

Einerseits ist bei der Schokofahrt, zu der sich übrigens alle Interessierten anmelden können, der Weg das Ziel, andererseits ist es aber auch ganz schön, nach dieser Reise mit der süßen Fracht in den Zielort Konstanz zurückzukehren. Von den 555 Tafeln gingen 80 in den Konstanzer Unverpacktladen im Paradies. Weitere zehn Kilo wird Gregor Gaffga noch in den Vorarlberg radeln, und nicht wenig Tafeln wurden ihm von Schleckermäulern im Freundes- und Bekanntenkreis abgebettelt. Manche RadlerInnen haben übrigens auch auf der Hinfahrt Waren transportiert und etwa fair gehandelte Nüsse von Freiburg nach Bonn in einen Bio-Laden mitgenommen.

Gutes Gewissen

Die Schokofahrt hat nicht in erster Linie das Ziel, das Lastenfahrrad populärer zu machen. Sie will vielmehr das Bewusstsein dafür schärfen, woher unsere Waren kommen und wie sie zum Klimawandel beitragen. Was konsumiere ich da eigentlich? Welcher Energieaufwand und welcher CO2-Ausstoß sind mit der globalen Verfügbarkeit vieler Produkte verbunden? Wie trägt mein ganz persönliches Konsumverhalten zum Klimawandel bei?

Bei dieser scheint‘s reisefreudigen Schokolade und den weitgehend emissionsfreien Transportmitteln handelt es sich für Gaffga „um ein Produkt, von dem ich guten Gewissens sagen kann, dass ich es essen kann, ohne den jetzigen und künftigen Generationen zu schaden. Es geht nicht darum, keinen Kaffee oder keine Schokolade mehr zu kaufen, sondern sich Gedanken zu machen, welche Alternativen es bei diesen Produkten gibt.“

Natürlich war die Zeit zu knapp, um bei Unterwegshalten nähere Bekanntschaften zu schließen, auch wenn die Neugier beim Parken etwa auf Wochenmärkten groß war. Aber selbst dabei zeigten sich schon beinahe stereotype Unterschiede: Während sich die Frauen für die Schokolade interessierten, wollten die Männer wissen, welche Leistung der Motor hat, wie die Nabenschaltung funktioniert und welchen Wirkungsgrad der Antrieb entwickelt.

Vier auf einen Streich

Eine weitere Botschaft dieser Fahrt ist natürlich, dass sich mit Lastenrädern sehr viel bewegen lässt. Aber allein die schiere Unmöglichkeit, einen wettergeschützten, sicheren Fahrradparkplatz in einem Viertel mit historischer Bausubstanz, mit engen Treppenhäusern oder gar der Barriere Hochparterre zu finden, dürfte bisher noch viele Interessierte von einer solchen, in etlichen Fällen eigentlich sinnvollen, Anschaffung abhalten. Doch die VerkehrsplanerInnen werden bei der Arbeit an den Konzepten für das Fahrradparken in den Quartieren hoffentlich stets im Hinterkopf behalten, dass vier schmucke Lastenfahrräder locker auf einen einzigen Autoabstellplatz passen …

 

Weitere Informationen

https://schokofahrt.de/ (die nächste Schokofahrt hat am Samstag, 1. Oktober 2022, ihren Abholtag in Amsterdam, alle Interessierten sind herzlich zur Teilnahme eingeladen)
https://de.wikipedia.org/wiki/Tres_Hombres_(Schiff)
https://fairtransport.eu/de/
https://chocolatemakers.nl/de/over-ons/
https://www.unverpacktkonstanz.de/

Text: O. Pugliese. Die Bilder von der Schokofahrt hat Gregor Gaffga zur Verfügung gestellt. Das Bild des Schiffes „Tres Hombres“ stammt von Phil Saget / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0. This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.