Auf Zeitzeugen-Suche in Oberschwaben

20120102-234526.jpgmemoria21 heißt das Projekt. Wissenschaftler der PH Weingarten, aber auch aus Polen und sonstwo in Deutschland, tragen seit einem Jahr Zeugnisse von Zeitzeugen aus KZ- Außenlagern und Außenkommandos der Region Oberschwaben zusammen und stellen sie ins Netz. Die Datenbank soll später dem Schulunterricht nützen, dient aber jetzt schon dem „webbasierten Austausch über den Themenbereich Holocaust“ – eine Fundgrube für Heimatgeschichte. Höchste Zeit: Denn bald gibt es keine Zeitzeugen mehr.

Darum auch sind die Spurensucher um Dr. Anja Ballis, Professorin an der Pädagogischen Hochschule Weingarten im Fach Deutsch, die vor einem Jahr memoria21 in Zusammenarbeit mit Kollegen der Universität Lodz ins Leben rief, weiter auf der Suche nach Zeitzeugen. Sie fahnden nach Frauen und Männern, die sich noch erinnern an die Außenlager des KZ Dachau in Oberschwaben, in Friedrichshafen, Überlingen, Bad Saulgau, Ulm, um nur einige zu nennen.

Nach Männern und Frauen wie Alois Geray aus Bad Waldsee, der nur wegen Beamtenbeleidigung ins KZ kam. Aus seinen Aufzeichnungen: „Mit der Einlieferung ins Konzentrationslager Kuhberg bei Ulm, die mit Fußtritten, Faustschlägen, geschwungenen Gummiknüppeln und ähnlichen Empfangszeremonien vor sich ging, wurde dem Häftling sofort klar, dass er ein Gelände betreten hat, auf dem Gesetze herrschten, die die Herren des KZ sich selbst zurechtzimmerten. […] Im normalen Sprechton war seitens des Wachpersonals sehr wenig zu hören; was die Herrscher im KZ von sich gaben, war nur abscheuliches Gebrüll, das wie das Toben eines Wahnsinnigen anmutete und je nach Laune der politischen Sieger in einer Prügelei endete“.

KZ-Außenlager: Verfallen, umgewidmet, überbaut

Die KZ-Außenlager in Oberschwaben, in denen Abertausende für die Rüstung schufteten und Tausende ermordet wurden, sind vielerorts – nicht ganz unabsichtlich – vergessen und verfallen, viele wurden umgewidmet oder überbaut. Ausnahme höchstens die Stollenanlage von Überlingen. Lokalen Historikern ist zu danken, dass dort die Erinnerung an Zwangsarbeit auch heute noch durch regelmäßige Führungen wachgehalten wird; Lokalpolitikern und Antifaschisten aus der Bodensee-Region ist zu danken, dass in einer jährlichen Gedächtnisveranstaltung in Birnau an die Nazi-Opfer erinnert wird.

Doch selbst für Überlingen gilt: Immer noch fehlen Aufzeichnungen von Lagerinsassen, die seit
Jahrzehnten in Archiven von KZ-Gedenkstätten und Gemeinden lagern oder sich noch unentdeckt in Privatbesitz befinden. Die zu sammeln, in der Datenbank memoria21 zu versammeln, sie Forschern und Öffentlichkeit und – besonders wichtig – später dem Schulunterricht zugänglich zu machen, ist die Idee der Wissenschaftler aus Weingarten. „Die Überlebenden haben ihre persönlichen Erfahrungen und Erinnerungen in eigene Worte gefasst, um Zeugnis abzulegen. Dafür wurden vielfältige literarische Gattungen genutzt, wie autobiographische Berichte und Romane, philosophische Essays, Kurzgeschichten, Gedichte, Theaterstücke sowie wissenschaftliche Studien“, ist auf der Homepage zu lesen.

Zeugnisse, die nicht vergessen werden dürfen

Manche Texte sind ungelenk, manche sperrig, unbeholfen gar. Aber das ist nicht entscheidend. Allesamt sind es Zeitzeugen-Zeugnisse, die nie vergessen werden dürfen. Je nach Herkunft der Häftlinge sind die Texte in unterschiedlichen Sprachen abgefasst. Auffällig, so Katharina Prestel vom „Memoria21“-Team, dass der KZ-Jargon jeweils in deutsch wiedergegeben ist. Alle bibliographierten Texte der Datenbank sind zudem mit einschlägigen Homepages von Gedenkstätten und Bildungsträgern vernetzt: www. memoria21.de

Auch bislang vergriffene Bücher finden sich in der Datenbank. Wie „Die schwarze Mütze“ von David Ben-Dor. Darin beschreibt der jüdische Häftling, wie er zum Mitschuldigen geworden ist, um im Todeslager zu überleben. Er ist einer der letzten Zeitzeugen, 82-jährig lebt er in Israel. Die an „memoria21“ beteiligten Studierenden haben mit ihm Kontakt aufgenommen und besuchen ihn gerade in diesen Tagen in Israel.

Autor: hpk (mit Material von PH Weingarten und Schwäbischer Zeitung)