Aus Bodensee-Kasernen gegen Griechenland

seemoz-Athen in deutscher HansDer Lindauer Lokalhistoriker Karl Schweizer überrascht immer wieder mit Forschungen zur Verquickung der Menschen des Bodenseeraums mit Nazi-Gräueln. Seine jüngste, erst im Juli publizierte Arbeit beschäftigt sich mit Wehrmachtsverbrechen in Griechenland.

„Es war am jenem denkwürdigen 16. August 1943, einem Donnerstag. Etwas über hundert deutsche Wehrmachtssoldaten des 98. Regiments der 1. Gebirgsdivision kletterten vor dem Dorfeingang neben der Kirche von Kommeno im Nordwesten Griechenlands am Golf von Arta gelegen von ihren Lastwagen. Kommeno war in Folge der katastrophalen Ernährungslage Griechenlands durch das NS-Besatzungsregime teilweise zu einem Schmugglerdorf geworden, von dessen Waren gelegentlich auch die Andarten, der bewaffnete griechische Widerstand gegen die NS-Besatzer, profitierte. Die Dorfbevölkerung schlief größtenteils noch, da der vorhergehende hohe christliche Feiertag Maria-Himmelfahrt sowie eine gleichzeitige Hochzeit bis spät in die Nacht festlich begangen worden waren. Der befehlshabende Offizier, Oberleutnant Ludwig Röser, erteilte die Anweisung, das Dorf einzukreisen und alle Wege zum und aus dem Dorf mit bewaffneten Posten zu decken. Das Abfeuern von zwei Leuchtraketen eröffnete die nun folgende mörderische Aktion. [i]

seemoz-LevkasBereits im November 1935 wurden die beiden in Lindaus Kasernen stationierten Kompanien 9 und 11 des 19. Infanterieregiments in die Planungen der seit Juni 1935 aufgebauten 1. Gebirgsdivision der NS-Wehrmacht integriert, zunächst als Gebirgsbrigade bezeichnet.[ii] Lindaus handschriftliche Stadtchronik jener Jahre hält dazu folgendes fest: „November 1935. Mit der Rückkehr von den Herbstübungen wurde auch die Neueinteilung der Wehrmacht an der Südgrenze teilweise bekannt gegeben. Das Lindauer Bataillon, bisher zum Regiment 19 gehörig, wird III. Bataillon des Gebirgsregiments Nr. 99. Sein späterer Standort wird Sonthofen. Der Kasernenbau soll dort mächtig vorwärts schreiten.“

Im Anschluss an die Herbstübungen fand in Lindau die Ausbildung zahlreicher ehemaliger Kriegsteilnehmer (des 1. Weltkriegs, K.S.), Offiziere und Reserve-Offiziere statt.“[iii] Auch die nun in Lindaus Kasernen, seit Herbst 1938 als Peronne-Kaserne (heute der „Luitpoldpark“) und Oberst-von-Bram-Kaserne (heute „Maxhof“) bezeichnet, ausgebildeten Soldaten des III. Bataillons des 99. Gebirgsjägerregiments kamen zur im Aufbau befindlichen 1. Gebirgsdivision. Lindaus Chronik vermerkt dazu kurz: „Oktober 1936. In den ersten Oktobertagen verließ das Gebirgsjägerbataillon III/99 Lindau und bezog seinen neuen Standort Sonthofen, der Regimentsstab der Jäger kam nach Füssen.“[iv]

Diese 1. Gebirgs-Division, auch als „Edelweiß-Division“ und von Adolf Hitler selbst als seine „Garde-Division“ bezeichnet, verfügte 1939/40 über eine Gesamtsollstärke von knapp 25.000 Mann und war Bestandteil des „Wehrkreises“ VII, München. Sie wurde bereits 1938 an den völkerrechtswidrigen deutschen Besetzungen Österreichs und des tschechischen Sudentenlandes beteiligt, sowie beim Überfall auf Polen am 1. September 1939 und weiters 1940 beim Angriff auf Frankreich sowie 1941 beim Überfall auf die Sowjetunion.[v] Ihr Kommandeur war von 1940 bis Dezember 1942 General Hubert Lanz, dessen Vater, Forstbeamter Otto Lanz, aus Eriskirch am Bodensee stammte.[vi]

Unter dem neuen Kommando von Generalleutnant Walter Stettner Ritter von Grabenhofen war die 1. Gebirgs-Division im Juli 1943 als Teil des XXII. Gebirgs-Armee-Korps nach Nordwestgriechenland in die Region Epirus verlegt worden. Dort sollte sie eine vom deutschen Generalstab erwartete Invasion der Westalliierten an der Küste abwehren. Stettner hatte vor Gründung der 1. Gebirgsdivision im 19. Infanterie-Regiment Rekruten im Fach Leibesübungen unterrichtet, galt als NS-Faschist und war bereits seit 1. Juni 1935 im Stab von deren Vorläuferin, der Gebirgs-Brigade tätig.[vii]

seemoz-RothfuchsGriechenland war in Zusammenarbeit mit den Armeen des faschistischen Italiens Mussolinis sowie des verbündeten Ungarn seit dem 27. März 1941 von deutschen Truppen überfallen und besetzt worden. Lindaus NSDAP-Kreisschulungsleiter und Hauptlehrer Hamp hatte bereits am Abend nach dieser erneuten Kriegsausweitung bei der NSDAP-Zellenversammlung der Ortsgruppe Lindau-Altstadt die damit verbundene Zielsetzung formuliert, indem er „die neuesten Ereignisse einer verständnisvollen Betrachtung unterzog und in seinem Ziel immer wieder den Führungsanspruch Deutschlands in Europa betonte…“.[viii]

Die Lindauer Nationalzeitung, vereinigt mit dem Lindauer Tagblatt, schrieb dazu dann beispielsweise am 28.April 1941 in typischer NS-Propagandamanier in ihrem Lokalteil u.a.: „Das vergangene Wochenende war wieder reich an großen Ereignissen. Nachdem bereits der Wehrmachtsbericht vom Samstag die Einnahme von Theben und das weitere Vordringen unserer Truppen in Griechenland gebracht hatte, war man nicht mehr allzu überrascht, als gestern die Sondermeldung von dem Einmarsch in die griechische Hauptstadt Athen kam. Die laufenden Sondermeldungen und die beiden OKW-Berichte (Oberkommando der Wehrmacht, K.S.) von den neuesten glorreichen Waffentaten unserer stolzen Wehrmacht im Südostraum, die wir auch in unserer Schaufensterauslage zum Aushang brachten, verfolgten unserer Volksgenossen mit großer Begeisterung am Rundfunk…“.

In diesen „glorreichen Tagen“, genau am 17. April 1941, waren NSDAP-Kreisleiter Vogel, Lindaus Erster Bürgermeister Haas sowie NS-Kreisobmann Wucher extra nach Hamburg gereist, um die Übernahme einer Patenschaft über ein neu gebautes U-Boot der NS-Marine durch die Stadt Lindau zu zelebrieren.

Zu den deutschen Befehlshabern der 1. Gebirgsdivision mit ihren rund 24.000 Mann in Nordwest-Griechenland und Südalbanien gehörte im Sommer 1943 der 32-jährige Karl-Heinz Rothfuchs (s. Foto). Dieser war 1933 in die NSDAP und die SS eingetreten und hatte seinen Grundwehrdienst in Lindaus Kasernen abgeleistet. Als Kriegsfreiwilliger rückte der Jurist und Oberleutnant am 1. Januar 1943 in die Führungsspitze der 1. Gebirgsdivision auf und hatte im Stab von Generalleutnant Stettner als 3. Generalstabsoffizier (Ic) die Führungsabteilung „Feindlage und Bandenbekämpfung“ unter sich. Er erließ als „Schreibtischtäter“ die entsprechenden Einsatzbefehle führte Gefangenen-Verhöre durch, erließ Erschießungsbefehle oder überließ die Verhörten dem Sicherheitsdienst SD, was in der Regel ebenfalls deren Tot bedeutete. [ix]

Im griechischen Dorf Kommeno hatte der entsprechende deutsche Entscheidung am oben genannten denkwürdigen 16. August 1943 ebenfalls tödliche Folgen, wie sie u.a. Mark Mazower schilderte: „Bei dem folgenden Blutbad brachten die Soldaten 317 Menschen unterschiedlichen Alters, Männer wie Frauen, von insgesamt knapp über sechshundert Einwohnern um. Die meisten, die fliehen konnten, entkamen über einen unbewachten Fußpfad, der durch hohes Schilf an den Fluss führte, den sie schwimmend überquerten. Bei den Deutschen gab es keine Verletzten, und die Sanitäter standen untätig um die Lastwagen herum, von wo aus sie die Schießerei hören konnten und die Häuser des Dorfes in Flammen aufgehen sahen. Nach etlichen Stunden hörten die Schüsse auf, und während die Sturmtrupps im Schatten der Orangenbäume Rast machten, zogen Hilfstruppen in das Dorf ein, um das Vieh, das Geflügel und das Haushaltsgerät der Dorfbewohner zu beschlagnahmen.“[x]

seemoz-EpirusDer am nächsten Tag aus dem Büro des Ic Rotfuchs an den Generalstab gesandte Morgenbericht verdrehte diese Mordaktion u.a. mit folgenden Worten: „1 Kompanie,. Gruppe Salminger Kommeno (nördlich Golf von Arta) gegen heftigen Widerstand gestürmt. Beim Abbrennen des Ortes große Mengen Munition vernichtet. 150 tote Banditen, ein Teil der Banditen nach Südosten entkommen.“[xi]
Allein in den Monaten Juli und August 1943 zerstörte die 1. Gebirgsdivision in Griechenland und Südalbanien 184 Ortschaften mit rund 3900 Häusern und tötete dabei 1287 griechische und 472 albanische Zivilisten, bei 22 deutschen Gefallenen. [xii]

Die 1946 eingesetzte Reparationsagentur der westlichen Alliierten bezifferte den Gesamtschaden, welchen die deutschen Besatzungsjahre von 1941 bis 1944 in Griechenland verursachten, auf damals 7,1 Milliarden US-Dollar, gemessen an der Kaufkraftbasis von 1938. Nach Abzug aller bisher durch Deutschland geleisteten kleineren Zahlungen ergibt sich daraus mit Wertstellung im Jahre 2010 laut den Berechnungen des Historikers Dr. Karl Heinz Roth eine noch offene Gesamtschuld von rund 79 Milliarden €uro Deutschlands an Griechenland. [xiii]

Der langjährige stellvertretende Schulleiter des Lindauer Bodenseegymnasiums (1966- 1977), Friedrich Lauter, beurteilte das Verhalten NS-Deutschlands in Griechenland zwischen 1941 und 1944 in einem Leserbrief in der LZ von 1966 mit deutlich abmildernden Worten u.a. wie folgt: „Leider entsprachen die späteren Maßnahmen der Besatzungsmacht, wie anderswo, nicht den geweckten Hoffnungen, so dass die Stimmung in der Bevölkerung bald umschlug und auch hier sich Widerstands- und Partisanengruppen bildeten (…). [xiv]

Lauter war als 29-jähriger Studienrat u.a. für Neugriechisch an der Lindauer Oberrealschule mit Gymnasialzug im Jahre 1941 zum Armeedienst einberufen und in diesem Rahmen zuerst an die Deutsche Schule in Athen sowie 1942 als Dolmetscher zur dortigen deutschen Admiralität beordert worden. [xv]

Hubert Lanz, ehemaliger General der 1. Gebirgsdivision, wurde1948 in Nürnberg für die in Griechenland begangenen Kriegsverbrechen zu zwölf Jahren Haft verurteilt, aber bereits im Februar 1951 vor dem Hintergrund des Kalten Krieges gegen den „Ostblock“ amnestiert und aus dem Landsberger Kriegsverbrecher-Gefängnis wieder entlassen. Kurz darauf trat er der Freien Demokratischen Partei FDP bei und erhielt dort den Vorsitz des Wehrpolitischen Ausschusses der Partei übertragen. In dieser Funktion wurde er der FDP-Vertreter im Bonner „Amt für Sicherheit und Heimatschutz“. Aus diesem entstand im Rahmen der Remilitarisierung der Bundesrepublik Deutschland das sogenannte Amt Blanck, aus welchem das neue Bundesverteidigungsministerium hervor ging. Franz Josef Strauß (CSU), welcher im November 1956 Bundesverteidigungsminister wurde, ließ die 104. Gebirgs-Brigade der Bundeswehr bereits im Dezember 1956 in die neue 1. Gebirgs-Division umbenennen.

Major Reinhold Klebe, welcher beim Massaker im Dorf Kommeno vorgesetzter Bataillonskommandeur von Oberleutnant Willibald Rösner war, welcher am 16. August 1943 das Massaker im Dorf Kommeno befehligte, trat nun zusammen mit unzähligen weiteren Ehemaligen der 1. Gebirgs-Division der NS-Wehrmacht dieser neuen Bundeswehr-Division bei. Karl Wilhelm Thilo, ehemaliger 1a-General der alten Gebirgs-Division, welcher in Griechenland und Montenegro die Erschießung zahlloser gefangener mutmaßlicher Partisanen zu verantworten hatte, kommandierte von 1965 bis 1967 die 1. Gebirgs-Division der Bundeswehr und wurde stellvertretender Heeresinspekteur der Bundeswehr. [xvi]

Welche Geistesauffassung sich ganz im Sinne reaktionärer soldatischer NS-Geschichtslegenden auch in Lindau beispielsweise über die örtlichen Medien in der noch jungen BRD breit machen durfte, zeigt beispielsweise folgender Satz, welchen die Kameradschaft der „488er“ im Jahre 1960 unkommentiert veröffentlichen durfte: „Die 488er waren im Kriege nach Lindau gekommen, nachdem die beiden Kompanien des 19. Inf.-Regiments aus Lindau abgezogen und aus ihnen die spätere ruhmreiche 1. Gebirgsdivision (Hervorhebung: K.S.) gegründet worden war.“ [xvii]

Karl Schweizer, www.edition-inseltor-lindau.de

Solidarität mit Griechenland heute: www.faktencheckhellas.org

Quellen:
[i] Vgl.: Hermann Frank Meyer: „Blutiges Edelweiß – Die 1. Gebirgs-Division im Zweiten Weltkrieg“, Berlin 20103, S.207ff; Mark Mazower: „Militärische Gewalt und nationalsozialistische Werte – Die Wehrmacht in Griechenland 1941 bis 1944“, in Hannes Heer/ Klaus Naumann (Hg.): „Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht 1941 – 1944, Hamburg/Frankfurt 1995, S.157ff.
[ii] Lindauer Zeitung vom 18.10. 1960: „Die 488er trafen sich in Lindau“.
[iii] „Chronik von Lindau 1890 – 1944“, S. 604, im Stadtarchiv Lindau, Sign. Lit 50.
[iv] „Chronik von Lindau 1890 – 1944“, S. 625.
[v] Georg Tessin: „Verbände und Truppen der Deutschen Wehrmacht und Waffen-SS im Zweiten Weltkrieg 1939-1945, Band 2, Osnabrück 1973, S. 23ff; „1. Gebirgs-Division (Wehrmacht) aus www.wikipedia.org, aufgerufen am 25.6. 2015.
[vi] Hermann Frank Meyer: „Blutiges Edelweiß – Die 1. Gebirgs-Division im Zweiten Weltkrieg“, Berlin 20103, S. 16.
[vii] Hermann Frank Meyer: „Blutiges Edelweiß – Die 1. Gebirgs-Division im Zweiten Weltkrieg“, Berlin 20103, S.102f.
[viii] Lindauer Nationalzeitung vereinigt mit Lindauer Tagblatt vom 28.3. 1941
[ix] Hermann Frank Meyer: „Blutiges Edelweiß – Die 1. Gebirgs-Division im Zweiten Weltkrieg“, Berlin 20103, S.103.
[x] Mark Mazower, s.o., S. 157f.
[xi] Zitiert in Hermann Frank Meyer siehe oben, S. 228
[xii] ebenda, S. 238.
[xiii] Karl Heinz Roth: „Die offene Reparationsfrage“, in „lunapark 21 – Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie“, Heft 15/20111, S. 51ff.
[xiv] Friedrich Lauter: „Eine Erinnerung an den Balkanfeldzug“ in Lindauer Zeitung vom 14.4. 1966.
[xv] Vgl. „Jahresbericht über das Kriegsschuljahr 1941/42“ der Ludwig-Siebert-Oberschule für Jungen Lindau/Bodensee mit Wirtschaftsabteilung, S.8; Lindauer Zeitung vom 7.2. 2007: „95. Geburtstag. Jedes Jahr zum Klassentreffen eingeladen“.
[xvi] Vgl. Hermann Frank Meyer: „Blutiges Edelweiß – Die 1. Gebirgs-Division im Zweiten Weltkrieg“, Berlin 20103, S. 665ff.
[xvii] Lindauer Zeitung vom 18.10. 1960: „Die 488er trafen sich in Lindau“[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]