Aussichtsplatz, Aussichtsturm, Aussichtsplattform

Litzelstetten will aufrüsten, touristisch wenigstens. Im Konstanzer Teilort kursieren Pläne zum Ausbau der Infrastruktur für Gäste und Urlauber, die nicht überall auf Zustimmung stoßen. Unser Gastautor mahnt deshalb einen Weitblick anderer Art an als ihn der Ortschaftsrat im Auge hat. Heitere Aussichten also für Litzelstetten.

Nein, ich bin nicht generell gegen touristische Attraktionen. Und nein, natürlich läge es mir fern, die Bedeutung von Anziehungspunkten für Gäste als wichtigen Beitrag zur Förderung der Gastfreundlichkeit und ganz besonders der Umsätze für die Fremdenverkehrswirtschaft herunter zuspielen. Doch was mit dem „Bodenseeforum“ im Großen möglich ist, das geht auch im Kleinen. Litzelstetten macht vor, wie ansteckend diese Krankheit sein kann.

In einer der vergangenen Ortschaftsratssitzungen ging es wesentlich um den Blick. Um den Blick auf den See, auf den Wald, auf die Natur und die Umgebung. Ein Aussichtsturm über die Wipfel am hoch gelegenen Grillplatz, eine Aussichtsplattform am Ufer mit direkter Ausrichtung auf das nicht sichtbare Weltkulturerbe, die Pfahlbaureste unter Wasser, und um einen Aussichtsplatz mit einer Trockenmauer auf dem Purren, von dem aus man eben in die Weite gucken kann.

Ob das alles mit dem Naturschutz vereinbar ist, man muss es prüfen. Hätte man auch zuerst tun können, aber dann wären die frischen Ideen vielleicht nicht mehr so warm gewesen wie gerade jetzt, als der Ortschaftsrat wieder entdeckte, was schon seit Jahren immer wieder debattiert wird: Wie kann sich der Teilort wappnen für die Zuströme von Gästen, die nur darauf warten, endlich hier, in diesem Dorf mit seinem noch immer umstrittenen Blick auf die Blumeninsel, dort, wo schon seit Jahren über einen Steg mit Schiffsverkehr und früher gar über ein schwimmendes Hotel diskutiert wurde … Als hätten wir nichts Anderes zu tun …

Zweifelsohne, man merkt wieder etwas von dem „Professorendorf“ (dabei sind es Professoren hier, die – ohne Ironie – die sinnvollsten Vorschläge für unseren Ort einbringen und anpacken, statt zu philosophieren), das nicht teilzuhaben scheint an den Nöten derer, die schon heute spüren, wie schwierig es überhaupt ist, einen Platz in der Dorfgemeinschaft zu finden. Dass Litzelstetten in den statischen Erhebungen den größten Anteil aller Hochbetagten unter allen Stadtteilen haben wird, wenn wir vorausschauen, man nahm es vor einigen Jahren zur Kenntnis.

Litzelstetten mit Weitblick?

Lieber befasste man sich aber damit, ob Gäste und Einheimische auch einen schönen Ausblick haben, als sich damit auseinanderzusetzen, wie die über 80-, 90-Jährigen fortan im Ort leben und versorgt werden. Da debattiert man eben besser darüber, wie hoch ein Turm werden muss, um die Bäume zu übertrumpfen und den Weitblick genießen zu können, als sich Gedanken darüber zu machen, was es bedeutet, wenn das mittlere Alterssegment, die 40-Jährigen, künftig im Ort nur noch Mangelware ist. Oder man berechnet, wo ein Aussichtspunkt am See liegen müsste, um Mainau, Uhldingen und die Birnau gleichzeitig erblicken zu können, anstatt zu überlegen, wie wir jungen Familien ein attraktives Lebensumfeld bieten können, das über eine elitäre Stimmung unter den Menschen hinausgeht. Statt darauf zu bauen, wie in 10 oder 20 Jahren Synergien des Miteinanders, des Bürgerschaftlichen Engagements für die Dynamik eines Ortes, der nicht zum „Schlafdorf“ werden möchte, genutzt werden können, sind es Schilder, Gaupen und Busverbindungen, die stundenlangen Raum in unseren Sitzungen einnehmen.

Nein, wir können den Demografischen Wandel nicht ändern. Aber: Wir können uns darauf vorbereiten. Wir können versuchen, seine Auswirkungen abzufedern. Und wir können entgegenwirken, wenn wir denn wollten. Möglicherweise ist es die Größe der Herausforderung, die das Gremium des Ortschaftsrates abschreckt, das Thema endlich in die Hand zu nehmen. Da ist es wahrlich angenehmer, über die Aussicht zu debattieren und sich zu bemühen, Litzelstetten künftig wenigstens als ein Highlight für Touristen zu erhalten. Schade wäre, wenn sie dann zwar die Alpen erblicken könnten, aber nicht einmal mehr eine Flasche zu trinken kaufen könnten. Bedauerlich auch, wenn Gäste mit ihrem Blick über den Linzgau schweifen, während sich ein paar Meter weiter ältere Menschen in ihren 200 Quadratmeter großen Häusern nicht mehr zurecht finden – und sich keiner um den Pflegedienst bemüht hat. Und ernüchternd auch, wenn Familien von außerhalb die Stockwerke des Aussichtsbaus erklimmen, während Familien innerhalb suchen, wo denn die nächste Schule ist – aber keine finden.

Ist es naiv – oder ist es dasselbe Denken wie in der „großen“ Politik, wo das Ringen um Lösungen nicht über die vier Jahre einer Legislaturperiode hinausgeht? Niemand fordert, dass ein Rat mit Menschen, die sich in ihrer Freizeit für ihr Dorf engagieren, ein Allheilmittel parat hat. Und doch dürfte es auch etwas mit ihrem Eid zu tun haben und sie verpflichten, sich um das Wohle des Ortes zu kümmern, wenn es darum geht, das Umfeld nicht nur schöner, nicht nur wohlfühlender zu gestalten. Es geht wesentlich darum, Litzelstetten zukunftsfähig zu machen – und das vornehmlich für die, die dort wohnen. Und wenn wir das erreicht haben, dann können wir uns auch gern noch um Anderes streiten, um die Aussicht beispielsweise …

Dennis Riehle