Ausstellung „Verfolgt. Verlobt. Verheiratet. Rettende Ehen jüdischer Frauen ins Exil“
Direkt nach dem „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland im März 1938 begann für österreichische Jüdinnen und Juden ein Wettlauf gegen die Zeit, es ging um Leben und Tod. Nicht wenige jüdische Frauen versuchten sich durch eine Scheinehe meist mit einem ausländischen Staatsbürger vor der Verfolgung durch das NS-Regime zu retten. Noch bis Ende Oktober 2022 zeigt das Frauenmuseum Hittisau eine Ausstellung, die dreizehn dieser Frauen porträtiert – und einen guten Grund für einen Ausflug in den Bregenzer Wald liefert.
Nicht verliebt – sondern vom NS-Regime verfolgt
Den Kinderreim „verliebt, verlobt, verheiratet“ kennen wir alle. Aber nicht Verliebtheit, sondern die sie vollständig entrechtende NS-Rassenideologie und der Kampf um das nackte Überleben war für viele jüdische Frauen der Grund, eine Scheinehe einzugehen. Diese Ehen wurden pro forma geschlossen, aus Solidarität oder gegen Bezahlung, um in ein Land zu gelangen, in dem Jüdinnen und Juden (noch) nicht verfolgt wurden. Frauen, die bereits im Exil waren, gingen eine Scheinehe ein, um der Staatenlosigkeit zu entgehen oder eine Arbeitserlaubnis zu erhalten.
Wie viele Frauen insgesamt versuchten, sich mittels einer Scheinehe zu retten, ist nicht bekannt. Aber die Politikwissenschaftlerin und Exilforscherin Irene Messinger hat viele Jahre zum Thema geforscht und über hundert Scheinehen jüdischer Frauen recherchiert, deren Nachkommen ausfindig gemacht und das Thema wissenschaftlich aufgearbeitet. Auf ihren Forschungsergebnissen basiert die Ausstellung „Verfolgt. Verlobt. Verheiratet. Rettende Ehen jüdischer Frauen ins Exil“, die für das Jüdische Museum Wien im Jahr 2018 entwickelt wurde und nun – um einige Exponate erweitert – seit dem 6. März 2022 im Frauenmuseum Hittisau zu sehen ist.
Die Ausstellung im einzigen Frauenmuseum Österreichs zeigt die ganz unterschiedlichen Lebenswege und Schicksale von dreizehn österreichischen Jüdinnen – Wissenschaftlerinnen, politischen Aktivistinnen, Studentinnen und Künstlerinnen – und erzählt von den Chancen und Risiken einer Scheinehe als Überlebensstrategie. Jede der Frauen wird durch ein großes Foto, die Skizze ihrer Fluchtroute und ein prägnantes Zitat porträtiert. Hinzu kommen persönliche Gegenstände, Dokumente, Videos und Interviews aus der Zeit vor, während und nach der Scheinehe.
Frauen wie Alma Rosé …
Die 1908 geborene Violinistin Alma Rosé war der Spross einer Wiener Familie des musikalischen Hochadels. Ihr Vater Arnold Rosé war Erster Konzertmeister der Wiener Hofoper und – mit Unterbrechungen – der Wiener Philharmoniker sowie Leiter des damals weltbekannten Rosé-Quartetts. Gustav Mahler war ihr Onkel, Alma Mahler-Werfel ihre Patentante. Nach dem Ende ihrer Ehe mit dem tschechischen Violinvirtuosen Váša Příhoda wandte sich Alma der leichten Muse zu und gründete 1932 das Damenorchester „Die Wiener Walzermädeln“, mit dem sie großen Erfolg feierte und Konzertreisen durch ganz Europa unternahm. Bis zum „Anschluss“ Österreichs.
Obwohl bereits Almas Eltern zum evangelischen Glauben konvertierten und sie selbst nie eine Synagoge betreten haben soll, wurde sie nach den „Nürnberger Gesetzen“ von 1935 als „Volljüdin“ klassifiziert und mit einem Auftrittsverbot belegt. Ihr durch die Ehe mit Příhoda erlangter tschechischer Pass ermöglichte ihr aber noch die Ausreise nach London. Dennoch zog sie aber bereits im November 1939 in die Niederlande: Dort erhoffte sie sich bessere, für den Lebensunterhalt nötige Auftrittsmöglichkeiten. Vom Einmarsch der Wehrmacht überrascht, konnte ihr Freundeskreis Almas Überleben nur für weitere zwei Jahre sichern, so dass sie schließlich im Februar 1942 pro forma den Nicht-Juden Constant August van Leeuwen Boomkamp heiratete – in der Hoffnung, durch eine solche „Mischehe“ vor Verfolgung und Deportation geschützt zu sein.
Als im Herbst 1942 auch die Deportation von jüdischen Partnerinnen und Partnern aus „Mischehen“ einsetzte, versuchte Alma Rosé, in die Schweiz zu fliehen. Dabei wurde sie jedoch verhaftet und nach monatelanger Internierung im Durchgangslager Drancy im Juni 1943 nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Sie überlebte die erste Selektion und wurde Josef Mengeles Abteilung für medizinische Versuche zugeteilt. Als berühmte Musikerin erkannt, erhielt sie jedoch stattdessen den Befehl, das „Mädchenorchester von Auschwitz“ zu leiten, in dem unter anderen Fania Fénelon sang, Anita Lasker Cello und Esther Bejarano Akkordeon spielten. Im Gegensatz zu ihnen überlebte Alma Rosé den Holocaust nicht: Sie starb mit nur 38 Jahren am 4. April 1944 unter ungeklärten Umständen in Auschwitz-Birkenau.
… Sarah Berger …
Anders erging es Sarah Berger (1912–2003). In Rumänien geboren, zog ihre Familie noch während ihrer Kindheit nach Wien, wo sich Sarah – ein Studium war aus finanziellen Gründen nicht möglich – am Jüdischen Pädagogium zur Hebräischlehrerin ausbilden ließ. Sie bewegte sich in Wiens zionistischem Umfeld und gehörte zu jenen Frauen, die eine Scheinehe mit österreichischen Juden eingingen, die bereits Ausreisepläne für Palästina hatten und ihre Ehefrauen mitnehmen konnten. Sarah heiratete am 3. März 1938 in der Wiener Kultusgemeinde ihren Cousin Hersch Fläscher, der sich bereits früh um ein Ausreisezertifikat bemüht hatte. Am 15. März reisten sie ab; drei Tage vorher hatten sie noch den Einmarsch der Nationalsozialisten in Wien erlebt. In Triest bestiegen die beiden die MS Palestine nach Haifa, wo sich ihre Wege sofort trennten. 1943 heiratete Sarah erneut, aber diesmal aus Liebe.
… und Hilde Meisel
Auch Hilde Meisel (1914–1945), deren Leben und Sterben im Dienste der sozialistischen Idee bereits ein eigener Artikel auf Seemoz gewidmet ist, ging eine Scheinehe ein. In Wien geboren, zog ihre assimilierte bürgerlich-jüdische Familie ein Jahr später nach Berlin, wo Hilde bereits im Alter von 15 Jahren dem „Internationalen Sozialistischen Kampfbund“ (ISK) beitrat. Von ausgeschlossenen SPD-Mitgliedern 1925 gegründet, war diese Gruppierung während der Weimarer Republik aktiv im Kampf gegen den Nationalsozialismus. So veröffentlichte der ISK zur Reichstagswahl von Juli 1932 den „Dringenden Appell“, in dem zum Zusammengehen von SPD und KPD aufgerufen wurde.
Hilde Meisel war 1932 für das ISK-Organ „Der Funke“ als Korrespondentin in Paris tätig; sie schrieb unter anderem Artikel über die ökonomischen Probleme Frankreichs, Englands und Spaniens. Als die Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 erfolgte, befand sie sich zu einem Studienaufenthalt an der London School of Economics. Sie blieb in England, konnte aber als Studentin noch lange unauffällig zwischen London und Berlin pendeln. So pflegte sie weiterhin intensiven Kontakt zu politischen FreundInnen, leistete Kurierdienste, schmuggelte Literatur und Informationen nach und aus Deutschland und half verfolgten Menschen bei der Flucht.
1938 beteiligte sie sich intensiv an der Rettungsaktion für den Strafverteidiger Hans Litten, einen engen Freund ihrer Schwester Margot. Im selben Jahr ging Hilde Meisel – als Jüdin und Sozialistin gleich doppelt gefährdet – eine Scheinehe mit John Olday ein, einem homosexuellen britischen Künstler und Anarchisten. So erhielt sie die britische Staatsangehörigkeit, die sie vor der Ausweisung schützte und ihr weitere politische Arbeit und das Verfassen mehrerer Bücher (unter anderem 1940 „How to conquer Hitler“) ermöglichte.
Dass mit dem Porträt von Hilde Meisel auch ein Stück Regionalgeschichte in der Ausstellung zu sehen ist, hängt mit ihrem tragischen Tod zusammen. Im Frühjahr 1945 führte sie einen letzten gefährlichen Kurierdienst für den US-Geheimdienst aus und nahm in Vorarlberg Kontakt zu Mitgliedern des österreichischen Widerstands auf. Nach Abschluss ihrer Mission versuchte sie am frühen Morgen des 17. April 1945 im Wald oberhalb von Tisis über Liechtenstein zurück in die Schweiz zu gelangen. Nahe der Grenze wurde sie von Grenzwächtern aufgegriffen und beim Fluchtversuch angeschossen. Wenig später erlag Hilde Meisel wegen starken Blutverlustes ihren Verletzungen. Sie wurde auf dem evangelischen Friedhof in Feldkirch beerdigt..
Der passende Ort für diese Ausstellung – Das Frauenmuseum Hittisau
Das Frauenmuseum wurde auf Initiative der aus Hittisau stammenden Kunsthistorikerin und Museumskuratorin Elisabeth Stöckler im Jahr 2000 gegründet und ist – obwohl im ländlichen Raum des Bregenzer Waldes angesiedelt – alles andere als ein Volkskundemuseum mit Frauenschwerpunkt. In dem modernen, mehrfach prämierten Bau aus Holz, Glas und Sichtbeton wird jene Hälfte der Bevölkerung in den Fokus gerückt, deren Schaffen und Wirken andernorts oft vergessen wurde und leider nach wie vor wird.
Stefania Pitscheider Soraperra, die die Museumsleitung im Jahr 2009 von Elisabeth Stöckler übernahm, schreibt zum Selbstverständnis des Museums: „Museen sind nicht nur Orte der Geschichts- oder Kunstaufbewahrung, sondern vor allem Räume für deren Deutung. Wer entscheidet, was künstlerisch bedeutend ist, was gesammelt werden soll, nach welchen Kriterien Dinge erforscht werden sollen, entscheidet auch, was vergessen werden darf, was irrelevant ist für eine historische Erzählung. Dazu haben lange Zeit Frauengeschichte, Frauenkultur oder die Kunst von Künstlerinnen gehört.“ Frauen seien nach wie vor in vielen Museen, vor allem in kunsthistorischen, als handelnde Subjekte nicht präsent, argumentiert Soraperra: „Die Museen sind zwar voll mit Frauendarstellungen, doch sind diese weitgehend von männlichen Projektionen auf Frauen bestimmt. Denn es waren hauptsächlich Männer, die das künstlerische Schaffen über viele Jahrhunderte hinweg dominierten. Das Frauenmuseum Hittisau hat es sich zur Aufgabe gemacht, historische Erzählungen um jene Aspekte, die lange Zeit nicht oder nur marginal erforscht und dokumentiert wurden, zu erweitern. Es versteht sich als Fenster in die Welt und behandelt Themen, die die Geschichte und das Kulturschaffen von Frauen in unterschiedlichen Kulturen betreffen.“
Ausstellung „Verfolgt. Verlobt. Verheiratet. Rettende Ehen jüdischer Frauen ins Exil“
06. März – 30. Oktober 2022
Dienstag bis Sonntag 10–17 Uhr
Frauenmuseum Hittisau
Platz 501, 6952 Hittisau
www.frauenmuseum.at
Übrigens:
Von der Ravensburger Gleichstellungsbeauftragten organisiert, hat das dortige Frauennetzwerk Mitte Mai eine gemeinsame Exkursion zur Ausstellung in Hittisau angeboten. Eine tolle Initiative, die durchaus auch in Konstanz aufgegriffen werden könnte.
Sabine Bade (Text und Fotos)