Der Klima-Blog (103): Baden-Württemberg verfehlt seine Klimaziele. Jetzt und in Zukunft.

Mitte des letzten Jahres veröffentlichte das baden-württembergische Umweltministerium eine Pressemitteilung, die vor den Lockdowns jede:n überrascht hätte, der sich mit dem Thema beschäftigte: „Baden-Württemberg übertrifft laut Schätzung des Statistischen Landesamts Klimaschutzziel für 2020“. Noch ein Jahr zuvor galt es als ausgemachter Konsens, auch unter Abgeordneten, die das zähneknirschend zugeben mussten, dass BW sein eigenes Klimaschutzziel verfehlen wird. Und nun auf einmal übertraf das Land sogar sein Klimaschutzziel. Hat die neue Regierung also ernst gemacht mit Klimaschutz?

Leider nein. Denn erstens war die Schätzung vor allem eines: eine Schätzung. Und als dann einige Monate später die tatsächlichen Zahlen vorlagen, wurde deutlich: Das Land hat sein Klimaschutzziel nicht übertroffen. Es hat sein Ziel verfehlt. Und zweitens war der Knick in den Emissionen vor allem einem geschuldet: den Corona-Lockdowns 2020. Und als diese vorbei waren, erlebte das Land den größten Anstieg der CO2-Emissionen seit langem. Mit dem Ergebnis, dass man beim Betrachten der baden-württembergischen CO2-Emissionen nichts erkennen kann, das darauf hindeutet, dass Baden-Württemberg Klimaschutzziele hat, geschweige denn bis 2040 klimaneutral wird (wie es im Gesetz steht).

Mit einer ihrer letzten Amtshandlungen des Jahres 2022 reichte die Landesregierung nun einen Entwurf für ein neues Klimaschutzgesetz zum Beschluss in den Landtag ein. Auf 168 Seiten listet der neue Entwurf auf, wie die Regierung das Land wieder auf den abgesteckten Klimaschutzpfad führt. Doch dass das passieren wird, ist unwahrscheinlich. Denn dafür werden zu viele systematische Themen ausgespart.

Das Problem Sparkassen

Im Gesetz ist die Rede von Fachgesetzen, die nun angepasst werden. Wie zum Beispiel dem Sparkassengesetz, in dem es heißt, dass Sparkassen Kommunen über ihre bisherigen Tätigkeiten hinaus auch im Klimaschutz unterstützen soll. Das klingt nett, ignoriert aber, dass die sparkasseneigene Deka Investmentbank und die baden-württembergische Landesbank (LBBW) als Mutterkonzern mit zu den größten Geldgebern des Kohlekonzerns RWE gehören – jenes Konzerns also, der in den nächsten Monaten das Dorf Lützerath abbaggern will, um deutlich mehr Kohle zu verfeuern, als zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze erlaubt wäre.

Und dann ist die Rede von Maßnahmen, die das Land direkt ergreift. Hier gibt es einzelne Erfolge zu feiern. Wie zum Beispiel die Einführung eines CO2-Schattenpreises, der sich an den tatsächlichen Klimafolgekosten orientiert. Schattenpreis heißt hier, dass das Land bei wirtschaftlichen Abwägungen intern damit rechnet, als gäbe es einen CO2-Preis von aktuell 201 Euro/Tonne. Damit können bei Ausschreibungen des Landes künftig auch klimaschonendere Anbieter zum Zug kommen, selbst wenn sie auf den ersten Blick teurer erscheinen.

Insgesamt gibt es aber wenige Hinweise darauf, dass die Klimakrise als „die Menschheitsaufgabe des 21. Jahrhunderts“ (Zitat Koalitionsvertrag) endlich in ihrer Konsequenz angegangen wird. Das fängt damit an, dass das landeseigene Klimaschutzziel – eine Minderung des Treibhausgasausstosses um 65 Prozent und Klimaneutralität 2040 –, für die jetzt Sektorziele beschlossen wurden, nichts mit dem Einhalten der 1,5 Grad Grenze zu tun hat. Und dass es trotz Beschluss im Koalitionsvertrag noch nicht einmal eine Untersuchung dazu gibt, wie Baden-Württemberg denn ein 1,5-Grad-kompatibles CO2-Budget einhalten könnte. Es geht damit weiter, dass nach Landesgesetz zwei Prozent der Landesfläche für erneuerbare Energien ausgewiesen werden müssen, während eine neue Studie des Öko-Instituts aus Freiburg darlegt, dass es mindestens drei Prozent sein müssten. Und es zeigt sich vor allem darin, dass sehr viele wichtige systematische Aspekte vernachlässigt werden.

Konkrete Vorschläge

In einer gemeinsamen Stellungnahme einiger Jugendverbände fordern wir als Menschen, die dieses Scheitern im Klimaschutz im wahrsten Sinne des Wortes ausbaden müssen, daher, genau diese strukturellen Dinge anzugehen – mit Fokus auf Maßnahmen, die Städten helfen, rechtzeitig klimaneutral zu werden.

Das sind Maßnahmen wie die, Städte rechtlich und finanziell in die Lage zu versetzen, Klimaschutz umzusetzen. Im Verwaltungssprech bedeutet dies: Klimaschutz muss zur kommunalen Pflichtaufgabe werden und vom Land entsprechend finanziert werden. Eine Maßnahme die neben uns auch der baden-württembergische Städtetag fordert.

Oder Maßnahmen wie die, die vor zwei Jahren beschlossene verpflichtende Wärmeplanung für die größten Städte des Landes auszuweiten. Zum Beispiel indem man Wärmeversorger in die Pflicht nimmt, ein Konzept zu erstellen, wie sie zukünftig erneuerbare Wärme bereitstellen. Eine ähnliche Maßnahme steht in Hessen bereits im Gesetzentwurf.

Weiter forderten die Jugendverbände, dass Unternehmen, an denen das Land beteiligt ist, allen voran die EnBW, sich nur noch für Gaskonzessionen, also den Betrieb eines städtischen Gasnetzes zu bewerben, wenn sie sich verpflichten, das Gasnetz im Einklang mit den erarbeiteten Wärmeplänen sukzessive zurückzubauen. Also die Wärmewende unterstützen, anstatt zu versuchen, den Gasverbrauch hoch zu halten, damit der Betrieb des Gasnetzes rentabel bleibt.

Die Liste dessen, was alles angegangen werden muss, könnte fortgesetzt werden. Stichwörter: Weniger Autos, keine Pflicht mehr zum Bau von Stellplätzen, Agrarwende, Bauwende.

Rückwärts denkender Ministerpräsident

Der Weltklimarat spricht davon, dass die für die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze erforderlichen Systemübergänge in ihrem Ausmaß beispiellos sind. Unsere Vorschläge sind ein kleiner Ausschnitt dessen, was das Land momentan alles nicht anpackt. Die Entwicklung der CO2-Emissionen spricht Bände – und sie zeigt, wie wichtig es ist, dass viele weitreichende Veränderungen jetzt angegangen werden. Doch während das Land im Klimaschutz viel zu kleine Schritte unternimmt, drohen selbst einige dieser kleinen Schritte wieder torpediert zu werden – etwa mit der Ankündigung des grünen Ministerpräsidenten Kretschmann, für eine Teilprivatisierung des Übertragungsnetzbetreibers Transnet BW zu sein.

Die Wissenschaftlerin Maja Göpel, die die Bundesregierung lange Zeit zu den Themen Klimakrise und Artensterben beriet, brachte es vor drei Jahren auf den Punkt: „Unsere Befunde zeigen, dass sich die Einschätzung des technologisch Sinnvollen und auch des ökonomisch Machbaren rasant verändert, wenn wir das ökologisch Notwendige ernst nehmen.“

Es wird Zeit, dass das ökologisch Notwendige Ernst genommen wird. Das Klimaschutzgesetz wäre ein guter Zeitpunkt dafür.

Text: Manuel Oestringer von der Klima-Blog-Redaktion
Grafik: Von Fridays for Future Konstanz zur Verfügung gestellt. Foto: Pit Wuhrer

Der Klima-Blog (hier die 103. Ausgabe) wird von Aktivist:innen von Fridays for Future Konstanz verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Frühere Artikel und Blogs finden Sie HIER.