Bemerkenswerte Frauen am Bodensee
Die vergangenen Jahrhunderte zeigten, dass Frauen schon immer um Sichtbarkeit kämpfen mussten. Gesellschaft, Geschichte, Religion, Wissenschaft, Kunst und Literatur wurden fast durchweg von Männern gestaltet. In der Regel von Männern mit stabilen Vorstellungen zu Geschlechterrollen und dem „naturgegebenen Charakter“ von Mann und Frau. Ein neues Buch liefert nun Porträts von Frauen aus unserer Region, die Geschichte geschrieben haben – und oft auch vergessen wurden.
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Es gelang nur wenigen Frauen, sich als einflussreiche weibliche Persönlichkeiten zu positionieren. In ihrem neuen Buch „Über jede Grenze hinweg“ hat sich die Konstanzer Schriftstellerin Chris Inken Soppa am Bodensee auf Spurensuche begeben und ist auf bemerkenswerte Frauen gestoßen, die unsere Grenzregion in besonderem Maße prägen oder geprägt haben. Mit Mut und Tatkraft, schöpferischem Können und Entschlossenheit konnten sich diese Frauen zu allen Zeiten über die ihnen auferlegten Zwänge hinwegsetzen.
Eine Hommage
Neben der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff auf der Meersburg oder der Konstanzer Malerin Marie Ellenrieder ist beispielsweise Dora Labhard-Roeder vertreten, ihres Zeichens die erste Thurgauer Juristin. Frieda Meier, erste Berufsfischerin am See, findet gleichfalls im Buch ihren Platz, Seite an Seite mit Hortense de Beauharnais auf Arenenberg, Mutter von Napoleon III., oder der Allensbacher Demoskopin Elisabeth Noelle-Neumann.
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Auch bislang eher unbekannteren Frauen setzt Chris Inken Soppa ein Denkmal. Etwa mit der berührenden Geschichte des „Engels von Auschwitz“: Maria Stromberger, Krankenschwester aus Bregenz lebte von 1898 bis 1957. Die tiefkatholische Frau meldete sich freiwillig zur Arbeit im KZ Auschwitz, nachdem sie Gerüchte darüber gehört hatte. Einmal dort angekommen, half sie den Häftlingen, wo sie nur konnte. Versorgte sie mit Nahrung und Medikamenten, rettete Typhuskranke vor der Vergasung, schmuggelte Waffen und Munition für Widerständler ins Lager und war sich dabei bewusst, jederzeit erwischt und erschossen werden zu können.
Einsam und ausgebrannt
Im Frühjahr 1946 wurde Maria Stromberger von den Alliierten verhaftet und in ein Internierungslager gesteckt. Man warf ihr vor, Gefangene mit Spritzen getötet zu haben. Doch ehemalige Häftlinge konnten sich erfolgreich für den „Engel von Auschwitz“ einsetzen. Nach ihrer Haftentlassung lebte Maria Stomberger einsam, ausgebrannt und zurückgezogen in einer bescheidenen Bregenzer Wohnung ausgerechnet in der – Ironie des Schicksals – „Heldendankstraße“!
Dort starb sie mit nicht einmal sechzig Jahren. Kaum jemand hatte von der ungewöhnlichen Frau in ihren letzten Jahren Notiz genommen. Ihr enormer Mut, ihre Humanität und ihr Widerstandsgeist schienen vergessen. Erst im Juni 2002 erinnerte man sich offiziell wieder an Maria Stromberger. Am Bregenzer Landeskrankenhaus wurde im Rahmen der Gedenkroute „Widerstand und Verfolgung 1938–45 in Bregenz“ ein Weg nach ihr benannt.
Vielfältige Frauenleben
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In Wort und Bild geleitet Chris Inken Soppas Hommage an die Bodenseefrauen zu zahlreichen weiteren sehenswerten Wirkungsstätten bedeutender Persönlichkeiten rund um den See. Zu jeder porträtierten Frau finden sich Literaturempfehlungen. Das Buch ist auch ein Plädoyer, weibliche Gleichberechtigung nicht als selbstverständlich zu betrachten. Zu nah sind die Zeiten, als man Frauen auch hierzulande aufgrund ihres Geschlechts eine angemessene körperliche und geistige Entwicklung versagte.
Anhand von 45 Geschichten beweist die Autorin, wie vielfältig das Frauenleben am See trotz aller Widerstände war und ist. Das Resultat ist ein bemerkenswertes, reich bebildertes Buch, das auf eine besondere Entdeckungstour einlädt und zugleich in die Geschichte der Grenzregion eintaucht.
MM (Bild: Ralf Staiger)
Chris Inken Soppa, Über jede Grenze hinweg. Bemerkenswerte Frauen am Bodensee. Verlag Gmeiner, Meßkirch, 218 Seiten, EUR 25,00 [D] / EUR 25,60 [A] / CHF 35,50 [CH], ISBN 978-3-8392-0087-2