Bitte keine weitere Investitionsruine
Die Verwaltung ist um einen Kniefall vor einem Großkonzern selten verlegen und hat daher im Podcast der Gemeinderatssitzung vom 10.7. das Wort „Vonovia“ mit einem Piepston unhörbar gemacht. Außerdem gab es im Gemeinderat viel Schelte für den lückenhaften Entwurf einer Vereinbarung über das neue Konstanzer KINA, für das die Stadt Flächen auf dem Siemens-Areal anmieten will. Anscheinend hat die Verwaltung aus der Katastrophe Kompetenzzentrum wenig über den Umgang mit privaten Investoren gelernt.
Kräftig Haue bezog Wirtschaftsförderer Friedhelm Schaal vom Konstanzer Gemeinderat für seine Vorlage für das geplante KINA (Konstanzer Innovationsareal) auf dem ehemaligen Siemens-Gelände. Das gesamte Areal gehört inzwischen der Immobilienfirma i+R, nachdem die Stadt auf ihr Vorkaufsrecht verzichtet hatte. Das Unternehmen „Gründerschiff“, das Jungunternehmen begleitet, will von i+R eine Fläche von 24.100 Quadratmetern auf dem Siemens-Gelände mieten. Davon will die Stadt wiederum 4000 Quadratmeter für das Technologiezentrum (TZK) sowie 6100 Quadratmeter für das KINA haben. Im KINA sollen dann besonders zukunftsträchtige Firmengründungen eine Heimat finden. Erwartet werden Mieten von etwa 3 bis 7 Euro pro Quadratmeter, die aber auch überschritten werden können, mehr ist derzeit nicht bekannt.
Schaal liegt dabei insbesondere ein „Accelerator“ (der neue Firmen schneller erfolgreich machen soll) am Herzen, und es eilt ihm, weil solche Einrichtungen derzeit in den Genuss von Fördermitteln kommen können und die Konstanzer Verwaltung mit ihren Förderanträgen gegenüber anderen Städten nach seinen Angaben schwer zurückliegt – Gründe für diesen zeitlichen Rückstand nannte Schaal übrigens nicht.
Stadt als (Unter-) Mieterin
Die Eigentümerin i+R ist nicht bereit, der Stadt die entsprechenden Flächen auf dem Gelände zu verkaufen. Die Stadt kann also nur Mieterin werden, Ziel ist ein auf 15 Jahre begrenzter Mietvertrag. An dieser Vermietung wollen natürlich sowohl i+R als auch „Gründerschiff“ verdienen. Das motivierte Stephan Kühnle (FGL) zu der etwas späten Erkenntnis, dass es vielleicht besser gewesen wäre, wenn die Stadt das Gelände damals selbst gekauft hätte.
Holger Reile (LLK) erinnerte ihn daran, dass die Linke Liste damals wenig Unterstützung bei ihrer Forderung erhielt, die Stadt solle das Gelände kaufen: „Jetzt befindet sich die Stadt gegenüber dem neuen Besitzer i+R auch wegen des neuen Innovationsprojekts in der Rolle des Bittstellers, und unser Handlungsspielraum hängt ganz und gar davon ab, ob der Besitzer den Daumen hebt oder senkt. Das muss den BürgerInnen doch wie ein Schildbürgerstreich vorkommen! Trotz wortreicher Beteuerungen bleibt Fakt: Der Rat soll die Katze im Sack kaufen, denn die Miethöhen stehen überhaupt noch nicht fest.“
Bloß keine zweite Investitionsruine
Dass den GemeinderätInnen die schlechten Erfahrungen mit dem Kompetenzzentrum, an dem Schaal ebenfalls führend beteiligt war, noch in den Knochen stecken, zeigte die allgemeine Skepsis, die der Verwaltungsvorlage bei aller grundsätzlichen Zustimmung zum Projekt KINA entgegenschlug. Roger Tscheulin (CDU) sprach wohl dem gesamten Rat aus dem Herzen: „Wir wollen uns nicht über den Tisch ziehen lassen!“ Das Vertrauen in die Redlichkeit von Investoren ist nach den katastrophalen Erfahrungen mit dem Kompetenzzentrum und anderen Projekten der öffentlich-privaten Partnerschaft (ÖPP) in ganz Deutschland zerstört, denn meist zahlt die öffentliche Hand einfach nur drauf.
Aus dem Gemeinderat kamen immer wieder Fragen vor allem zum Vorkaufsrecht, die Schaal teils in Verlegenheit brachten. Roger Tscheulin, als Anwalt mit den Fallstricken in Verträgen bestens vertraut, wies darauf hin, dass das geplante Vorkaufsrecht der Stadt für die fraglichen Flächen nur dann greift, wenn der Besitzer i+R die Flächen eines Tages an Dritte weiterverkauft. Ein eigenes Ankaufsrecht für die Stadt ist laut Tscheulin aber nicht vorgesehen, die Stadt kann also von sich aus nichts tun, um die Flächen von KINA und TZK eines Tages zu übernehmen. Wenn mich meine Ohren nicht täuschten, bemerkte Schaal dazu ziemlich leise, das habe er anders verstanden.
Wasserdichte Verträge
Dass bei diesem Projekt, in dem es um viele Dutzend Millionen geht, nur der Vertragstext zählt und nicht irgendwelche mündlichen Äußerungen des Investors gegenüber dem städtischen Wirtschaftsförderer, schien Schaal nicht berücksichtigt zu haben, er scheint eher blauäugig an die Sache herangegangen zu sein. Er betonte denn auch zu seiner Verteidigung, dass er kein Jurist sei. Über den Eigentümer i+R sagte er, dieser habe „Kaufmannsehre“ und plane, das Areal erst zu entwickeln und später irgendwann wieder zu verkaufen.
Auf die Frage, was denn aus den städtischen Investitionen in KINA und TZK im Falle eines Verkaufs oder einer Pleite wird, antwortete Schaal eher ausweichend, er gehe davon aus, dass die städtischen Investitionen bei der späteren gutachterlichen Festlegung eines eventuellen Kaufpreises berücksichtigt werden. Der OB sprang Schaal zwar bei, es war aber zu spüren, dass ihm sein bei manchen Fragen sichtlich überforderter Wirtschaftsförderer langsam auf die Nerven ging. Schaal hatte ja auch schon als Interims-Geschäftsführer des Bodenseeforums für sich auf Ahnungslosigkeit plädiert.
Keine Vertagung
Angesichts derart wachsweicher Äußerungen forderte die LLK, die gesamte Vorlage zurück zu ziehen und in überarbeiteter Form nach der Sommerpause erneut zu beraten. Dem hielt Schaal entgegen, das gefährde die Einhaltung der Antragsfristen für die Fördermittel. Angesichts dieses Zeitdrucks wurde die Vertagung vom Rat mit großer Mehrheit abgelehnt.
Sehr hartnäckige Kritik kam auch von Jürgen Puchta (SPD). Er forderte von der Verwaltung ausdrücklich eine „ordentliche, juristisch abgesicherte“ Beschlussvorlage. Sein Vorschlag, jetzt erst mal einen Rahmenmietvertrag abzusegnen und den schwierigen Punkt des Vorkaufs- und/oder Ankaufsrechts später noch einmal zu verhandeln und zu beschließen, wurde von Schaal wegen der Zeitnot zurückgewiesen.
Am Ende wurde die Beschlussvorlage vom Gemeinderat gründlich umformuliert, was einer ungewöhnlich unverhohlenen Kritik an der Vorlage der Verwaltung gleichkommt. OB Uli Burchardt nannte das zwar einen angesichts der Größenordnung dieses Geschäfts normalen Vorgang, aber es ist in den letzten Jahren kaum einmal vorgekommen, dass eine Verwaltungsvorlage vom Rat derart zerpflückt wurde. Am Ende wurde die überarbeitete Vorlage dann mit 20 Ja- bei 15 Neinstimmen angenommen.
Zensur oder Irrtum
Holger Reile (siehe Foto), der im Gemeinderat mit seinem schmucken, neuen „Vonovia – Nein danke“-T-Shirt so manche Blicke auf sich zog, wollte von der Verwaltung wissen, weshalb in dem im Internet veröffentlichten Podcast der Gemeinderatssitzung vom 10.7. der Name des Unternehmens „Vonovia“ aus seinen Redebeiträgen heraus gepiepst wurde. Der Oberbürgermeister wies Reile darauf hin, dass seine Anfrage früher hätte eingereicht werden müssen, weshalb er sie nicht jetzt mündlich, sondern in den nächsten Tagen schriftlich beantworten werde. Außerdem habe er den Podcast mit Reiles Beitrag gar nicht gesehen und wisse daher nicht, worum es überhaupt gehe.
Normen Küttner (FGL), der ebenfalls gepiepst worden war, berichtete, die Verwaltung habe ihm auf seine Anfrage hin mitgeteilt, das sei ein technischer Fehler gewesen. Die Zensur einer öffentlich gehaltenen Rede eines Volksvertreters zum Schutz des übel beleumundeten Konzerns Vonovia war nur ein läppischer technischer Fehler? Wer bitte soll das glauben?
Inzwischen tat die Verwaltung kund und zu wissen, man habe aus Angst vor einer Klage von Vonovia jene Firma, die den Podcast produziert, damit beauftragt, das Wort Vonovia mit einem Piepston unhörbar zu machen. Korrigieren könne man das leider nicht mehr, weil der fragliche Podcast inzwischen nicht mehr im Netz stehe. Aber immerhin gibt sich die Verwaltung einsichtig: Das sei ein Fehler gewesen. Und großzügig gibt sie sich auch, denn immerhin soll der kurze Wortwechsel über das Herauspiepsen des Namens „Vonovia“, der im Gemeinderat am Donnerstag stattfand, im nächsten Podcast zu sehen sein.
Das kann es aber noch nicht gewesen sein. Es stellt sich die Frage, ob die Verwaltung Redebeiträge von GemeinderätInnen nach Herzenslust zensieren darf, wenn sie ihr oder irgendwelchen Unternehmen nicht passen. Es bleibt zu hoffen, dass der Gemeinderat solche Zensurmaßnahmen nicht klaglos hinnimmt, denn sonst könnten Verwaltung und Unternehmertum schon bald damit beginnen, sich aus den Aufnahmen der Sitzungen am Computer ihre Lieblingsberichterstattung zusammen zu schnippeln.
O. Pugliese (Foto: O. Pugliese)
Klasse Foto – dont’t give up