Bodenseeforum: Der Fisch stinkt vom Kopf her
Die vor wenigen Tagen auf seemoz veröffentlichte massive Kritik des Stadttheaters am Bodenseeforum hat viele LeserInnen interessiert. Das Faktenpapier zeigt in aller Deutlichkeit, dass das höchst defizitäre Projekt alles andere ist, als ein „Haus für alle Konstanzer“. Nicht wenige sprechen mittlerweile von einer organisierten Insolvenzverschleppung zu Lasten der Steuerzahler. Unser Autor weist auf zusätzlich entstandene Kosten hin, die bislang verschämt unter den Tisch gekehrt wurden.
1. Oberbürgermeister Uli Burchardt wusste bereits vor Einschaltung von Gutachtern oder einer Analyse der Situation durch die Stadtverwaltung, dass er ein Veranstaltungshaus haben will. Es war Bestandteil seiner Antrittsrede. Zitat: „Auch ein Veranstaltungshaus muss auf die Agenda, das steht für mich außer Frage.“
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2. Der Gemeinderat hätte sicher misstrauischer sein müssen, aber in erster Linie sind natürlich diejenigen verantwortlich, die diese Leichtgläubigkeit ausgenutzt haben. So finden sich in den Gemeinderats-Vorlagen und Wortprotokollen zum Kauf des Bodenseeforums zahlreiche eindeutige Aussagen. Hier eine kleine Auswahl:
– „Die Investition in dieses Objekt ist eine einzigartige Chance für die Stadt Konstanz.“
– „In der Sitzungsvorlage seien die kalkulierbaren Risiken benannt. Das Projektteam und er seien aber davon überzeugt, dass die positiven Aspekte eines Kaufs die Risiken überwögen.“
– „Das Betriebsrisiko des geplanten Hauses ist beherrschbar. Wenn Vertrieb und Marketing optimal und zielorientiert arbeiten, sind positive Ergebnisse bereits ab dem ersten Betriebsjahr gut erreichbar. “
– „In der Abwägung zwischen Chancen und Risiken empfiehlt die Verwaltung, trotz absehbar schwieriger werdender mittelfristiger Finanzplanung diesem Projekt Priorität einzuräumen.“
– Im Kauf des Anwesens wird „eine einmalige Chance für Konstanz“ gesehen.
– Die Verwaltung rechnet „durch die Bewirtschaftung des Gebäudes mit einer positiven Bilanz.“
– Investitionen würden Risiken bergen. Berechnungen zu verschiedenen Szenarien hätten aber ergeben, „dass die Risiken beherrschbar“ seien. Somit sei die Chance, das Haus zu erwerben, „höher zu bewerten als die damit verbundenen Risiken.“
3. Dazu: Was bisher in allen Betrachtungen außen vor bleibt, ist, dass die tatsächliche Rentabilität des Bodenseeforums noch deutlich schlechter ist, denn durch das Bodenseeforum verursachte Kosten werden in erheblichem Umfang direkt von der Stadt übernommen und tauchen in der Betriebswirtschaftlichen Auswertung (BWA) nicht auf, zum Beispiel:
– Berater-, Anwalts- und Gutachterkosten, die von der Stadt getragen wurden und werden.
– Personalaufwand bei Mitarbeitern der Stadtverwaltung, die Tätigkeiten im Rahmen des Bodenseeforums oder für das Bodenseeforum erledigen.
– Aufwände für Personalsuche (Geschäftsführer).
– Kosten für die „Extrem-Beschilderung“ des Bodenseeforums in ganz Konstanz.
– unterlassene Berechnung für normalerweise kostenpflichtige Werbung der Stadt für das Bodenseeforum.
– Kosten für die Konzeptionsänderung(en) des Bodenseeforums (z.B. gemeinderätliche Klausur auf der Insel Mainau).
– Kosten für Veranstaltungen, die die Stadt im Bodenseeforum abhält (obwohl andere Orte geeigneter und teilweise auch kostenlos wären).
– Zuschüsse für Veranstaltungen im Bodenseeforum, die die Stadt übernimmt, die somit das Ergebnis des Bodenseeforum schönen, aber jenes der Stadt verringern.
Hier wäre Aufklärung über die echten Gesamtkosten dringend nötig, insbesondere, bevor man weitere zusätzliche Millionen für eine fragwürdige Quersubventionierung (Gastroanbau) ausgeben will.
Peter Magulski (Foto: seemoz)
Mehr zum Thema:
11.11.19 | Nixens Skandalchronik des Bodenseeforums
Nur mal angenommen, der OB und der gesamte Gemeinderat würden aus dem Projekt aussteigen bzw. aussteigen wollen. Geht das überhaupt? Gibt es keine „Knebelungsverträge“ zwischen IHK und Stadt Konstanz? Sind die Kosten – insbesondere die Abschreibung auf das Gebäude – nicht so organisiert, dass diese ausschließlich durch die Stadt zu tragen sind? Darüber liest man eigentlich kaum etwas bis gar nichts.
Diese Beiträge sind höchst interessant! Sie zeigen allzu deutlich auf, warum diese Bewertungen und Berechnungen, unter zu Hilfenahme diverser Berater und Schlagwörtern wie Wertschöpfungsanalysen, nur ein Ziel haben, nämlich die Vernebelung. Vom Ergebnis her erwecken sie den Eindruck, als seien sie auf einem Bierdeckel gemacht worden.
Die Strategie, den Gemeinderat mit dem Argument unter Druck zu setzen, es handle sich um eine einmalige Chance – besonders vor dem Hintergrund, dass etliche davon bereits verpasst wurden, ging letztlich auf, denn wer möchte schon derjenige sein, der alles vermasselt.
Alles also eine One Man Show.
Ich frage mich, ob es je einen Weg zurück geben wird, oder ob Politik weiterhin nur unter Marketing wirksamen Aspekten gemacht wird – zu oft aus rein egoistischer Motivation. Dabei wird die persönliche Vorteilnahme nicht einmal mehr vertuscht, so selbstverständlich scheint das in der Wahrnehmung zu sein.
Da ihm nichts passieren kann, interessiert sich ein Uli Burchardt nicht im Geringsten für eine Insolvenzverschleppung.
@Christine Finke
Genau. In dem Zusammenhang wäre für den Konstanzer Gemeinderat wohl auch der Fachartikel „Wertschöpfungsanalysen für Events & Locations“ von Prof. Dr. Hans Rück interessant.
Ein paar Zitate:
1)
„Mit Wertschöpfungsanalysen wird viel Schindluder getrieben
Wertschöpfungsanalysen sind jedoch alles andere als unproblematisch. Speziell die Berechnung der Umwegrentabilität eröffnet große Bewertungsspielräume. Und diese Spielräume werden weidlich ausgenutzt, um sich die Dinge „schön zu rechnen“. Die meisten Wertschöpfungsanalysen verfolgen politische Zwecke. Sie werden durch Regierungen (Stadt, Kreis, Land, Bund) oder regierungsnahe Tourismusorganisationen in Auftrag gegeben und bezahlt. Die Auftraggeber sind häufig weniger an der ökonomischen Wahrheit interessiert als an einem Ausweis möglichst beeindruckender Zahlen, um eine politisch erwünschte Position zu stützen, durch den Nachweis ihres Beitrags zum wirtschaftlichen Wohlstand der Region.“
2)
„Oder nehmen wir ein Kongresszentrum, das sich zu 100 % in kommunaler Hand befindet: Dieses kann nicht einfach alle seine Besucher bzw. deren Ausgaben als eigene Wertschöpfung reklamieren. Es muss vielmehr differenzieren zwischen Gästen aus der eigenen Kommune (die das Haus durch ihre Steuergelder mitfinanzieren) und Besuchern von außerhalb der Kommune, und es darf nur die veranstaltungsbezogenen Ausgaben der Letzteren als eigene Wertschöpfung betrachten. “
3)
„Bei Wertschöpfungsanalysen heißt es also: Aufgepasst! Hier wird viel mit Zahlen getrickst, seriöse Analysen sind die Ausnahme, nicht die Regel.“
Quelle:
https://www.events-magazin.de/eventbranche/wertschoepfungsanalysen-fuer-events-und-locations/
Quasi das Gegenteil der vielbeschworenen „Umwegrentabilität“, von der sich bei näherer Betrachtung herausstellt, dass sie keine zuverlässige betriebswirtschaftliche Größe ist.
„Das Konzept eignet sich eher für die politische Diskussion um die Rechtfertigung einer Förderung, als für eine Analyse nach betriebswirtschaftlichen Maßstäben.“ (wikipedia)
Danke fürs Aufschreiben!