Braucht „unsere“ Wettbewerbsfähigkeit Kriegsverbrecher als Geschäftspartner?

BASF GeländeEine Mehrheit von 57 Prozent der Deutschen will unverändert Gas und Öl beim Kriegsherrn Wladimir Putin einkaufen, sagt eine aktuelle repräsentative Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach. Dass die Mehrheit gegen ein vollständiges Embargo so klar ist, das ist auch das Werk von Martin Brudermüller, Vorstandsvorsitzender der BASF, der vor kurzem in einem vielbeachteten Interview vorhersagte, ein Embargo könne den hiesigen Wohlstand zerstören.

Wie ticken und argumentieren deutsche Manager in solchen Kriegszeiten, Manager, deren Konzerne seit vielen Jahren von den besonders günstigen Gaslieferungen aus der Diktatur Wladimir Putin profitieren?

Vorweg ein Einschub: Martin Brudermüller ist ein Guter unter den Managern. Er wirbt seit Jahren für Erneuerbare Energien, arbeitet mit Hochdruck daran, seinen Konzern von der Produktion bis zu den Produkten komplett klimafreundlich zu machen und findet Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck bisher weitgehend klasse. Und er ist natürlich ein renommierter Manager eines der bedeutendsten Konzerne dieses Landes (Umsatz etwa 23 Milliarden Euro), zugleich einer der größten Energieverbraucher in Deutschland. Wie argumentiert so jemand?

Anfang April schaltete sich der BASF-Vorstandsvorsitzende mit einem ganzseitigen Interview der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung in die gesellschaftspolitische Debatte über ein Gas-Embargo gegen Russland ein. Er sagt zu Beginn: „Die furchtbaren Nachrichten und Bilder aus der Ukraine gehen auch mir unter die Haut.“ Wegen dieses Krieges gelte: Russisches Gas müsse „mit Hochdruck“ ersetzt werden. Sein Zeitplan: „Wenn wir uns beeilen, können wir das in vier bis fünf Jahren hinbekommen.“ Warum geht es nicht schneller, warum nicht sofort? Seine Argumente: Einerseits decke Russland „55 Prozent des deutschen Erdgasverbrauchs“ und andererseits seien „die russischen Gaslieferungen bisher die Basis für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie“. Also geht es „nur“ um die Wettbewerbsfähigkeit, Herr Brudermüller?

Wäre das nicht zu verschmerzen, wäre diese Wettbewerbsfähigkeit zeitweilig ein bisschen eingeschränkt, denkt der Leser. Aber Brudermüller steigert sich, legt in den Antworten danach gleich noch einige fette Briketts nach, damit das Drama so richtig lodert, flackert, brennt. Er prognostiziert: viele Insolvenzen, hohe Arbeitslosigkeit. Nein, noch mehr, sein Drama kommt erst noch zum Höhepunkt. Brudermüller: „Das würde zu irreversiblen Schäden führen. Und: „Das könnte … unseren Wohlstand zerstören.“ Mag Putin einen Vernichtungskrieg führen, deshalb dürfen wir doch unseren Wohlstand nicht zerstören, so die Botschaft. Er dramatisiert sich in eine Apokalypse hinein, ohne in dem sehr langen Interview irgendeine Untersuchung, irgendeinen Beleg zu nennen. Er schöpft die Prognose allein aus seinen persönlichen Erfahrungen und Kompetenzen als Chemiekonzern-Lenker.

Wird unser Wohlstand wirklich zerstört?

Der Interviewer weist ihn daraufhin, es gebe doch völlig anderslautende Szenarien von Wissenschaftlern. Zur Information: Elf Wissenschaftler der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, unter anderem Veronika Grimm und Ottmar Edenhofer, kommen nach ihren Analysen zu dem Schluss, auch ein sofortiger Lieferstopp von russischem Gas für die deutsche Volkswirtschaft sei „handhabbar“. Ähnlich sieht das eine Gruppe von Wirtschaftswissenschaftlern, unter ihnen Moritz Schularick, die mit einer Untersuchung zu den Folgen zu einem ähnlichen Ergebnis kamen. Und der renommierte unabhängige Wirtschaftswissenschaftler Volker Wieland, bis vor kurzem einer der Wirtschaftsweisen, die die Bundesregierung beraten, kam auf Basis von Szenarienberechnungen von verschiedenen Wissenschaftler-Gruppen zu dem Schluss: Ein Gas-Embargo koste zwischen drei bis fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Natürlich werde „das schlimm“, so Wieland, es werde deshalb „eine tiefere Rezession“ geben. Wieland: „Das heißt aber nicht, dass die Wirtschaft zum Stillstand kommt.“ Von Zerstörung des Wohlstandes und ähnlichen apokalyptischen BASF-Weissagungen ist bei den Fachleuten nicht die Rede.

Brudermüller antwortet auf diese Hinweise, indem er zumindest indirekt all diesen WissenschaftlerInnen rundweg Kompetenz und Seriosität abspricht, sie als „Leichtmatrosen“ abtut, die leicht reden hätten: Die größten Wortführer eines Gas-Embargos, so Brudermüller, „sind diejenigen, die an dieser Stelle keine Verantwortung tragen“. Das Prinzip dieser Argumentation: Kompetent mitreden kann und darf nur, wer direkt von dem Konflikt betroffen ist, alle anderen sind nicht glaubwürdig, da latent zu leichtfertig.

Der Star der Manager: Putins billiges Erdgas

Als der Interviewer ihn dazu bewegen will, doch einmal den Schaden und Nutzen eines Gas-Embargos abzuwägen, verweigert er sich und nutzt diese sehr naheliegende Frage zur weiteren Dramatisierung: „Ich frage Sie noch einmal: Wollen wir sehenden Auges unsere gesamte Volkswirtschaft zerstören? Das, was wir über Jahrzehnte hinweg aufgebaut haben? Ich glaube, ein solches Experiment wäre unverantwortlich.“

Der BASF-Manager mischt sich also in eine gesellschaftspolitische Debatte ein, weigert sich jedoch das Naheliegende zu tun: den Nutzen gegen den Schaden des Embargos abzuwägen. Was ein Gas-Embargo helfen könnte, um den Kriegstreiber eventuell früher zu stoppen und um damit Menschenleben zu retten, das interessiert ihn nicht, das ist ihm nicht einmal eine Abwägung wert. Er konzentriert sich allein auf die Vertretung der Interessen seines Konzerns, macht also auch im Angesicht eines Vernichtungskrieges nebenan allein Propaganda für Profit.

Kein Wort verliert er zu dem Thema: Was könnte er und sein Konzern beitragen, um das eben beschriebene Dilemma mindestens zu mildern. Dabei hat er Anlass dazu und zudem genügend Grund zur Selbstkritik: Denn die deutsche Industrie, darunter die BASF führend dabei, hatte im Pakt mit der politischen Elite in Deutschland die Strategie verfolgt, mit den billigen Energielieferungen aus Russland die hiesige Industrie wettbewerbsfähig zu machen und zu halten; die BASF-Tochter Wintershall Dea fördert in Russland Erdgas, in 2015 gab die BASF Gasspeicher an das russische Unternehmen Gazprom, erhielt dafür im Tauschgeschäft Gasfelder in Sibirien, und natürlich war die BASF über ihre Tochter am Projekt Nordstream 2 beteiligt. Eine Strategie, die gegen den Widerstand der USA und vieler EU-Länder durchgekämpft wurde, gegen die Ratschläge: Deutschland solle seine Energieversorgung vielfältiger gestalten, um von Russland nicht so abhängig zu sein. Es war also eine bewusste Strategie auch der deutschen Konzerne, diese gefährliche Abhängigkeit einzugehen — allein weil der Profit lockte. Warum sollen diese Konzerne heute nicht auch konkret  Verantwortung übernehmen, um das von ihnen mitverursachte Desaster zu managen?

Immerhin hat beispielsweise BASF genügend Geld, um zur Stützung des Kurses in großem Stil Aktien zurückzukaufen und bietet seinen Anteilseignern eine sehr hohe Dividendenrendite von sechs Prozent.

Text: Wolfgang Storz. Sein Beitrag ist zuerst erschienen auf: https://bruchstuecke.info
Bild: Pixabay (Es zeigt das BASF-Gelände)