Bündnis Klinikrettung zum Gutachten für den Klinikverbund Landkreis Konstanz (I)

Die Zukunft der Kliniken des Landkreises Konstanz wird gerade heiß diskutiert. Im Raum steht das Vorhaben, von den vier Kliniken des regionalen Klinikverbunds die Krankenhäuser Radolfzell und Singen zu schließen zugunsten einer Zentralklinik; für das als veraltet bezeichnete Krankenhaus Stühlingen ist eine Schließung absehbar. Wegen ihrer Bedeutung publizieren wir hier eine Stellungnahme des „Bündnisses Klinikrettung“ in voller Länge.

Teil 1/3. Teil 2 finden Sie hier, Teil 3 lesen Sie hier.

Die Ergebnisse des Gutachtens von Lohfert & Lohfert, auf das sich das „Bündnis Klinikrettung“ im folgenden Text bezieht, finden Sie hier.

Die Argumente für die Schließungen entstammen einem betriebswirtschaftlichen und wettbewerbsorientierten Gutachten der Beratungsfirma Lohfert & Lohfert. Es ist eines der detailliertesten, die wir kennen, zugleich aber auch das am stärksten markt- und wettbewerbswirtschaftlich ausgerichtete. Größtenteils unhinterfragt kursieren dessen Zahlen und Aussagen in der öffentlichen Debatte um die Zukunft der Krankenhäuser.

Wir finden, dass die Bürger*innen im Landkreis Konstanz (und im Gebiet um Stühlingen) eine kritische und aufgeklärte Diskussion über die vorgeschlagenen Strukturveränderungen verdienen, deren Folgen die Gesundheitsversorgung im Landkreis drastisch ändern würden. In diesem Papier möchten wir daher ein paar grundlegende methodische, medizinische und argumentative Mängel des Gutachtens darlegen und den Einfluss und die Hintergründe von Beratergutachten in Debatten um Krankenhausplanung beleuchten.

Gutachten privater Beraterfirmen spielen eine wesentliche Rolle in der radikalen Ausdünnung und Zentralisierung der deutschen Krankenhauslandschaft, die seit einigen Jahren forciert wird. Die Gutachten stellen häufig den ersten Schritt für die Schließung eines wohnortnahen Krankenhauses dar. Verfasst werden sie von Wirtschaftsprüfungs- und -beratungsunternehmen wie Ernst & Young, Oberender, McKinsey, Röder & Partner, KPMG, WMC oder eben Lohfert & Lohfert wie im Fall des Gesundheitsverbunds Landkreis Konstanz (GLKN). Diese Unternehmen bewerten ihre Untersuchungsgegenstände generell anhand von Kriterien des Wettbewerbs und mit Methoden aus der Betriebswirtschaftslehre. Wie diese Ausrichtung die Schlussfolgerungen der Gutachten prägen, wird im Folgenden dargelegt.

Für fast alle von uns beobachteten Krankenhausschließungen hatten entsprechende Gutachten einen zentralen Stellenwert. Lohfert & Lohfert sind MitautorInnen eines Gutachtens zur Krankenhausstruktur in ganz Nordrhein-Westfalen, das eine massive Reduktion der Krankenhäuser in dem Bundesland nahelegt. Uns ist kein einziger Fall bekannt, wo das Gutachten einer privaten Beraterfirma für den Erhalt kleiner, wohnortnaher Krankenhäuser plädiert hätte. Es ist daher keine Übertreibung, zu sagen: Wo ein Gutachten bei diesen Unternehmen bestellt wird, ist eine Schließungsempfehlung zu erwarten.

Das „Bündnis Klinikrettung“ ist eine bundesweite Gruppe von politisch Aktiven, bestehend aus PflegerInnen, ÄrztInnen, PatientInnenvertretungen, KlinikleiterInnen und GewerkschafterInnen. Seit Anfang 2020 arbeiten sie zum Thema Klinikschließungen und haben im Herbst 2020 ihr bundesweites Bündnis gegründet. Sie dokumentieren aktuelle und drohende Krankenhausschließungen, unterstützen lokale Initiativen und betreiben Öffentlichkeitsarbeit. Der Träger des Bündnisses ist „Gemeingut in BürgerInnenhand“.
Bündnis Klinikrettung c/o Gemeingut in Bürgerhand, Weidenweg 37, 10249 Berlin, Tel. 030/ 37300442; https://www.gemeingut.org/krankenhausschliessungen/

Die Probleme des Gutachtens im Überblick:

Problem 1: Die rein betriebswirtschaftliche und wettbewerbsorientierte Ausrichtung des Gutachtens ist für die Bewertung von Infrastrukturen der öffentlichen Gesundheitsversorgung nicht angemessen. Medizinische Erwägungen und eine Analyse der Bedarfe der PatientInnen im Verhältnis zur vorhandenen Struktur fehlen vollständig.

Krankenhäuser sind Bestandteile einer öffentlich finanzierten Infrastruktur, deren Zweck die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung ist. Aber die Bedürfnisse von PatientInnen und medizinische Erwägungen spielen in dem Gutachten kaum eine Rolle. Die bisherige klinische Versorgung der BewohnerInnen des Landkreises und Verbesserungsmöglichkeiten werden überhaupt nicht behandelt. Ebenso fehlt eine Analyse der Kooperationsmöglichkeiten zwischen den Krankenhäusern des Landkreises und mit wichtigeren ambulanten Versorgern, und über Bedarfe der PatientInnen im Verhältnis zum klinischen Angebot verlautet nichts. Selbst die Analyse der Erreichbarkeit der Krankenhäuser konzentriert sich nicht auf die Steigerung der Qualität für PatientInnen, sondern dient dazu, mögliche Schließungen als erträglich darzustellen. Dabei fehlt aber eine Untersuchung der Erreichbarkeit bei dem von Gutachten präferierten Szenario, nämlich zwei bzw. drei Schließungen. Die „Bedarfsnotwendigkeit“, ein Kernbegriff für die Gesundheitsversorgung, wird nur einmal erwähnt – sie (S. 114) wird hier ohne weitere Begründung dem Krankenhaus Stockach (als „Wettbewerber“, S. 120) abgesprochen. Auch zur Lage des Personals gibt es in dem Gutachten nur wenige oberflächliche Bemerkungen, die nicht weiter reflektiert werden.

Worum geht es stattdessen? Hauptsächlich befasst sich das Gutachten mit der Marktposition der vier untersuchten Krankenhäuser sowie deren betriebswirtschaftlicher Optimierung. Das zeigt sich schon in immer wieder gebrauchten Begriffen, z.B. Marktdurchdringung (S. 13 u. passim), Marktanteile bzw. -positionierung (S. 17 u. passim), andere Krankenhäuser als „Wettbewerbsumfeld“ o.ä. (S. 6 u. passim), Fallzahl-„Benchmarks“ (S. 8 u. 91ff.), etc. – Begriffe, die medizinisch und bezüglich Gesundheitsversorgung irrelevant sind und zum Teil eine eher schädliche Wirkung auf die Gesundheitsversorgung haben können, wie beispielsweise um PatientInnen und Fälle konkurrierende Krankenhäuser. Auch die Schwerpunktsetzung ist deutlich betriebswirtschaftlich orientiert. Eine Vielzahl von Ausführungen behandelt Marktanteile und -entwicklungen und regionale Kaufkraft (S. 35, 37-39, 83-89), monetäre Betriebsergebnisse und Kostenbestandteile (S. 47-59; dabei Corona-Effekte inadäquat dargestellt), reine Abrechnungseinheiten wie Fallzahlen und Case-Mix, und deren Wachstumsmöglichkeiten (S. 29, 62-64, 83-95, 103-107), angrenzende Krankenhäuser als Wettbewerber (S. 30, 71-78, 120).

Problem 2: Die Prognosen und Szenarien des Gutachtens basieren auf vagen und schwer überprüfbaren Annahmen, deren Zutreffen auf die Krankenhäuser im Landkreis Konstanz nicht belegt wird.

Das Gutachten prüft drei verschiedene Szenarien für den Klinikverbund Landkreis Konstanz (S. 16 ff.). Szenario A, „Fortsetzung Status Quo“ sieht den Erhalt aller Krankenhäuser und deren Sanierung vor. Szenario B, „1-Standort-Szenario“ wiederum schlägt die radikale Zentralisierung auf ein einzelnes Krankenhaus im Landkreis vor, das zu diesem Zweck neu gebaut werden müsste. Ein vage bestimmtes Szenario C, die „optimale alternative Konstellation“, scheint eine Mischform von A und B darzustellen, die aber nicht näher erläutert wird. Der Umgang mit den Szenarien ist insgesamt undurchsichtig. So werden eine Reihe von negativen Konsequenzen bei Szenario A prognostiziert, das so zum Negativszenario (S. 17) stilisiert wird: Zum Beispiel behauptet das Gutachten ohne Belege, dass nicht näher definierte „GBA-Vorhaben, KH-Planung, Strukturvoraussetzungen und Mindestvorgaben“ dazu führen würden, dass die Leistung des Krankenhauses nicht mehr erbracht werden könne. Dabei bleibt völlig unklar, welche Vorhaben, Planungen, Strukturvoraussetzungen und Mindestvorgaben gemeint sind, und ob diese auf die Krankenhäuser im Landkreis überhaupt zutreffen. Es entsteht der Eindruck, dass politische Entscheidungsprozesse vorweggenommen werden. Weiterhin, so behauptet das Gutachten, würde ein Erhalt der Krankenhäuser Personalabwanderung bedeuten, sodass der Klinikverbund dadurch nur noch „auf Entwicklungen reagieren“ kann. Was mit letzterer schwammigen Formulierung gemeint ist, bleibt unklar. Nicht erwähnt wird, dass nicht der Erhalt, sondern die Schließung von Häusern häufig zu Personalverlusten führt. Denn Beschäftigte sind oftmals familiär an ihren Wohnort gebunden und nicht bereit, weite Strecken zurückzulegen. Auch die „semiqualitiative Bewertung entlang verschiedener Kriterien“ der drei Szenarien (S. 19) ist intransparent (vgl. S. 7, „Sonderaspekt“).

Das Problem nicht nachvollziehbarer Zukunftsprognosen zeigt sich an mehreren Stellen im Gutachten. Beispielsweise S. 25: „Gesundheitsmarkt steht vor weiteren Veränderungen, insbesondere wird die Erbringung von Leistungen zukünftig vermehrt an weitergehende strukturelle Anforderungen geknüpft sein. Ein Beispiel hierfür sind die neuen Mindestmengen-Vorgaben. Ohne weitere Veränderungen würde es zu deutlichen Einschnitten für den GLKN kommen.“ Diese Prognose bleibt vollkommen unkonkret: Um welche Mindestmengen-Vorgaben geht es? Treffen diese auf die Kliniken im Landkreis überhaupt zu? Welche anderen „weitergehenden strukturellen Anforderungen“ sind gemeint? Und ab wann genau sollen diese gelten? Ebenso unkonkret und unbelegt sind Behauptungen zum Einfluss von sogenannten „externen Rahmenbedingungen“ wie Ambulantisierung, Vergütungsstrukturen oder auch zur „Wandlung des Versorgungsanspruchs der Bevölkerung“ auf die Zukunft der Krankenhäuser (S. 31). Die Aussagen werden weder ausgeführt noch belegt. Woher stammt beispielsweise die Behauptung, dass Menschen sich von „geduldigen“ PatientInnen zu „informierten KundInnen“ wandeln? Diese Aussage ist ein schlichtes Postulat, eine faktenbasierte Argumentation fehlt. Für viele der genannten „Rahmenbedingungen“ gilt außerdem, dass es sich um politisch umstrittene und gestaltbare Felder handelt. Das Gutachten hingegen scheint Tendenzen wie Ambulantisierung oder Fachkräftemangel als natürliche und unabwendbare Entwicklungen anzunehmen.

Text: MM/red, Bild: O. Pugliese