BUND und NABU: Systemwechsel beim Ausbau der Windenergie?
Ein schnellerer Ausbau der Windenergie in Baden-Württemberg sei für den Klimaschutz unabdingbar, müsse aber landesweit koordiniert werden und im Einklang mit dem Natur- und Artenschutz stehen, so die zentrale Position von NABU und BUND im Rahmen ihrer Pressekonferenz anlässlich der 45. baden-württembergischen Naturschutztage. Der Bau von 1.000 neuen Windrädern gelinge nur mit passenden Artenhilfsprogrammen und erfordere schätzungsweise einen Finanzbedarf von 15 bis 20 Millionen Euro jährlich.
Naturschutztage erstmals digital
Die 45. baden-württembergischen Naturschutztage vom 5. bis 7. Januar hatten Corona-bedingt ihre digitale Premiere und waren ein voller Erfolg – so das Fazit der sie veranstaltenden Naturschutz- und Umweltverbände BUND und NABU. Nicht am schönen Bodensee, in den Räumen des Radolfzeller Tagungszentrums Milchwerk trafen sich die mehrheitlich ehrenamtlichen NaturschützerInnen, sondern per Videoschalte. Diese Veranstaltung mit langer Tradition nochmals, wie 2021, ganz ausfallen zu lassen, sei für sie nicht in Frage gekommen, denn wie wichtig der jährliche Austausch sei, habe sich mit rund 700 Anmeldungen bestätigt. Und erfreulicherweise hätten sich auch die anfänglichen Befürchtungen, dass Themen wie Klimaschutz, Biodiversität und Artensterben pandemiebedingt medial an Aufmerksamkeit verlieren, nicht bewahrheitet, teilte NABU-Landesvorsitzender Johannes Enssle mit.
Forderungspapier an die Landesregierung
Das Desaster ist bekannt: In Punkto erneuerbare Energien steht unser Musterländle im Ländervergleich alles andere als mustergültig da. So wurden 2020 gerade mal 12 neue Windenergieanlagen errichtet, insgesamt gibt es 779. Das flächenmäßig halb so große Rheinland-Pfalz hat dagegen doppelt so viele. Um das Ziel, bis 2030 eine Reduktion des Treibhausgasausstoßes um mindestens 65 Prozent gegenüber 1990 zu erreichen und bis 2040 klimaneutral zu sein, muss nun gehandelt werden, und zwar schnell und effektiv, so sieht es das baden-württembergische „Sofortprogramm für Klimaschutz und Energiewende“ der Landesregierung vor. Und eine „Task Force mit externem Sachverstand“ soll „die notwendigen Mittel und Wege“ identifizieren „und entsprechende Vorschläge an die Landesregierung“ formulieren, ist im baden-württembergischen „Koalitionsvertrag 2021-2026“ schwarz auf weiß zu lesen. Die Naturschutzverbände BUND und NABU sind Mitglieder dieser Task Force. „Auf zwei Prozent der Landesfläche sollen die räumlichen Voraussetzungen für den Ausbau erneuerbarer Energien in den Regionalplänen geschaffen werden“ (Klimaschutzgesetz § 4). Vorgesehen sind u.a. 1000 neue Windkraftanlagen.
Mehr Windkraft und besserer Artenschutz schließen sich nicht aus, war die klare Botschaft von Johannes Enssle und Sylvia Pilarsky-Grosch (Landesvorsitzende des BUND) bei den Naturschutztagen. Die Ausbauziele der grün-schwarzen Landesregierung, 1000 neue Windkrafträder auf rund zwei Prozent der Landesfläche bis 2030 zu errichten, unterstützen sie grundsätzlich. Dabei dürften aber weder der Artenschutz noch wichtige Errungenschaften unserer demokratischen Gesellschaft wie Bürgerbeteiligung und Verbandsklagerecht geschwächt werden – doch genau in diese Richtung interpretieren sie entsprechende Signale aus der Politik. In einem Positionspapier, das im Rahmen der Medienkonferenz vorgestellt wurde, haben sie an die Landesregierung gerichtete Vorschläge zur „Zur besseren Vereinbarung von Windenergie und Artenschutz“ sowie zur „Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren“ zusammengestellt.
Vier zentrale Punkte stehen im Vordergrund:
1. Systemwechsel bei der Windenergieplanung: Planung durch Gebiete mit Vorrang für Windenergie und Artenschutz beschleunigen. Bauen, wo der meiste Wind weht, und Gebiete schützen, in denen Vögel und Fledermäuse ihre Schwerpunkte haben.
2. Booster für die Artenvielfalt: Schutzräume einrichten, wirksame Artenhilfsprogramme zum Schutz windenergiesensibler Vogel- und Fledermausarten umsetzen.
3. Systematisches Monitoring: Arten systematisch überwachen und bei Verschlechterung gegensteuern.
4. Schnellere Verfahren: Mehr qualifiziertes Personal in den Genehmigungsbehörden und die Einhaltung von Bearbeitungsfristen sind dafür notwendig.
Systemwechsel und Artenhilfsprogramme
Oft werde es so dargestellt, als sei der Naturschutz der größte Hemmschuh bei der Genehmigung von geplanten Windkraftanlagen. Dies sei nicht so, möchten die beiden Landesvorsitzenden richtigstellen. Bislang seien die Belange des Natur- und Artenschutzes aber das letzte Prüfkriterium bei dem Genehmigungsverfahren gewesen. Außerdem sei nach dem bisherigen Verfahren jedes Windrad eine Einzelentscheidung gewesen. Damit der Ausbau der Windenergie künftig reibungsloser klappe und effizienter werde, schlagen sie einen Systemwechsel vor: Baden-Württemberg solle mit einer landesweiten Planung auf übergeordneter Ebene Vorranggebiete für Windenergie festlegen. Anforderung an diese Flächen solle sein, dass „dort möglichst viel Wind weht und im landesweiten Vergleich die geringsten Konflikte mit dem Arten- und Naturschutz zu erwarten sind“. Zwei Prozent der Landesflächen, wie von der Regierung vorgesehen, genügen auch aus ihrer Sicht, um die erforderlichen Ausbauziele zu erreichen. Mit einer landesweiten Analyse ließen sich diese Flächen gut ermitteln und in diesen Gebieten „sollte dann auch schneller und unkomplizierter geplant und gebaut werden können. Außerhalb dieser Gebiete sollten Windenergieanlagen allerdings tabu sein“, fordert Pilarsky-Grosch. Zudem seien bei der Auswahl der Windeignungsflächen Natur- und Artenschutzgebiete von vorn herein auszuschließen.
Konflikte mit einzelnen „windenergiesensiblen Vogel- und Fledermausarten“ seien aber selbst auf solchen Vorranggebieten nie ganz auszuschließen, ergänzt Johannes Enssle. (Konkret gesagt, dass einzelne Tiere bei der Begegnung mit einem Rotor des Windrades ihr Leben lassen, kann nicht verhindert werden). Um dennoch den dort geplanten Ausbau der Windenergie nicht auszubremsen, müsse mittels gesetzlich verankerten Artenhilfsprogrammen „sowohl rechtlich als auch naturschutzfachlich“ sichergestellt werden, dass sich der Erhaltungszustand der betroffenen Fledermaus- und Vogelarten keinesfalls verschlechtert, sondern sogar verbessert. Um den Erfolg solcher Programme zu garantieren, werden ein systematisches Monitoring, ausreichend Personal und eine finanzielle Sicherung gefordert. Schätzungsweise 15 bis 20 Millionen Euro müssten dafür jährlich investiert werden, so die Umweltverbände.
Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren
Zur Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren müsse die gesetzliche Frist von einem Monat eingehalten werden. Damit diese – wie bislang Usus – nicht immer wieder verlängert werde, müssten künftig alle Beteiligten (Träger öffentlicher Belange, Kommunen, Verbände) die Möglichkeit haben, innerhalb dieser Frist Stellung zu beziehen. Gleichzeitig aber müssten auch die Behörden die Anträge schneller und effektiver bearbeiten, was wiederum nur mit Personalaufstockung realisiert werden könne. Digitalisierung der Verwaltungsabläufe und konkrete, rechtsverbindliche Prüfmaßstäbe seien zudem ein weiterer Schritt, damit es bei diesen Verfahren schneller vorangehe. Dass trotz aller Beschleunigung eine frühzeitige, ergebnisoffene und verpflichtende Bürgerbeteiligung dabei nicht geschwächt oder „geschleift“ werden darf, steht für die Naturschutzverbände außer Frage. Die Öffentlichkeitsbeteiligung würde die Entscheidungsprozesse keinesfalls verlängern, sondern sie sei im Gegenteil Voraussetzung für eine gute und rechtssichere Planung, sind sich die beiden Landesvorsitzenden einig. – Soviel zur gemeinsamen Presseerklärung von BUND und NABU.
Kein Interessenskonflikt mit grünen Energiewendeplänen?
Heftigen Widerspruch erntete der künftige Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Sven Giegold (bislang grüner Europa-Abgeordneter und alles andere als ein Naturschutzgegner!), für seinen Vorstoß, das strenge Naturschutzrecht der EU zu lockern, um Genehmigungsverfahren für Windkraft- oder Solaranlagen zu beschleunigen. „Sobald ein Rotmilan in einem Planungsgebiet auftaucht, kann dort im Prinzip nicht mehr gebaut werden“, hatte Giegold dem RND [2] gesagt. „Das muss verändert werden, denn es geht im Naturschutz ja eigentlich um den Bestand und nicht zwingend um das einzelne Tier. Darum plädiere ich bei den europäischen FFH-Richtlinien (Fauna-Flora-Habitat-Richtlinien) für die Umstellung von Individuenschutz zum Populationsschutz.“ Entsprechend empört reagieren BUND und NABU. So konterte NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger: „Hauptbremser auf diesem Weg sind vielerorts fehlende Raumplanungen und der gravierende Personalmangel in Verwaltungen“ [3]. Ergo: Der Konflikt nimmt wohl gerade erst Fahrt auf!
Echter Systemwechsel oder nur Verschiebung der Konflikte?
Beschleunigung der Verfahren zum dringend nötigen Ausbau der Windenergie, damit das Pariser Klimaziel doch noch erreicht werden kann – das hört sich erst einmal mal sehr engagiert und vernünftig an! Doch soll damit wirklich ein „Systemwechsel“ angestoßen oder doch nur „Konfliktpotential“ verschoben werden?
Besagte „Task Force“ (neudeutsch für „Arbeitsgruppe“) hat zwar inzwischen mit ihrer Arbeit begonnen. Erste Flächen im Staatswald wurden schon für ihre mögliche Eignung zur Errichtung von Windkraftanlagen ins Visier genommen, doch viel mehr gibt es noch nicht. Überflüssig zu erwähnen, dass uns die Zeit davonläuft und die Klimakrise täglich dramatischer wird. Bis wann werden daher die zwei Prozent für Windkraftanlagen geeignete Flächen ausgewiesen werden? Und wo? Über ganz Baden-Württemberg verteilt?
Und was wird aus den in der Planung schon weit fortgeschrittenen, aber bislang auf Eis gelegten Windkraftanlagen (etwa weil dort genau ein Rotmilanhorst zu viel kartiert wurde, wie beim Windpark-Projekt „Brand“ bei Tengen? Diese müssen nun auf die Analyse der Landesregierung warten, ob sie zu den genug windhöffigen Gebieten gerechnet werden und eventuelle Konflikte mit dem Artenschutz selten genug sind, um in die Auswahl als Vorranggebiet aufgenommen zu werden.
1000 neue Windräder bis 2030 sind erst einmal eine Absichtserklärung für mehr Tempo in der Energiewende. Mehr aber nicht. Ob es überhaupt gelingen wird, so viele bis dahin zu bauen, bleibt abzuwarten. Ungewiss zudem, ob diese (zusammen mit der Photovoltaik, deren Ausbau aber ebenso auf Forcierung wartet) dann wirklich ausreichen werden, um unserem stetig steigenden Bedarf an Strom aus grüner Energie zu decken. Die Naturschutzverbände sind zwar beim Ausbau von zwei Prozent der Landesfläche für Windenergie mit dabei – unter bestimmten, von ihnen formulierten Voraussetzungen und nur unter der Bedingung, dass das Artenschutzgesetz dafür nicht aufgeweicht wird –, im Gegenzug möchten sie aber alle weiteren Flächen als rechtlich ausgeschlossen definiert sehen, was ihnen anscheinend das noch wichtigere Anliegen ist.
Wo bei uns der Wind weht, ist im „Windatlas“ [1] kartiert. Es sind nicht zwei, sondern rund sechs Prozent der Landesfläche: Auf 220.000 Hektar ließen sich rein rechnerisch 12.000 Windenergieanlagen realisieren. Wie wahrscheinlich ist es, dass die Kartierung von 2022 – was die Standortverhältnisse insbesondere hinsichtlich Windhöffigkeit betrifft – zehn Jahre später noch gültig ist? Wenn man die Veränderungen der großräumigen Wetterverhältnisse betrachtet (zu denken u. a. an Golfstrom, Permafrost und Jetstream), sind daran doch erhebliche Fragezeichen angebracht!
Wenn der gewünschte Systemwechsel vor allem darin besteht, dass nun, da von Regierungsseite landesweit Vorranggebiete ausgewiesen werden, gleichzeitig Ausschlussgebiete zementiert werden sollen, stehen der Naturschutz und dessen Verbände als ein Glied in der Kette der beteiligten Entscheider zwar nicht mehr exponiert als Spielverderber am Ende des Genehmigungsverfahrens da. Gut fürs Image mag das sein. Doch ist es allein schon dadurch wirklich weniger wahrscheinlich, dass eine Genehmigung auf einer zwar bestens windhöffigen Fläche, auf der aber ein Greifvogelhorst zu viel gezählt wurde, als es das bestehende Artenschutzgesetz erlaubt, und für die es keine passende Ausgleichsfläche gibt, letztlich doch wieder scheitert?
Mehr Geld und mehr Fachpersonal sind unbestritten notwendig, aber genau an diesen fehlt es so gut wie überall, angefangen bei der Pflege, der Bildung, der Mobilitätswende hin zu mehr ÖPNV, in der Verwaltung auf allen Ebenen, bei der Justiz … Also auch hier die Frage: Wie schnell lässt sich was umsetzen? 15 bis 20 Millionen für Artenschutzprogramme mögen gut investiert sein, aber um das Geld konkurrieren fast alle anderen Bereiche ebenfalls.
Die Bürgerbeteiligung dürfe nicht geschwächt werden. Auch das ist richtig. Doch gerade beim Ausbau der Windkraft mischt eine Vielzahl von Lobbygruppen mit, die wie bisher auch mit allen möglichen Fake News und Scheinargumenten versuchen werden, zumindest Sand ins Getriebe zu streuen, um endlose Verzögerungen zu erreichen. Ob sich wohl jene Gruppierungen, die den Naturschutz nur instrumentalisieren, um Eigeninteressen zu wahren, von diesen Forderungen beeindrucken lassen werden? Und wie kompromissbereit wird sich der Denkmalschutz mit seinen oft absurden Auflagen geben? Die Rufe, dass gerade mal drei Windräder die Sicht auf unsere idyllische Hegaulandschaft verstellen würden, oder dass gar der Schatten eines Windradflügels die Kulisse eines Adelssitzes trüben könnte, werden bestimmt nicht leiser werden, geschweige denn verstummen.
Und so bleibt die Wahrscheinlichkeit, dass am Ende doch für jede Windkraftanlage wieder eine Einzelfallentscheidung notwendig ist – trotz aller Forderungen nach schnelleren Verfahren und dem Bemühungen um einheitliche rechtssichere Entscheidungskriterien.
„Erhalt unseres Lebensraumes“ statt Aufsplitterung in Teilaspekte!
Am Ende bleibt wieder nur die Hoffnung, dass die Einsicht aufkommen möge, dass „Klimaschutz“ und „Artenschutz“ nicht nur „gleichrangige“ Ziele sind, sondern „identische“. Und dass in unserem Interesse und dem aller zukünftigen Generationen beides – Energiewende und Sicherung der Biodiversität – doch noch gelingen möge. Kleine Umstrukturierungen bei der Verteilung von Zuständigkeiten und von Flächen für Windkraftanlagen und gefährdete Arten reichen hier bestimmt nicht aus, selbst wenn sie als „Systemwechsel“ deklariert werden. Umetikettierungen helfen nicht weiter! Und dass die gesellschaftliche Mehrheit in unserem kapitalistischen System bereit sein könnte, freiwillig und ohne massive Einschläge aus unserer Umwelt, auf ihre ressourcenverschlingende Lebensweise und ihren Hyperkonsum zu verzichten, zeichnet sich nicht ab. Und ist von Wirtschaft und Politik auch nicht gewünscht. Denn diejenigen, die daraus gigantische Profite ziehen können, dürfen ja keinesfalls darin eingeschränkt werden. Sie dürfen nicht einmal dazu verpflichtet werden, auch nur ein ganz klein wenig davon – in Form von Steuern – an die Allgemeinheit zurückzugeben. Wenn’s um Geld geht, so hätten die 20 Millionen Euro, die für die Werbekampagne „The Länd“ verpulvert wurden, immerhin schon das erste Jahr für die Einrichtung der Artenhilfsprogramme finanziert. Hier waren andere Interessengruppen offensichtlich einflussreicher…
[1] Windatlas
[2] Quelle: RND Redaktionsnetzwerk Deutschland
[3] ebenda
Text: Uta Preimesser
Porträtfoto Sylvia Pilarsky-Grosch © BUND, Frank Müller
Porträtfoto Johannes Enssle © NABU, Uli Regenscheit
Fotomontage: seemoz/dh