Bunte Demo statt braunes Denkmal
Am Sonntag ist Volkstrauertag, den die Stadt Radolfzell auch in diesem Jahr wieder unverdrossen zu Füßen des Nazi-Kriegerdenkmals auf dem Luisenplatz begehen wird. AntifaschistInnen aus der Region planen, andere Akzente zu setzen. Sie rufen zu einem Treffen am Gedenkstein für deportierte Jüdinnen und Juden in der Seetorstraße auf und wollen anschließend mit einer „bunten Demo“ auf das kritikwürdige Gedenkritual des offiziellen Radolfzell aufmerksam machen und gegen rechte Umtriebe protestieren. Auf dem Luisenplatz soll dann mit einer Kundgebung den Opfern faschistischer Gewalt auf angemessene Weise gedacht werden. Der Aufruf der antifaschistischen Gruppe OAT (offenes antifaschistisches Treffen) im Wortlaut.
Gegen den Volkstrauertag, gegen das Kriegerdenkmal
Wenn Kriegstoten gedacht werden soll, muss erklärt werden warum sie gestorben sind. So gibt es Täter die morden und Menschen die jenen zum Opfer fallen. Im postnazistischen Deutschland wird diese Erklärung ausgelassen. Das führt dazu, dass Opfern und Tätern im selben Atemzug gedacht wird.
Das Kriegerdenkmal in Radolfzell treibt diese absurde Form des Gedenkens auf die Spitze. Unterschiedslos stehen auf den Gedenkplatten die Namen der Ermordeten in mitten ihrer Häscher. So finden sich zahlreiche SS-Offiziere und Wehrmachtssoldaten inmitten derer, der jährlich zum Volkstrauertag gedacht wird. Das Kriegerdenkmal wurde 1938 im Auftrag der SS errichtet. Das macht den Ort zu einer Pilgerstätte für Neonazis aus der Region. Wiederholt nutzte die faschistische Partei Der Dritte Weg diesen Ort um Kränze nieder zu legen und Kriegsverbrechern zu huldigen.
Antifaschistische Proteste gegen solche PR-Aktionen versuchte die Stadt schon zweimal zu verhindern – ohne Erfolg: Die Demoverbote wurden vor Gericht als illegal eingestuft und kosteten die Stadt über 10.000 Euro.
Aus diesen Gründen sagen wir nein zu unterschiedsloser Trauer, zu Nazidenkmälern und zu faschistischen Umtrieben.
Deswegen wollen wir den Opfern faschistischer Gewalt auf angemessene Weise gedenken. Hierzu treffen wir uns am Gedenkstein der deportierten Jüdinnen und Juden an der Seetorstraße vor dem Bahnhof Radolfzell. Danach wird es am Kriegerdenkmal auf dem Luisenplatz eine Kundgebung gegen das Denkmal geben.
Sonntag, 18.11., 11:30 Uhr, Radolfzell, Seetorplatz
Kommentar: Nichts gelernt
Der von Staats wegen begangene Volkstrauertag ist eigentlich der am wenigsten geeignete Erinnerungstermin für ein würdiges Gedenken an die Opfer von Kriegen und sonstiger Unterdrückergewalt. In der Weimarer Republik eingeführt, diente er dem „Ehrengedenken“ an tote deutsche Weltkriegs-Soldaten, die Nazis nutzten ihn als „Heldengedenktag“ systematisch für Kriegspropaganda, und auch in der BRD verklärte man lange Zeit vornehmlich deutsche Täter aus Wehrmacht und SS. Spät erst und nur dank zunehmender öffentlicher Kritik vollzog sich ein Bedeutungswandel, rückten bei den Gedenkritualen zögerlich die wirklichen Opfer in den Fokus. Eine Entwicklung, die an der Stadt Radolfzell anscheinend vorbeigegangen ist. Unbeeindruckt von vielstimmiger Kritik werden die Honoratioren die Feierlichkeiten auch in diesem Jahr wieder zu Füßen des Nazi-Kriegerdenkmals auf dem Luisenplatz begehen.
Dass AntifaschistInnen, darunter erfreulich viele jüngeren Alters, hartnäckig gegen dieses fragwürdige Ritual aufbegehren, ist rückhaltlos zu begrüßen, gerade weil braune Brandstifter vom „Dritten Weg“ über Pegida bis AfD wieder zündeln dürfen. Wann endlich lernt Radolfzell dazu und folgt dem Beispiel anderer Städte, wo Feierlichkeiten seit Jahren an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern und die Warnung vor Faschismus, Nationalismus und Krieg im Zentrum steht? Gespannt darf man übrigens sein, ob die Stadtspitze wenigstens aus den juristischen Prügeln gelernt hat, die sie jüngst für ihre wiederholten Versuche bezog, antifaschistisches Engagement mit windiger Begründung und per Polizeimacht zu verhindern. Teilnahme ist am Sonntag auf jeden Fall angesagt.
J. Geiger