Burkini-Debatte: Toleranz oder Feigheit?

Ohne große Diskussion hat der Konstanzer Gemeinderat mit überwältigender Mehrheit beschlossen, das Tragen von Burkinis in öffentlichen Bädern zuzulassen. Zahide Sarikas (SPD) votierte dagegen und bezeichnete die Entscheidung sinngemäß als falsch verstandene Toleranz. Unser Gastautor Christoph Linge sieht das ähnlich und plädiert für einen kritischeren Umgang mit dem Thema

Frau Zahide Sarikas, guten Tag;
wenn das hehre Wort von „Demokratie lebt vom Mitmachen“ zutrifft, dann darf es einem nicht peinlich sein, was zu sagen…..auch wenn die Angelegenheit gerade nicht (mehr) auf der tagesaktuellen Agenda steht. Also „traue“ ich mich…..auch als Nachzügler.

Ich finde Ihren Standpunkt im Streit um den Burkini richtig. Ich hatte die Debatte erstmal gar nicht realisiert, dann war es mir nicht wichtig genug. Aber es gibt das weitere Nachdenken, auch über die sich der Entscheidung im Gemeinderat anschließende Diskussion, vor allem aber auch die Selbstrezeption einer angesichts des Resultats mit sich zufriedenen Öffentlichkeit.

Mit der Position, dass jetzt das Christliche Abendland dem Abgrund wieder mal einen Schritt näher gekommen sei, brauchen wir uns wohl nicht allzu lange aufzuhalten. Es geht nicht um/gegen „den“ Islam. Aber es geht um die Frage, wie Menschen, die sich als Muslime verstehen, sich mit „ihrem“ Islam auseinandersetzen.

Ich denke, es ist falsch verstandene Toleranz gegenüber im Grunde intoleranten Botschaften (und ein solcher ist der in der Öffentlichkeit getragene Burkini ganz sicher auch), wenn man sich jetzt selber auf die Schulter klopft ob seiner weltoffenen Haltung „den“ muslimischen Mitbürgern gegenüber. Es sind eben nicht „die“ Muslime….sondern  eigenverantwortliche Individuen, die in der Frage von Religion als/in der Politik durchaus sehr unterschiedliche Überzeugungen haben. (Es geht also um die Frage, ob und inwieweit die Menschen, die hierher Gekommenen dazu gehören können/wollen/dürfen – so Abdel Samads (deutsch-ägyptischer Politologe und Autor; Anm. d. Red.) treffende Kritik am wohlfeilen, simplifizierenden Wulff`schen „Der Islam gehört zu Deutschland.“

Der Burkini in der Öffentlichkeit ist kein nur ästhetisches, er ist natürlich auch ein politisches Statement. Dass der Bikini ein solches war, ist in West-Europa mehr als 50 Jahre her…..insofern ist die Gleichsetzung von beidem als Phänomenen, die allein der ästhetisch-geschmacklichen Beurteilung unterliegen, falsch. Der Burkini in der Öffentlichkeit transportiert als religiös-politisches Statement, abgesehen vom demonstrativen „Ich bin anders als ihr“ den Anders-, Fremd-, Falsch- oder Gar-nicht-Gläubigen gegenüber, vor allem das maßregelnde „Ich bin die bessere Muslima als Du“ denjenigen aus der „eigenen“ Community gegenüber, die (noch) anders bekleidet ins Schwimmbecken steigen. Das Letztere ist viel schlimmer.

Man mag im Sinne des Rechts auf Selbstbestimmung die Zulassung des Burkini als emanzipatorischen Akt begrüßen – seiner demonstrativen ideologischen Komponente wird man damit nicht gerecht. Wer Letztere ins Lächerliche oder grundsätzlich in Zweifel zieht, der weiß vielleicht noch nicht, dass der englische Begriff für den Burkini „Sharia swimsuit“ ist. Als genau so gedacht, als islamisch korrekter Badeanzug, wurde er im Jahr 2000 in Ägypten auf den Markt gebracht.

A propos „liberales Image“: In Sorge um genau dieses verbot der Bürgermeister von Antalya in der Türkei einer mit „islamischem“ Badeanzug bekleideten Frau das Baden im städtischen Schwimmbad…

Wie Sie es richtig gesagt haben: Freiwillig ziehen 10-Jährige so etwas eben nicht an. Und denen hat man mit der vermeintlich liberal-toleranten Entscheidung einen schlechten Dienst erwiesen. Gerade jetzt, wo in Zeiten allgemeiner Verunsicherung der Fundamentalismus, nicht nur innerhalb des Islam, fröhliche Urständ feiert.

Ich bezweifele, dass ein als tolerant verbrämtes Beiseitestehen: „Sollen die das doch unter sich ausmachen“ in dieser Auseinandersetzung der adäquate Standpunkt sein kann. Wie verhalten wir uns denn, wenn demnächst als Brüder in eben diesem fundamentalistischen Geiste Leute von den Piusbrüdern (ein katholischer Extremistenzirkel, Anm. d. Red.) oder Neturei Karta (eine ultraorthodoxe jüdische Gruppierung) in vollem Ornat in „unser“ Wasser steigen wollen? Oder „feiern“ wir angesichts solcher Aussichten den Burkini gar als Hilfsmittel zur Inklusion, als kleineres Übel im Vergleich zur Segregation durch geschlechter- und/oder religions getrennte Badetage?

Religion ist uraltes Menschheitsthema, jede/r hat das Recht, sich da so zu entscheiden, wie es ihm/ihr richtig erscheint. Auch dagegen. Wenn aber Religion politisch wird/Religion zu Politik wird, müssen wir was sagen. Tun wir aber nicht, weil wir uns um das unangenehme Thema lieber drücken. Wer wollte sich schon dem Verdacht der Intoleranz, hier der „Islamophobie“ aussetzen… Aber wir müssen es. Gerade im Andenken an viele, die für genau diese Freiheit, nämlich die Religion – zumal, wenn sie politisch wird – kritisieren zu dürfen, sterben mussten.

Ohne dass ich die beiden vereinnahmen will: Vielleicht auch ein Jan Hus und ein Hieronymus von Prag, die Konstanz gerade so selbstverliebt feiert (und qua Selbstzuschreibung als „liberal, weltoffen und tolerant“ längst vereinnahmt hat)..[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal].

Schöne Grüsse
Christoph Linge