Bustour und Workshop unter ständiger Beobachtung
Was soll daran so negativ und verdächtig sein, wenn Flüchtlinge andere Flüchtlinge über ihre Rechte aufklären und diese auffordern, für ihre Rechte auch einzustehen, dass ein ganzer Behörden- und Staatsapparat in Wallung gerät? Ein erschreckender Bericht über die Reaktionen auf eine Bustour durch Bayern und Baden-Württemberg, verbunden mit Eindrücken über einen gelungenen Workshop in Konstanz gegen die Isolation von Flüchtlingen
„Wir haben lange genug darum gebeten, jetzt fordern wir ein was uns zusteht – unsere Rechte “, ist einer der ersten Sätze von Rex Osa auf einem Workshop am 15. Mai 2013 im Konstanzer Treffpunkt Petershausen. Der Nigerianer Rex Osa wurde von der Organisation „Die AnStifter“ wenige Tage zuvor für sein Engagement in der Flüchtlingsarbeit für den Stuttgarter Friedenspreis nominiert. Er ist ein Aktivist der Flüchtlingsorganisationen „The Voice“ und „Karawane“, die derzeit im Rahmen der „Refugee Liberation Bus Tour – Break Isolation Strike“ in Sammellagern in Bayern und Baden-Württemberg unterwegs ist.
Weniger Platz wie ein Hund
Dabei versuchen sie mit Flüchtlingen in Kontakt zu treten, um Hilfe zur Selbsthilfe zu geben und die Isolation zu durchbrechen, in der die Flüchtlinge in der Regel in ihren Lagern leben. Gemeint sind nicht nur die Rechte bei Sozialleistungen, Versorgung und Unterbringung der Flüchtlinge, wie beispielsweise das Recht auf die gerademal 4,5 Quadratmeter Lebensraum, welche der Gesetzgeber Flüchtlingen in Deutschland zugesteht.
Beschämend, dass Flüchtlinge beispielsweise im Überlinger Barackenlager selbst um diesen Platz für sich und ihre Kinder noch kämpfen müssen, wie sich im Rahmen der Bustour heraus gestellt hat. Zwei alleinerziehende Mütter mit insgesamt drei Kindern sind dort in einem Raum, in dem kaum drei Betten Platz finden, noch unter der vorgeschriebenen Zimmergröße zusammengepfercht. Zum Vergleich verlangt die Deutsche Tierschutz-Hundeverordnung für einen mittelgroßen Hund ab einer Widerristhöhe über 50 Zentimeter mindestens 8 Quadratmeter Lebensraum.
Flüchtlinge sollen durch die Bustour allerdings auch ermutigt werden, allgemeine Grund-, Kinder- und Menschenrechte wie „Bildung“, die „Würde des Menschen“ oder die seelische und körperliche Unversehrtheit einzufordern und diesbezügliche Missstände anzuprangern. Ebenso alltägliche Diskriminierung durch Behörden, durch die Polizei und auf den Straßen ihrer „Gast“gemeinden nicht mehr hinzunehmen. Jeder Flüchtling hat Vorfälle von Rassismus oder Diskriminierung mehrfach am eigenen Leib erfahren. Beispielsweise auf der Ausländerbehörde, bei Polizeikontrollen oder in der Schlange im Supermarkt. Geschichten von alltäglichem Rassismus.
Häufig wird in der Zivilbevölkerung weg oder darüber hinweg gesehen. Das Problem der rechtlichen Sonderbehandlung von Flüchtlingen, welche an sich schon rassistisch ist, wird öffentlich kaum wahrgenommen. Offene Fremdenfeindlichkeit wird in unserer Gesellschaft negiert und in der Regel empört zurück gewiesen, anstatt Rassismus offensiv zu thematisieren und abzustellen. Rassismus, der in den Köpfen und in Gesprächen häufig mit den Worten „Ich bin ja sicher nicht ausländerfeindlich/rassistisch, aber die Asylbewerber/Roma/Muslime etc.…“ beginnt.
Schikanen sind an der Tagesordnung
Am 15. Mai ist es den Aktivisten der Bustour gelungen, Flüchtlinge aus den regionalen Sammellagern für ihre Rechte in Bewegung zu setzen. Der Seminarraum im Treffpunkt Petershausen ist restlos überfüllt. Menschen aus vielen Ländern und unterschiedlichen Erdteilen sitzen auf Stühlen und Tischen, müssen sogar auf dem Boden Platz nehmen oder in der Eingangstür stehen bleiben. Gesprochen wird Englisch, teilweise wird ins Deutsche und Französische übersetzt. Rund 80 Besucher, überwiegend Flüchtlinge aus den Lagern Wittloh bei Hattingen im Landkreis Tuttlingen, der Kasernenstraße in Radolfzell und der Steinstraße in Konstanz sowie einige Unterstützerinnen und Unterstützer der Flüchtlinge und Interessierte verfolgen den Workshop und bringen sich ein.
Für konkrete Missstände und Diskriminierungen einzelner ist dabei ebenso Raum, wie für Diskussionen über menschen- und grundrechtswidrige Sondergesetzgebungen wie Sozialleistungen auf Basis von Gutscheinen oder die so genannte Residenzpflicht, also die Einschränkung der Bewegungsfreiheit innerhalb Deutschlands. Schimmel an den Wänden der Unterkünfte, verweigerte Krankenbehandlungen, keine Möglichkeiten, die Schulpflicht oder Bildung wahrzunehmen – die Liste individueller Missstände ist lang. Einige der Flüchtlinge sind durch den Workshop ermutigt, sich nun gegen Heimleitungen oder Behörden notfalls mit juristischer Unterstützung zu wehren. Das ist ein Anfang, nicht alles zu erdulden. Ein Anfang, nicht immer kleiner und kleiner zu werden, wie es auf dem Workshop formuliert wurde.
Permanente Überwachung
Wie sensibel Behörden und die Staatsgewalt auf die Vorstellung reagieren, dass sich Flüchtlinge zu wehren beginnen und für ihre Rechte einsetzen, hat sich auf der Bustour immer wieder gezeigt. Im Sammellager in Offenburg sah sich die Heimleitung am 8. Mai durch die bloße Kontaktaufnahme der Aktivisten der Bustour mit den Flüchtlingen veranlasst, Hausverbote auszusprechen und diese mit polizeilicher Gewalt durchzusetzen. Acht Aktivisten von „The Voice“ wurden vor Ort festgenommen und für einige Stunden in polizeilichem Gewahrsam gehalten.
Seither, so einer der Aktiven, würden sie praktisch rund um die Uhr polizeilich überwacht. Auch an der Konstanzer Sammelunterkunft in der Steinstraße war die Polizei sowie die Heimleiterin Gabriele Sonntag und der ihr vorgesetzter stellvertretende Amtsleiter des Kreissozialamtes, Ludwig Egenhofer, von polizeilicher Seite informiert und zur Beobachtung vor Ort. Eine Teilnahme am Workshop von rund drei Dutzend „ihrer“ Flüchtlinge konnten sie allerdings nicht verhindern.
Auch die örtlichen Unterstützerinnen und Unterstützer der Bustour vom Konstanzer Aktionsbündnis Abschiebestopp wurden bespitzelt. Die Polizei recherchierte Namen der Veranstalter und informierte Behörden über den anstehenden Workshop. Wäre es um sicherheitsrelevante Aspekte gegangen, wie von der Polizei behauptet, hätten die Beamten den direkten Kontakt mit den Veranstaltern suchen können. So ging es nur darum, Personalien von engagierten Bürgerinnen und Bürgern zu erfassen und die Aktion durch Gespräche im Hintergrund in ein schiefes Licht zu rücken.
Presse ist unerwünscht
Als am Tag nach dem Workshop eine deutsche Unterstützerin Zivilbeamten verärgert „Stasi-Methoden“ vorwarf, knallte empört die Tür des Dienstfahrzeugs. Es handelte sich um eine Zivilstreife der Polizeidirektion Friedrichshafen, welche den Aktivisten der Bustour bis nach Überlingen gefolgt war. Das Dienstfahrzeug mit Ravensburger Kennzeichen stand bereits am Sammellager in Kressbronn und folgte der Bustour durch den gesamten Bodenseekreis, zunächst nach Friedrichshafen und dann zu einem Barackenlager in Überlingen. Selbst nach Vorlage eines Presseausweises wurde das Nummernschild des Fahrzeugs eines begleitenden Pressevertreters von einem der Beamten durch Foto dokumentiert. So soll offensichtlich selbst die berichtende Presse erfasst und eingeschüchtert werden. Eine entsprechende Beschwerde bei den zuständigen Behörden ist derzeit anhängig.
In Kressbronn wurde die Bustour am 16. Mai 2013 zudem von zwei Mitarbeitern des Landesamtes für Verfassungsschutz beobachtet und durch Fotoaufnahmen dokumentiert. Diese haben, obwohl sie im Fall des Brandes am Morgen des 14. Mai in einer Friedrichshafener Flüchtlingsunterkunft ermitteln sollten, ihr eigentliches Ziel aus den Augen verloren. Dabei hat der Verfassungsschutz durch bekanntermaßen fehlgeleitete Reflexe seinen Fokus auf die Bespitzelung der Aktion der Flüchtlinge verschoben.
Auch Ludwig Egenhofer machte mit seinem Handy eifrig Foto- oder Videoaufnahmen von Aktivisten der Bustour, Flüchtlingen der Unterkunft und ehrenamtlichen Unterstützerinnen und Unterstützern bei deren Gesprächen vor dem Konstanzer Sammellager. Aufnahmen, die er sicher nicht nur im Kreise seiner Familie und vor Freunden vorführen wird. Ihm gleich tat es tags darauf sein Amtskollege aus dem Bodenseekreis, der sich als Herr Spohn vorstellte und der Bustour zu den Sammellagern in Kressbronn, Friedrichshafen und Überlingen hinterher reiste und ebenso Fotos machte. Den vorgefundenen gravierenden Missständen, wie fehlende Hilfen beispielsweise für eine Mutter mit einem behinderten Kind, Sicherheitsrisiken vor Anschlägen und baulichen Widrigkeiten im Barackenlager schenkte er dabei weniger Aufmerksamkeit als der Überwachung der Bustour-Aktion.
Isolation als gewünschter Normalzustand
Derartige Bespitzelungen durch Behörden, die eigentlich für die Versorgung und für den Schutz der Menschen zuständig sind, sowie durch Polizei und Verfassungsschutz, dienen zum einen der direkten Kriminalisierung friedlicher Aktionen und des Engagements für Flüchtlinge, zum anderen sollen sie Aktivisten, Unterstützerinnen und Unterstützer und letztlich die Flüchtlinge selbst abschrecken: „Werde bloß nicht aktiv, wehre dich nicht, sprich erst gar nicht mit anderen, bleibe in deiner Isolation“, das ist die Botschaft, die gesendet werden soll.
Das Thema der Tour und des Workshops trifft also durchaus den wunden Punkt: „Die Isolation durchbrechen“. Das ist auf dem Workshop im Kleinen gelungen. Auch die anwesenden Nicht-Flüchtlinge mit besserem ausländerrechtlichen Status oder deutschem Pass haben sich zu Wort gemeldet. Sie haben beispielsweise benannt, dass Sonderrechte und der Abbau von Grund- und Menschenrechten zunächst die Flüchtlinge betreffen, aber schnell auf andere Gruppen in der Gesellschaft übertragen werden. Als Beispiel wurde hier die Residenzpflicht genannt, die später in Form von Platzverboten zur Vertreibung von Obdachlosen oder zur Einschränkung des Demonstrationsrechts angewandt wurde. Ebenso wie Sozialleistungen als Sachleistungen an Flüchtlingen erprobt und dann beispielsweise bei den Lehrmitteln für Kinder auf die Sozialhilfe bzw. „Hartz IV“ übertragen wurde.
Eine andere Wortmeldung brachte Unverständnis zum Ausdruck darüber, dass ein Land wie Deutschland, dessen eigene Flüchtlinge vor, während und nach dem 2. Weltkrieg in aller Welt mit offenen Armen empfangen wurden, heute so feindselig und unfreundlich mit Flüchtlingen umginge.
Die Karawane zieht weiter
Die Bustour von „The Voice“ bereist noch bis Ende Mai Sammellager in Baden-Württemberg und Bayern und versucht weiter mit Flüchtlingen ins Gespräch zu kommen.
Die Bustour wird am 8. Juni 2013 mit einer Demonstration in Stuttgart enden. Von 13. bis 16. Juni werden die Missstände, die während der Tour zu Tage treten, in einem Internationalen Tribunal gegen die Bundesrepublik Deutschland in Berlin angeprangert. Die Veranstalter selbst sehen die größten Probleme derzeit bei der „erzwungenen Unterbringung in Lagern, Abschiebungen, Beschränkungen der Bewegungsfreiheit („Residenzpflicht“), bei Polizeibrutalität, rassistisch-selektiven Polizeikontrollen, diskriminierenden Mechanismen wie beispielsweise der untragbaren Versorgung mit Essenspaketen oder mit Gutscheinen sowie anderer Formen ungerechter Kontrolle“.
Das Bündnis Abschiebestopp Konstanz wird die Aktivisten weiter unterstützen und die durch die Bustour entstandene Vernetzung zu Flüchtlingen und Flüchtlingsgruppen in den Landkreisen Konstanz, Tuttlingen und dem Bodenseekreis nutzen, um gravierende Missstände dort weiter zu thematisieren. Die Einschüchterung ist gescheitert und die Bespitzelung wird uns in unserer Arbeit nur weiter bekräftigen. Denn es hat sich gezeigt, dass die Verhältnisse bis zum Himmel stinken und im Verborgenen gehalten werden, so eine Stimme am Rande des Workshops. Die Isolation der Flüchtlinge ist sicher noch lange nicht gebrochen, doch sie beginnt an einzelnen Stellen zu bröckeln.
Autor: Jürgen Weber / http://juergenweber.eu/
Nachtrag: Am 21. Mai kehrte der Bus nach Lindau zurück. Dort kam es zu Personenkontrollen durch die Polizei, wie deren Pressestelle in Kempten gegenüber seemoz bestätigte. Angeblich hätten sich zwei Flüchtlinge geweigert, ihre Identität nachzuweisen. Man habe sie mit auf die Polizeidienststelle genommen und dort ihre Identität überprüft. Anschließend seien sie wieder entlassen worden, müssten aber wegen einer Ordnungswidrigkeit mit einer Geldstrafe rechnen. Ob diese Auskunft den Tatsachen entspricht, werden die Betroffenen in Kürze berichten.
Den wahren Hergang der Festnahme am 21.Mai in Lindau ist in der offenen Protestnote gegen die Bayrische Landesregierung von „The Voice“ dargestellt. In Verbindung mit einem Protest vor dem Landtag in München wurde diese am 22.Mai der Bayrischen Landesregierung übergeben. Ihr findet sie unter:
http://thevoiceforum.org/