Cano: Ein Onlinehändler gegen den Onlinehandel

Spätestens seit Bekanntwerden der Pläne für die noch etwas größer gewordene Kubatur des Cano dürfte die Hoffnung der unerschütterlichen Optimisten, dass Singen doch noch von diesem Monumentalbau verschont bleiben könne, gegen Null tendieren. Denn wer würde sich schon die Arbeit machen, alle Pläne neu auszuarbeiten und das Genehmigungsverfahren samt Offenlegung erneut aufzurollen, wenn er kein Interesse mehr am Spielplatz gegenüber dem Bahnhof hätte …

Dass der Konsumtempel allmählich Gestalt annimmt, ließen auch schon die lokalen Presseberichte zur Hauptversammlung der Singener Werbegemeinschaft „City-Ring“ erahnen. Aus diesen ist zu entnehmen, dass es jetzt darum geht, die Einzelhändler auf Linie zu bringen: Kein Aktionismus und keine Einzelaktivitäten mehr, wie zum Beispiel mit der Initiative „Buy Local“, forderte City-Ring-Vorstand Michael Burzinski die Mitglieder auf. Singens Zentralität sei, obgleich noch immer auf hohem Niveau, im vergangenen Jahr gesunken, was auf den Online-Handel, die Erweiterung des seemaxx in Radolfzell und die abwartende Haltung der Händler gegenüber dem Cano zurück zuführen sei. Mit ECE aber kämen endlich die Profis in die Stadt, mit denen man sich gemeinsam den Herausforderungen des Internets stellen wolle, so argumentierten auch OB Bernd Häusler und Gerd Springe, Vorstand der Werbegemeinschaft „Singen aktiv“.

Der Größte soll das Sagen haben

Und ein Blick in die gesammelten Vorlagen, die auf der Singener Homepage (http://singen.allris-online.de) abrufbar sind, bestätigt unzweifelhaft, wie sich das Marketing künftig gestalten wird: Die Kooperationsverträge zwischen den beiden Werbevereinen und den ECE-Projektmanagern sind unterschrieben und in beiden ist festgehalten, dass auch Vertreter des ECE künftig in den Vorständen der Vereine aktiv sein sollen. Wen wundert’s, liegt es doch wie immer nahe, dass der Größte auch das Sagen haben wird.

Zwei Ungereimtheiten lassen sich aber bei dem „Drohszenario“ nach dem Motto „wenn gerade nicht genug geht, liegt’s am trägen oder widerspenstigen Einzelhandel“ ausmachen: Zum einen ist Buy Local (www.buylocal.de) kein lokaler Singener Verein (auch wenn bis 2017 hier sein Vereinssitz war), sondern er richtet sich mit seiner Öffentlichkeitsarbeit bundesweit an EndverbraucherInnen, um aufzuzeigen, welche Konsequenzen deren Kaufentscheidungen für ihre jeweilige Region haben. Allerdings hat Buy Local wohl – aus Sicht der ECE-Befürworter – den „Fehler“ begangen, sich bei der Bürgerinitiative „Für Singen“ gegen die geplante Shopping-Mall zu engagieren. Dennis Gladner, der neue Buy-Local-Geschäftsführer, hat auf die Brüskierung seitens des City-Ring-Vorstandes mit einem offenen Brief geantwortet und zum Dialog eingeladen.

Da schau her: Otto-Konzern auf Platz 2 im Online-Handel

Zum anderen sollte das vorgebliche Interesse, dem „mächtigen Internet“ mit einem zentral gelegenen innerstädtischen Einkaufszentrum Paroli bieten zu wollen, hinterfragt werden. Es scheint, dass hier Online-Handel mit Amazon gleichgesetzt wird. Richtig ist zwar, dass Amazon nach wie vor der Platzhirsch in Deutschland ist. Interessanter wird’s bei Platz 2: diesen belegt nämlich seit Jahren die Otto-Group! Laut der vom Otto-Konzern im Oktober 2017 veröffentlichten Halbjahresbilanz (www.ottogroup.com) legte dessen Online-Handel in den ersten sechs Monaten des Geschäftsjahres 2017/18 um 10 Prozent zu und der E-Commerce-Umsatz betrug rd. sieben Mrd. €. Um die 100 Onlineshops nennt der Otto-Konzern sein eigen und bezeichnet sich selbst als einen der weltweit größten Onlinehändler. Platz drei der den deutschen Markt dominierenden Onlinehändler belegt Freudenschreier Zalando.

Irgendwie zum Schreien ist es aber schon: einer der weltgrößten Online-Händler und zugleich Shopping-Mall-Entwickler soll nun ausgerechnet den Einzelhandel vor Ort retten? … Sagen wir mal optimistisch: Ob’s irgendwie funktioniert, wird sich zeigen. Jedenfalls kann keine Aktivität des stationären Handels in Singen an ECE unbemerkt vorbei laufen und die Einzelhändler haben die große Chance, direkt vom mächtigen Onlinehändler beraten zu werden, welche Nischen sie noch besetzen dürfen und welche Krümel vom großen Kuchen für sie – vielleicht! – noch übrig bleiben könnten. Gelegenheit genug, die Lernfähigkeit zu testen.

Cano als Logistik-Zentrum?

Wenn das nicht klappt – für die Otto-Group kein Problem: Die Mall kann auch ohne den bisherigen Einzelhandel florieren. Und falls diese irgendwann auch nicht mehr laufen sollte, wird sie eben reiner Showroom für den Online-Handel. Und falls sich in der Zukunft überhaupt niemand mehr wegen des Konsums aus seiner zur variablen Showroom-Simulation für das eigene Leben umfunktionierten Behausung bewegen will, wird die (dann alte?) Mall zum Logistik-Zentrum. Prekär beschäftigte „Paketsklaven“ werden schon dafür sorgen müssen, dass der Konsum nicht ins Stocken gerät. Auch „Hermes“ gehört bekanntlich zum Otto-Konzern.

Interessant ist überdies, was so alles unter Einzelhandelsbetrieben zu verstehen ist, die ins Cano einziehen könnten: u.a. auch jetzt schon besagte „reine Showrooms“ und „Lieferservice-Dienste“. Ob das den Vorstellungen derer, die vom luxuriösen Einkaufsparadies träumen, mit edlen, hippen, jungen Marken und glamourösen Labels, nach denen sich die verwöhnten KonsumentInnen angeblich so sehnen, entspricht? Aber irgendwie muss der Klotz ja schließlich voll werden.

Noch ein paar Nagelstudios

Und welche Dienstleister (wie die offizielle Bezeichnung „EDZ“ schon sagt, wird das Cano ein Einkaufs- und Dienstleistungszentrum) das Center belegen könnten, dürfte auch noch spannend werden: Sicher wird es die Commerzbank sein, diese wurde in der Sondersitzung des Gemeinderates schon benannt, sogar, wo sie ihre Räume im 2. Obergeschoss haben wird. Solch eine Festlegung flößt doch Vertrauen ein.

Auf der Liste der Möglichkeiten finden sich u. a. Betriebe wie Tanzschulen, Fitnesscentren, Kampfsportschulen, Friseure, Nagelstudios … Gibt es in der Stadt eigentlich schon, und einige davon in nicht gerade geringer Zahl. Auch hier gilt es abzuwarten, 2020 (so der neue Eröffnungstermin) werden wir es genauer wissen?! Aber keiner soll dann sagen, sooo habe er es nicht gewollt, denn die Konzeptionen sind für jeden schwarz auf weiß, öffentlich und transparent nachzulesen: http://singen.allris-online.de.

Auch der vorgesehene Kaufvertrag zwischen Stadt und ECE findet sich dort, wobei die Verkaufssumme selbst schwarz überdeckt ist – sozusagen zum Freirubbeln für Interessierte … Dass das gemeine Volk diese Zahlen jetzt noch nicht erfahren solle, stellte der OB schon im Zuge des Bürgerentscheids klar. Aus dem Haushaltsbericht würden sie irgendwann früh genug ersichtlich. Wenigstens das kann man wohl verschmerzen.

Dieter Heise