Chance und Risiko

seemoz-koko-ras-bannerDie Meldung traf viele unerwartet und völlig überraschend. Die Konstanzer Konzert­agentur Koko & DTK Entertainment schließt ihren hiesigen Firmensitz zum 31.1.2017. Die beiden Geschäfts­führer Dieter Bös und Armin Nissel ziehen sich zurück und gehen fortan getrennte Wege. Somit endet eine jahrzehntelange Ära, die gleichzeitig eine Erfolgsgeschichte war. Dazu ein Gastkommentar von Michael Lünstroth, dem neuen Redaktionsleiter von www.thurgaukultur.ch.

Zunächst mal muss man wohl vor allem eines konstatieren: Der überraschende Ausstieg von Dieter Bös und Armin Nissel beim Konzertveranstalter Koko & DTK Entertainment ist ein Verlust für die Region. Noch ist nicht genau abzusehen, was es wirklich für den Kulturkalender der Region bedeutet. Aber beide haben sich über die Jahre hinweg immer wieder auch leidenschaftlich für die Standorte Konstanz und Kreuzlingen eingesetzt. Ihr Engagement und ihr Verantwortungsgefühl für unsere Gegend werden fehlen.

Fehlentwicklungen bei Rock am See waren entscheidend

Die Gründe für das Ende sind nicht ganz so einfach zu benennen. Sie sind mannigfaltig. Entscheidend dürfte jedenfalls gewesen sein, dass der kommerzielle Erfolg am Ende nicht mehr so groß war, wie es offenbar erwartet wurde oder wie es auch die beiden Männer von sich erwartet hatten. Die Fehlentwicklung von Rock am See spielt da eine wichtige Rolle. Mit verschiedenen Entscheidungen hatte Bös versucht, das Ruder rum zureißen und es am Ende über erhöhte Eintrittspreise, falsche Terminierungen und aus Sicht vieler Zuschauer unattraktiver Headliner nur weiter in das Schlamassel getrieben.

Nicht, dass wir uns falsch verstehen – künstlerisch war vor allem das letzte Rock am See eines der Besten seit Jahren. Wenn es sich aber an der Festivalkasse nicht auszahlt, dann muss irgendjemand irgendwann die Verantwortung dafür tragen und Konsequenzen ziehen.

Der Rückzug ist nun die erste Konsequenz daraus. Wenn Dieter Bös heute über Rock am See redet, dann ist da durchaus eine gewisse Desillusionierung heraus zu hören. Liebe Rocker in der Region, ihr müsst jetzt stark sein: Es ist nicht ausgeschlossen, dass es Rock am See 2016 zum letzten Mal gab.

Massiver Konkurrenzdruck macht es kleinen Veranstaltern schwer

Fehlentscheidungen hin oder her – Bös und Nissel hatten aber auch an der Gesamtlage der Branche zu knabbern. Nach dem Einbruch der Einnahmequelle CD oder Platte setzten sehr viele Unternehmen auf das Live-Erlebnis. Tourneen sind für Künstler heute der einzige Weg, um noch richtig Geld zu verdienen. Das macht sich im Markt bemerkbar. Die Gagenforderungen steigen, die Zahl der Festivals steigt, der Konkurrenzdruck wird immer größer. Früher oder später bleiben die kleineren Player auf der Strecke. Und Koko, auch das muss man sich eingestehen, bundesweit oder international betrachtet, gehört dann doch immer noch zu den eher kleineren Playern.

Nun gibt Koko ja nicht komplett auf. Die Geschäfte werden weiter geführt, jetzt eben aus Freiburg. Eine Stadt, die, wenn man ehrlich ist, schon seit geraumer Zeit immer stärker zur Heimat des Veranstalters wurde. Auch wenn man aktuell eher negative Auswirkungen für unsere Region befürchten muss, so könnte in dem Neuanfang auch eine Chance liegen.

Programmatisch war Koko, man muss das leider so sagen, in den vergangenen Jahren nicht immer auf der Höhe der zeitgenössischen Pop- und Rockmusik. Präsentiert wurde doch allzu oft das immer Gleiche. Die jährlichen Toten Hosen oder Ärzte bei Rock am See ließen grüßen. Gehen wir also davon aus, dass Bös und Nissel, vielleicht unterstützt von ein paar talentierten Nachwuchs-Bookern, durch die Entlastung bei der Verwaltung des Geschäftes mit frischen Augen auf die Programmgestaltung der Festivals blicken können, dann gibt es Grund zur Hoffnung. Mit etwas mehr von immer dem Gleichen ist es nämlich nicht mehr getan.

Die Hoffnung: Die ökonomische Betrachtung

Zu guter Letzt – rein ökonomisch betrachtet bietet der Rückzug der einen auch die Chance auf den Zuzug der anderen. Nach Jahrzehnten des nahezu monopolistischen Gebietsanspruchs von Koko rund um den Bodensee könnten sich jetzt, mit dem Rückzug der beiden bisher so starken Koko-Männer, auch Wettbewerber motiviert fühlen, nach Konstanz zu kommen. Für das Kulturangebot in der Region wäre das eher eine gute Nachricht.

Michael Lünstroth