Chérisy-Soldat: Ein Mäuschen wurde geboren

seemoz-cherisy-soldat-teaserDas Ärgernis „Cherisy-Soldat“ war erneut Thema im Kulturausschuss des Gemeinderats. Der Ausschuss hat sich bei diesem Thema nicht allzu sehr mit Ruhm bekleckert. Statt eine sachkundige öffentliche Diskussion über den Umgang mit diesem Nazi-Denkmal in Gang zu setzen, verhakelte man sich am vorgelegten Text einer Erläuterungstafel (seemoz berichtete). Die Friedens-Initiative hat dazu eine ganz andere Meinung.

Der Text war vor Monaten beim Stadtarchivar, Jürgen Klöckler, in Auftrag gegeben worden, weil man nach einer endlos langen Sitzung die Brisanz des Themas „Wie gehen wir in Konstanz mit einem Nazi-Denkmal um?“ nicht erkannte. So meinte man wohl, die mühsame politische Entscheidungsfindung durch Delegation an einen Historiker vermeiden zu können. Was macht nun ein Historiker, zumal als städtischer Angestellter, wenn ihm eine im Kern politische Entscheidung aufgedrückt wird? Er sammelt Fakten und listet sie „ruhig und sachlich“ auf (O-Ton Klöckler), will heißen, er zählt Unbestreitbares auf, ohne das Ganze in seine Zusammenhänge einzuordnen.

Verbale Prügel gab’s von allen Seiten. Von konservativer Seite, die eigentlich gar keine Erläuterungstafel will: „Das ist Kunst. Wo kämen wir hin, wenn den Bürgern eine Ansicht vorgeschrieben wird?“. Wobei man Herrn Müller-Fehrenbach von der CDU fragen sollte, ob für ihn ein Stalin-Denkmal auch Kunst und damit erhaltenswert ist (s. Teaser-Foto). Und von anderen: „Man muss doch den Zusammenhang zum Militarismus und den Naziverbrechen herstellen!“

Gefangen in Formalien, blieb der Kulturausschuss in seiner Debatte an bloßer Textkritik hängen. Er kreißte und gebar dann als Beschluss: „Herr Dr. Klöckler überarbeitet den … Textentwurf für die Erläuterungstafel im Sinne der stattgefundenen Diskussion.“ Meine Glaskugel sagt mir: „Auch der neue Text wird nicht allen gefallen.“ Dabei lagen durchaus brauchbare Anregungen vor (s. Kasten), die den Ausschuss vor dieser schwachen Debatte hätte bewahren können.

Medienmitteilung Konstanzer Friedens-Initiative:

Nazi-Denkmäler kenntlich machen

Es besteht kein Zweifel: Der riesige Soldat an der Chérisy ist ein Nazi-Denkmal, historisch, aber auch in der Darstellung. Die Nazi-Vergangenheit lässt sich nicht durch Beseitigung dieser Statue beseitigen oder verdrängen, auch wenn diese militaristische Statue für viele ein Ärgernis ist.

Die Konstanzer Friedens-Initiative fordert einen historisch, politisch und kulturgeschichtlich angemessenen Umgang mit diesem Denkmal. Dafür gibt es keine Patentrezepte, wohl aber eine Reihe von interessanten Vorschlägen, wie die Statue als Denkmal erhalten, zugleich aber kenntlich gemacht werden könnte als das, was sie ist: ein  militaristisches Nazi-Denkmal.

Ein angemessener Umgang kann nicht per Delegation an Experten verordnet werden. Einem angemessenen Umgang kann man sich nur durch eine ernsthafte Diskussion annähern. Konstanz hat das Glück, über ausgezeichnete Historiker und Kulturwissenschaftlerinnen zu verfügen, die eine solche Diskussion befördern könnten.

Eine Texttafel kann dies nicht leisten, zumal wenn sie, wie der vorliegende Entwurf, weder eine politische noch eine kultur- oder kunsthistorische Einordnung leistet.

Die Friedensinitiative fordert deshalb als ersten Schritt eine Podiumsdiskussion, beispielweise mit  ausgewählten Historikern und Kulturwissenschaftlerinnen, über die Bedeutung des „Chérisy-Soldaten“ und anderer Nazi-Relikte, mit anschließender öffentlicher Diskussion. Als zweiter Schritt sollte auf dieser Basis eine Ausschreibung zu Vorschlägen für eine „Kenntlichmachung“ / Umgestaltung erfolgen.

Eine Texttafel ist nicht genug.

Um den Kern des Problems, nämlich die gesellschaftliche Auseinandersetzung, hat sich der Kulturausschuss gedrückt. Da ist die Praxis deutlich weiter: Das am Soldaten angebrachte Banner zeigt – textlos – eine andere Sichtweise, und Kritiker haben mit der Schere die „Realität“ zensiert (s. Fotos am Ende des Artikels).

Keine Einzelperson und kein Ausschuss kann eine abschließende Lösung für den Umgang mit diesem Monstrum dekretieren: die kann nur aus der Debatte entstehen, einer Debatte, an der nicht nur Historiker („Wann ist der Soldat entstanden und wer hat ihn erstellt?“), sondern auch Kulturwissenschaftler („Erinnerungskultur: Wie mit der Vergangenheit umgehen?“) und Kunsthistoriker („Was sieht wer in dem Denkmal?“) beteiligt werden sollten.

Aus einer solchen Debatte können dann Richtlinien für eine Kunst-Ausschreibung entstehen, wie das Monstrum für jedermann als Nazi-Standbild und als gestalterischer Ausdruck eines mörderischen Militarismus erkennbar gemacht werden kann. In der Organisation dieser Debatte und der Gestaltung der Ausschreibungsrichtlinien hätte der Kulturausschuss des Gemeinderates seine originäre Aufgabe zurück. Dann bräuchte er auch keine Mäuschen mehr zu gebären oder zu melken.

Maik Schluroff

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