Chérisy-Soldat mit neuem Beinkleid
Die Diskussion ist eröffnet: Am Rande der gestrigen Verhüllungsaktion am Sockel des Chérisy-Soldaten-Denkmals kündigte FGL-Stadtrat Peter Müller-Neff an, das Thema ‚Umgang mit Nazi-Denkmälern‘ auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung des Kulturausschusses zu bringen. Auch LLK-Stadtrat Holger Reile demonstrierte seine Meinung: Er setzte symbolisch zur Sprengung des Denkmals an – allerdings nicht mit Lunte und Dynamit, sondern mit Wasser und Gießkanne.
In strömendem Regen und vor enttäuschender Zuschauer-Kulisse (vor allem Chérisy-Bewohner glänzten durch Abwesenheit) befestigte ein kundiger Handwerker die große Plastik-Plane am Denkmal-Sockel. „Propaganda – Realität“ ist darauf zu lesen, und zu sehen ist ein vekrüppelter Soldat (s. Fotos) als Abbild des kraftstrotzenden Stein-Kriegers. Die FriedensInitiative Konstanz (FI) will damit am Vortag des Antikriegstages auf die immer wieder verheerende Propaganda-Wirkung solcher Denkmäler hinweisen.
Absicht der Friedensapostel ist, die Diskussion um solche Art der Vergangenheitsbewältigung (Kann Vergangenheit überhaupt bewältigt werden?) von neuem anzustoßen. Angedacht ist eine öffentliche Podiumsdiskussion, auf der prominente Politiker und Wissenschaftler aus Konstanz sich dieser Frage anhand aktueller Beispiele aus der Stadtgeschichte stellen. Denn nach FI-Meinung zählt dazu immer noch auch der Umgang mit dem Nazi-Autoren Wilhelm von Scholz oder mit den Altvorderen Helmle und Knapp und sogar das verfehlte Geschichtsverständnis, das sich in vielen Aktionen der Konzil-Feierlichkeiten zeigt.
Deutlich wurde das auch in einem künstlerischen Wortbeitrag des FI-Aktiven Maik Schluroff, der mit Bezug auf die aktuellen Kriege weltweit die Propaganda solcher Denkmäler geißelte (s. Video). Wie nötig solche Kritik ist, zeigte sich am Auftauchen zweier älterer Herren, die wortreich solche „Verunglimpfung deutscher Soldaten“ durch die FI ablehnten.
Womöglich aber wird eine solche Diskussion auch anderswo noch geführt. FGL-Stadtrat Peter Müller-Neff kündigte an, dieses Thema auf der nächsten Sitzung des Kulturausschusses behandeln zu wollen – außer ihm waren nur noch Anke Schwede und Holger Reile (beide LLK) sowie Alt-Stadträtin Vera Hemm als Gemeinderatsvertreter anwesend. Nichts anderes beabsichtigten die FI-Aktiven: Das Problem gehört wieder auf die Tagesordnung auch der Parlamentarier. Zumal sich Pläne, das Chérisy-Denkmal im Zuge der Verkehrs-Neuregelung abzubauen, offensichtlich nicht realisieren lassen.
So hat das „neue Beinkleid“ des Chérisy-Soldaten (mögen der Plastikplane noch viele Tage gegönnt sein) außer der Entlarvung dieses scheußlichen Denkmals noch eine weitere Funktion: Ausgangspunkt zu einer neuen Geschichtsdiskussion in dieser Stadt.
Autor: hpk
Zu Simon Pschorr: Diese radikal-extreme Konsequenz, „die Symbole dieser Ära ein für alle Mal aus unserem Leben zu verbannen“ wollen, lehne ich ab. Es gehört zum Pluralismus und zur Demokratie dazu, auch Andersdenkende anzuhören und sich mit ihnen auseinander zu setzen, z.B. in Form mit einer Erinnerungstafel. Aber ein für alle Mal alle Gegner (und seien es nur ihre Symbole) auszuradieren, heisst eine Grenze zum Extremen zu überschreiten, was der Linken Liste gar nicht gut tut. Simon Pschorr sollte seinen ideologischen Radikalismus überdenken.
Leben passiert jeden Tag. Es baut auf auf Vergangenem und schafft daraus Zukunft. Dies bedeutet: Jeden Tag aufs Neue müssen wir uns unserer Vergangenheit gegenwärtig werden, um daraus entwas Neues zu gestalten. Erinnerung und Geschichte bedeutet deshalb die Auseinandersetzung mit der Basis der Gegenwart. Wir müssen jedes Mal für uns selbst entscheiden, welcher Basis wir uns verbunden fühlen und welche vergangenen Entscheidungen wir ablehnen, um daraus zu lernen – die selben Fehler also nicht zu wiederholen.
Ich habe für mich entschieden, dass Faschismus, Militarismus und Gewaltverherrlichung zu dem Teil der Vergangenheit gehört, den ich ablehne und auf den ich keine Zukunft aufbauen möchte. Vielen Anderen geht dies zurecht genauso.
Nur konsequent ist also, die Symbole dieser Ära ein für alle Mal aus unserem Leben zu verbannen. Der Soldat gehört für mich dazu, genauso viele ‚Heldengräber‘ all der unfreiwilligen Opfer, die in einem sinnlosen Vernichtungswahn abgeschlachtet wurden.
Eine. wie ich finde, lächerliche Diskussion. Dann müssten wohl landauf und -ab alle Denkmale verschwinden, die die „Gefallenen“ der Weltkriege immer noch als Helden verehren.
ist der Soldat oder das Konstanzer Urgestein der Linken versteinert ?
Leben passiert jeden Tag! Erinnerung ist kein Fehler! Wo ist euer Jetzt!
Die Vergangenheit lässt sich nicht durch bloßes Entfernen des Soldaten entsorgen.
Der Propaganda-Charakter dieses Denkmals müsste sichtbar gemacht werden. Ein Entwurf dazu hängt seit dem Antikriegstag (1. September) am Soldaten.
Gegenüber der schieren Größe des Soldaten samt Sockel würde jede Infotafel verschwinden, also nicht ausreichen.
Am wichtigsten scheint mir aber die öffentliche Auseinandersetzung über den Umgang mit kriegerverherrlichenden Denkmälern. Dazu hat der Freiburger Historiker Wolter für einen vergleichbaren Fall in Radolfzell Kluges gesagt:
http://www.suedkurier.de/region/kreis-konstanz/radolfzell/Diskussion-um-Kriegerdenkmal-8222-Dem-Luisenplatz-taete-Stille-gut-8220;art372455,7161936
Eine bildhauerische „Kenntlichmachung“ des Soldaten scheint mir die richtige Lösung. Oder man folgt dem vor Jahren vom damaligen Stadtrat Keller-Uhl gemachten Vorschlag: dem Soldaten ein Deserteurs-Denkmal gegenüberzustellen.
Übrigens: Nachdem das Denkmalamt sich jahrelang nicht darum gekümmert hatte (Hakenkreuz: „Verbotenes Zeigen verfassungswidriger Kennzeichen“?), fordert es jetzt plötzlich die sofortige Entfernung des Verhüllungskunstwerks.
Werter Herr Bühler-Schilling,
Es freut mich immer ungemein, wenn sich jemand um meine emotionale Befindlichkeit sorgt. Aber ich kann Sie beruhigen, mir geht es gut. Für Sie nochmal zum Mitschreiben, obwohl ich mich bereits mehrmals deutlich erklärt habe: Wäre der steinerne Krieger nicht da, würde er mir auch nicht fehlen. Bleibt er – bspw. als Mahnmal – stehen, auch recht. Aber dann natürlich mit einer erklärenden Tafel.
H.Reile
Hat die Linke Liste ein Problem ? Man kann an der Geschichte nichts ändern, auch wenn man Lenin-, Stalin- und Karl-Marx-Denkmäler in der ehemaligen DDR und in anderen ehemaligen Ostblock-Staaten abreisst. Viel sinnvoller erscheint mir, mit einer aufklärenden Tafel auf die ehemalige Kaserne und ihr historisches Umfeld hinzuweisen. Gerade der Standort vor dem monumentalen Appartment-Hochhaus bietet einen hübschen Konstrast zu jenem…. Oder mag Holger Reile auf dem Weg zur linken Stammkneipe nicht an so einem Denkmal vorbeilaufen und hält dies emotional nicht aus?