Corona: Die große Gier in zwei großen Herzen

Impfen schütztEs sind zwei gute, nein: sehr gute Menschen, die von 55131 Mainz, An d. Goldgrube 12, aus zum Wohle der Menschheit mit ihren Corona-Impfstoffen werkeln. Sogar die höchste moralische Instanz dieser Republik, der neue und alte Bundespräsident, hat sie mit solchen und ähnlichen Worten plus Orden schon ausgezeichnet. Diese guten Menschen scheinen jedoch mit einer Gier, mindestens so groß wie das Herz, keinen Tatort auszulassen, um auch auf Kosten Dritter noch mehr Geld zu scheffeln: ob im hessischen Marburg oder in Südafrika.

Es sei den beiden sehr guten Menschen gegönnt, dass ihre guten Werke auch von der Börse gekrönt werden. Die Biontech-Aktie lag in 2020 noch bei etwa läppischen 80 Euro, im August 2021 bei 395, heute allerdings nur noch bei etwa 150 Euro. Wie wird es weitergehen? Die Privatbank Berenberg sieht ein Kursziel von 400 US-Dollar; weniger wegen der Corona-Impfstoffe, mehr wegen der glänzenden mRNA-Onkologie-Pipeline, so deren Analyst. Andere Finanzakteure wie Goldman Sachs oder Deutsche Bank und UBS sehen die Biontech-Aktie wahlweise bald bei 299, 225 oder 300 Dollar. Mit anderen Worten: Auch wenn es auf und ab geht — die Kohle stimmt immer.

Noch ein paar Unternehmenszahlen: Für das Jahr 2021 erwarten Analysten des Finanzdienstleisters Bloomberg für Biontech einen Umsatz von 15,9 Milliarden Euro und einen Gewinn von 12,1 Milliarden Euro; in den Jahren zuvor gab es fast nur Schulden und vergleichsweise bescheidene Millionen-Umsätze.

Eine Milliarde Extra-Profit mehr oder weniger — kommt es darauf an?

Wer sind diese beiden sehr guten Menschen und neuen zigfachen Milliardäre namens Özlem Türeci und Uğur Şahin? Das Forscherehepaar, weithin zurecht bewundert für seine wissenschaftliche und unternehmerische Leistung, entwickelte 2020 einen Impfstoff gegen das Covid-19-Virus. Jahrelang hatten die beiden über neue Krebstherapien geforscht und mit Finanziers zusammen erst das Unternehmen Ganymed Pharmaceuticals gegründet und dann 2008 Biontech. Anfang 2020 konzentrierten sie sich dann mit Unternehmer-Mut auf die Bekämpfung der zu erwartenden Covid-19-Pandemie. Und seither purzeln die Gewinn-Milliarden: Viele Staaten garantieren mit ihren Steuergeldern den ständigen hohen Aufkauf der Impfstoffe. Der Gewinnmarge kommt natürlich entgegen, dass viele Regierungen dieser Welt mit dem Unternehmen Verträge über Garantie-Abnahmen von Impfstoff zu eher stolzen Preisen abschlossen, übrigens ohne viele Worte darüber zu verlieren. Die Preisfindung ist in einem verdächtig hohen Maße intransparent; es fällt auf, dass die ähnlich wirksamen, allerdings öffentlich umstrittenen Produkte von AstraZeneca deutlich billiger als die aller anderen Konzerne sind, einschließlich Biontech.

Natürlich muss sich Leistung und Wagemut lohnen, und da soll es auch auf die eine oder andere Milliarde Extra-Profit nicht ankommen. Allerdings sollte auch das nicht vergessen werden: Bereits vor der Gründung von Biontech spielte die öffentliche Unterstützung eine bedeutende Rolle. Uğur Şahin und Özlem Türeci studierten und forschten an der öffentlichen Universität in Mainz: beide Firmen waren Ausgründungen aus der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. Auf das, was so gerne in öffentlichen Würdigungen unterschlagen wird, weist der Politikwissenschaftler Georg Fülberth in einem Text der Publikation lunapark hin: Vor diesen Gründungen hatte also bereits die öffentliche Hand in diese Vorhaben tüchtig investiert, von Gebäuden über medizinische Infrastruktur und Gehälter für WissenschaftlerInnen bis hin zum Putzmann. Und Patrick Schreiner erinnert auf seinem Blog „Blickpunkt WiSo“, dass Biontech zudem von der Bundesregierung „375 Millionen Euro für die Entwicklung seines Impfstoffes erhalten“ habe.

Drei Stadtkämmerer — gehorsam oder erpresst?

Müssen jetzt ausgerechnet diese guten Menschen mit ihren segensreichen Werken und den vielen damit erwirtschafteten Milliarden auch noch Mainz, Marburg und Idar-Oberstein Geld aus deren Stadtsäckel rausholen? Ja, sie müssen. Denn offensichtlich wollen sie nicht nur reich, sondern überreich werden.

Der Vorgang: Seit einigen Monaten gibt es diese auffallende Häufung von Entscheidungen:
BioNTech produziert seine Impfstoffe in Idar-Oberstein, Mainz und Marburg. Über diese drei Kommunen ist 2021 erst einmal ein Geldsegen hereingebrochen; in Mainz soll es bis zu einer Milliarde Euro gewesen sein. Er kommt aus der Gewerbesteuer, die das Impfstoff-Unternehmen an den jeweiligen Produktions-Orten jeweils zu entrichten hat. Aber: Inzwischen planen alle drei Städte — welch` ein Zufall! —, die Hebesätze für ihre Gewerbesteuer zu senken. Zur Erläuterung: Über diesen Hebesatz bestimmt die Kommune in eigener Verantwortung, wie viel am Ort ansässige Unternehmen von ihrem Gewinn an die dortige Stadtgesellschaft abgeben müssen. Bis 2021 lag dieser Hebesatz in Idar-Oberstein und Marburg bei 400, in Mainz bei 440 Prozent. Dann kamen die Biontech-Millionen. Idar-Oberstein beließ es zunächst beim bisherigen Hebesatz, kündigte aber bereits einen Nachtragshaushalt an, in dem er gesenkt werde. Mainz ging auf 310 Punkte herunter. Ob dies auf Wunsch von Biontech erfolgte, ist nicht bekannt. In Marburg teilte der Oberbürgermeister öffentlich mit, es habe ein „Gespräch“ gegeben. Der Hebesatz wurde daraufhin auf 357 Punkte gesenkt.

Da in Marburg über diese Vorgänge eine lebhafte Debatte stattfand, sind die aktuellen Vorgänge dort ausführlicher belegt als in Idar-Oberstein und Mainz. Klar ist, wer allein von diesen Entscheidungen profitiert: Von diesen Senkungen haben nur gewinnstarke Unternehmen etwas, also konkret Biontech, das bereits im Geld schwimmt. Gewöhnlich argumentieren wirtschaftsfreundliche Kreise: Mit einer solchen Senkung würde vor allem den kleinen, mittleren und eher ärmeren Mittelständlern geholfen werden; und das sei doch sinnvoll. Stimmt aber nicht. Denn: Bei der Berechnung der Gewerbesteuer wird erst einmal ein Freibetrag von 24.500 Euro gewährt. Zahlungen, die darüber hinausgehen, können zudem mit der Einkommensteuer verrechnet werden. Das führt beispielsweise in Marburg dazu: mehr als 80 Prozent der Betriebe müssen diese Steuer gar nicht bezahlen. Die Kleinen, Mittleren und Ärmeren haben also gar nichts von einer Senkung.

Patrick Schreiner hat das im Dezember 2021 auf seinem Blog akribisch und quellenbasiert aufgearbeitet und gründlich belegt.

Seine Bilanz: „Wie andere Pharmahersteller auch, profitiert Biontech von öffentlichen Subventionen in beträchtlicher Höhe. Umgekehrt zeigt sich das Unternehmen bei seinen Gewerbesteuer-Zahlungen aber offenbar knauserig.“

Das Unternehmen Biontech lässt also nirgends auch nur einen Euro herumliegen, den es für sich selbst zusammenkratzen kann. Im Kleinen: siehe Marburg und … . Und im Großen gleich zweimal. So lautet der nächste Tatort: Afrika.

Ein großes Herz für Afrika

Vor gut zwei Wochen kündigte Biontech in Marburg im Beisein der Präsidenten von Partnerländern, des WHO-Generaldirektors Tedros Adhanom Ghebreyesus sowie von Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze an: Biontech werde nun in Afrika eigene mobile Covid-Impfstoff-Produktionen in Container-Form aufziehen. Schon wieder eine gute Tat. Biontech beschreibt laut Pressemitteilung und weiteren Berichten in deutschen Tagesmedien sein Vorhaben so: Künftig sollten auf diesem Weg bis zu 50 Millionen Dosen seines Covid-Impfstoffs im Jahr produziert werden. Abfüllung und Verpackung sollen künftig dann eben die Partner vor Ort übernehmen. Weiter berichten die Medien: Biontech wolle die Produktionsstätten, sogenannte „BioNTainer“, zunächst selbst betreiben und personell besetzen. Vorbereitet werde der Transfer des Know-hows an lokale Partner, um den unabhängigen Betrieb der Produktion zu ermöglichen. Der Preis werde, so heißt es vage, „gemeinnützig“ sein; da kann man ja nur das Beste hoffen.

Jedoch: Kritiker zeichnen den großen Schatten nach, der auf diesem vordergründig so guten Werk von Biontech liegt. Zwar werden diese Container vergleichsweise zügig aufgebaut, es werde jedoch noch etwa ein Jahr dauern, bis die Produktion dann tatsächlich aufgenommen werde; viel zu spät, so die Kritik, liege die Impfquote in Afrika bei geschätzten gut zehn Prozent, brauche Afrika also dringend eine eigene Produktion. Und die Dimension von einer Jahresproduktion von etwa 50 Millionen Dosen sei sehr gering. Zudem verweigere sich Biontech unverändert hartnäckig, wie alle anderen Impfstoff-Hersteller auch, der Forderung von afrikanischen Staaten und Entwicklungsorganisationen, sie sollen ihre Patentrechte freigeben, damit in Afrika auch andere Hersteller direkt vor Ort zu günstigeren Preisen Impfstoffe produzieren könnten. So ist es unverändert das erklärte Ziel der Afrikanischen Union (AU), die Wirkstoffe selbst herzustellen; die bisherigen Hersteller müssten zu einem echten Technik-Transfer bereit sein. Und: Das Argument von Biontech stimme nicht, dass der Herstellungsprozess für Unternehmen in afrikanischen Ländern zu kompliziert sei.

Die gute Tat — pure Inszenierung?

Aber damit nicht genug: Es gibt deutliche Hinweise, dass Biontech zumindest indirekt versucht, die Entwicklung einer eigenständigen Impfproduktion in Afrika zu hintertreiben; der angesehene und erfahrene Afrika-Korrespondent Johannes Dietrich berichtet unter anderem in dem österreichischen Standard darüber. Der Vorgang: Das Mainzer Unternehmen sei bei der Regierung in Pretoria indirekt mit dem Hinweis vorstellig geworden, solche Versuche seien illegal, weil die Herstellung gegen das Patentrecht verstoße. Grundlage für diese Kritik: Jüngst berichtete das renommierte „British Medical Journal“, die von Biontech mitfinanzierte Stiftung Kenup habe vor Ort mit dem Ziel interveniert, Forschungen an mRNA-Impfstoffen in Südafrika zu stoppen. Von dem Mainzer Unternehmen gibt es bisher dazu kein klares Dementi.

Die guten Menschen von Mainz scheinen in ihren Herzen vor allem diese Devise zu tragen: alles uns.

Text: Wolfgang Storz. Der Beitrag erschien zuerst auf: https://bruchstuecke.info
Bild: H. Reile