Corona: „Solidarität ist die Voraussetzung für Gleichheit und Freiheit“
Selten hat in Konstanz eine Demo soviele Menschen auf die Marktstätte gezogen wie die am zurückliegenden Montag. Versammelt hatten sich zum ersten Mal all diejenigen, die der lautstarken Minderheit der ImpfgegnerInnen, Verschwörungstheoretiker und selbsternannten Freizeit-Virologen etwas entgegensetzen wollten. Und das ist duchweg gelungen, wie von allen Seiten zu hören war. Auch Karin Becker, die Intendantin des Konstanzer Stadttheaters, hat eine bemerkenswerte Rede gehalten, die hier in Gänze nachzulesen ist.
„WO GEHEN WIR HIN? ICH WEISS NICHT, ABER WIR MÜSSEN LOS!“
Mit diesem Zitat des amerikanischen Schriftstellers Jack Kerouac haben wir diese Spielzeit des Theaters übertitelt, nicht ahnend, wie treffend dieses Zitat sein würde.
Wo gehen wir hin? …mit unseren Ängsten, unserer Wut, unseren Zweifeln? Protest wogegen eigentlich? Die Wissenschaft? Die Regeln? Gegen den Staat? – sind das nicht wir alle? Wo treiben wir gerade hin? Was passiert innerhalb unserer Gesellschaft? Meinungsverschiedenheit ist ein wichtiger Bestandteil einer gelebten Demokratie. Wir müssen miteinander im Gespräch bleiben.
Aber hören wir einander noch zu? Tauschen wir uns aus? Diskutieren wir noch miteinander? Der Riss in unserer Gesellschaft wird größer, die Debatten und Drohungen heftiger und unerträglich. Dabei braucht unsere Gesellschaft gerade jetzt, in dieser schlimmen Zeit, Solidarität. Die Solidarität aller. Und ja, Solidarität ist anspruchsvoll. Die Idee zielt auf ein nachhaltiges soziales Verhalten.
Solidarität ist die Voraussetzung für Gleichheit und Freiheit. Und: Individuelle Freiheit steht nicht im Gegensatz zu Solidarität. Wir sind alle abhängig von anderen, und zwar ganz wesentlich. Das können wir beobachten – wie wichtig ist die Arbeit der Erzieher*innen, der Lkw-Fahrer*innen, der Angestellten in den Supermärkten, des Pflegepersonals, der Ärzt*innen usw. Wir brauchen keine Corona-Spaziergänge, keine Fake-News zu Impfungen, keine rechten Parolen und Verschwörungstheorien.
Wir brauchen Empathie, Menschlichkeit und Solidarität. Wir brauchen MITEINANDER. Das Theater und alle Kultureinrichtungen sind Orte, an denen Bürger*innen zusammenkommen und miteinander gesellschaftliche Themen verhandeln. Kultur ist ein Raum für andere Erfahrungen. Wo sonst sollen Utopien gesponnen werden? Wo sonst dürfen wir erleben, was in der Realität für uns nicht lebbar ist? Kultur muss frei von ökonomischen Bedingungen sein. Wie arm wäre Konstanz ohne seine Kultureinrichtungen?
Wir wollen weiterhin offen bleiben, um diesen Raum, diesen so wichtigen Austausch bieten zu können! Kultur ohne Publikum ist nichts. Und: Ohne uns, ohne Kunst und Kultur wird’s still. Wir wollen, dass alle gesund bleiben. Wir wollen, dass Kindergärten, Schulen, Museen, Bibliotheken, alle Einrichtungen offen bleiben können. Und das schaffen wir, wenn wir solidarisch handeln und gemeinsam Verantwortung übernehmen. Deshalb: Lassen Sie sich impfen! Impfen reduziert nachweisbar die Verbreitung und das Risiko schwerer Erkrankung. Lassen Sie sich impfen – für sich und andere – dann können auch wir wieder unserer Aufgabe in der Gesellschaft vollumfänglich nachkommen.
Karin Becker
Bild: Ilja Mess Fotografie/Theater Konstanz
Das war eine sehr bewegende, großartige Rede. Vielen Dank nochmal dafür an Frau Becker!