„Darum lehnen wir diese Verträge ab“
Nach unserem TTIP-Artikel vom vergangenen Montag erreichten uns zahlreiche Anfragen. Vor allem die erwähnte Resolution der Bürgermeister aus dem bayerischen Landkreis Roth erregte Interesse. Deshalb im Anschluss deren Entschließung im Wortlaut:
Der Kreisverband Roth des Bayerischen Gemeindetages kam zu folgendem Beschluss:
1. Bei den derzeit verhandelten „Freihandelsabkommen“ TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership – EU/USA), CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement – EU/Kanada) und TiSA (Trades in Services Agreement – multilaterales Dienstleistungsabkommen) handelt es sich um eine „neue Generation“ von bi- und multilateralen Handelsverträgen, die eine Machtverschiebung zum Ziel haben, weg von demokratisch gewählten Politikern, hin zu multinationalen Konzernen. Diese Art von Verträgen stellt einen massiven Eingriff in unsere kommunale Gestaltungshoheit und unsere kommunale Selbstverwaltung dar. Der Kreisverband Roth des Bayerischen Gemeindetages lehnt TTIP, CETA und TiSA in der derzeit bekannten Form ab.
2. Der Vorsitzende des Bayerischen Gemeinetages (Lkr. Roth), Werner Bäuerlein, wird gebeten, diese ablehnende Haltung
a) gegenüber dem Bayerischen und Deutschen Gemeindetag auszudrücken,
b) den Mandatsträgern und Mandatsträgerinnen im Europäischen Parlament, im Bund und im Land bekannt zu geben und sie aufzufordern, den Abkommen in der derzeit bekannten Form nicht zuzustimmen,
c) der Bundeskanzlerin und dem Bundeswirtschaftsministerium gegenüber zum Ausdruck zu bringen, und die Öffentlichkeit davon in Kenntnis zu setzen.
Begründung:
Es gibt verschiedene Aspekte, von denen wir als Kommunen direkt betroffen wären:
1. Demokratie und Transparenz – Transatlantisches Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership)
Derzeit finden zwischen der EU und den USA Geheimverhandlungen zum Transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) statt – unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Zugang zu den Dokumenten haben hingegen 600 Vertreter von Großkonzernen. Nicht einmal die EU-Abgeordneten haben uneingeschränkten Zugang zu den Dokumenten. Und obwohl Städte und Kommunen direkt betroffen sind, werden die kommunalen Spitzenverbände (Städte- und Gemeindetag, sowie Landkreistag) nicht in die Verhandlungen eingebunden. Dies entspricht nicht unserem Verständnis von Demokratie. Vielmehr muss die Einbeziehung in die Verträge so frühzeitig erfolgen, dass die Gestaltungsfähigkeit gegeben ist. Daher fordern wir einen vollständigen Einblick in alle Verhandlungsdokumente sowie die Einbeziehung in die Verhandlungen. Dies fordern wir für TTIP, CETA und TiSA.
2. Investitionsschutz für Konzerne
(Dieser Punkt betrifft sowohl TTIP, wie auch CETA. TiSA enthält nach bisherigem Wissensstand keinen Investorenschutz)
Internationale Konzerne erhalten ein Sonderklagerecht gegen demokratisch beschlossene Gesetze. Zwischen Staaten mit funktionierenden Rechtssystemen ist eine Investitionsschutzklausel überflüssig. Vielmehr stellen „private Schiedsgerichte“ ein Parallelrechtssystem dar, das grundlegende Prinzipien des Rechtsstaates unterläuft und Konzerne mächtiger macht als demokratisch gewählte Regierungen.
Da sogar die Beschlüsse von Gemeinden Anlass für solche Klagen sein können, würde dies dazu führen, dass wir uns in vorauseilendem Gehorsam, bei jedem unserer Beschlüsse überlegen müssten, ob sie eventuell die Gewinnerwartung eines Konzerns schmälern würden und somit eine Klage gegen den Staat nach sich ziehen könnten.
Angesichts der Tatsache, dass in den letzten Jahren die Anzahl der Investor-Staat-Klagen sprunghaft angestiegen ist, stellen wir uns die Frage, wie viele solcher Klagen sich ein Staat, eine Stadt oder eine Gemeinde leisten kann? Wer bezahlt? Der Bund, die Stadt oder die Gemeinde? Einen solchen Eingriff in unsere kommunale Entscheidungshoheit lehnen wir ab!
3. Kommunale Daseinsvorsorge, öffentliches Beschaffungswesen, Dienstleistungssektor und Kommunale Selbstverwaltung
Kommunale Daseinsvorsorge (z.B. Wasserver- und Abwasserentsorgung, Energie). Da bei diesen Arten von Handelsabkommen typischerweise die Regeln zum grenzüberschreitenden Handel mit Dienstleistungen und der Schutz ausländischer Investoren im Fokus stehen, ist zu befürchten, dass sie sich negativ auf die Organisationshoheit der Kommunen und die kommunale Handlungsautonomie auswirken.
Öffentliches Beschaffungswesen (in den USA schon weitgehend privatisiert). TTIP und CETA würden die kommunale Organisationsautonomie gefährden. Mittelständische Unternehmen vor Ort dürften nicht mehr bevorzugt werden. Dadurch käme es zu einer Minderung der Gewerbesteuereinnahmen und einer Schwächung der lokalen Unternehmen.
Dienstleistungssektor (Bauwesen, Transportwesen, Gesundheit, soziale Dienstleistungen …..) Immer mehr Bereiche des öffentlichen Dienstleistungssektors werden zum „allgemeinen wirtschaftlichen Interesse“ deklariert. Dadurch werden die Gebietskörperschaften gezwungen, diese, gemäß einer „Marktzugangsverpflichtung“, im Wettbewerbsverfahren (künftig weltweit?) auszuschreiben. Das Gemeinwohl muss in diesen sensiblen Bereichen weiterhin im Vordergrund stehen.
Kommunale Selbstverwaltung. Obwohl die EU laut Lissabon-Vertrag und gemäß Subsidiaritätsprinzip nicht in die kommunale Selbstverwaltung eingreifen darf, duldet unsere Bundesregierung mit den Verträgen diesen Gesetzesübertritt und befördert ihn sogar noch. (Anmerkung: Bei TiSA handelt es sich um ein „Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen“. Der Bereich des Beschaffungswesens ist nicht Teil der Verhandlungen.)
4. Positivlisten-Ansatz/Negativlisten-Ansatz
Es gibt zwei Modelle der Liberalisierung. Der Positivlisten-Ansatz besagt, dass nur die Bereiche der kommunalen Daseinsvorsorge/ des Dienstleistungsbereiches der Liberalisierungspflicht unterliegen, die ausdrücklich in die Liste der Zugeständnisse aufgenommen werden. Beim Negativlisten-Ansatz hingegen sind alle Bereiche von den Liberalisierungsverpflichtungen des Abkommens erfasst, die nicht ausdrücklich ausgenommen sind. Es ist zu befürchten, dass TTIP, CETA und TiSA einen sog. Negativlisten-Ansatz verfolgen.
5. Stillstandsklausel und Ratchet-Klausel
Alle drei Handelsabkommen enthalten sowohl die Stillstands-, wie auch die Ratchetklausel. Die Stillstandsklausel legt fest, dass nach Einigung auf einen Status der Liberalisierung dieser nie wieder angehoben werden darf. Die Ratchetklausel besagt, dass ein staatliches Unternehmen, wie etwa die Stadtwerke, das einmal von einem privaten Investor gekauft wurde, niemals wieder rekommunalisiert werden darf. Es hat sich in jüngster Vergangenheit gezeigt, dass – aus guten Gründen – zahlreiche Privatisierungen öffentlicher Güter wieder in die öffentliche Hand zurückgeführt wurden. Daher lehnen wir solche „Endgültigkeitsklauseln“ ab. Vielmehr ist zu beanstanden, dass keine generelle Austrittsklausel formuliert wurde.
6. Living Agreement und Rat für Regulatorische Kooperation
Im Oktober 2013 hielt EU-Handelskommissar Karel de Gucht eine Rede in Prag, in der er vorschlug, TTIP solle einen regulatorischen Kooperationsrat einrichten. Die EU-Kommission plant nun in der Tat die Etablierung eines „Regulierungsrates“, in dem EU- und US-Behörden mit Konzern-Lobbyisten zusammenarbeiten, um Regulierungsmaßnahmen zu diskutieren und gegebenenfalls Standards zu lockern. Die Beteiligung Kommunaler Spitzenverbände ist nicht vorgesehen. In einer Rede am Aspen Institute in Prag bezeichnete Karel de Gucht das Abkommen darüber hinaus als „lebendes Abkommen“, was nichts anderes bedeutet, als dass sich die Verhandlungspartner auf ein allgemeines Rahmenabkommen einigen und die Details (z.B. Absenkung der Standards) dann in einem Ausschuss (im Nachhinein) weiterverhandeln. All dies geschieht am Europaparlament vorbei und entzieht sich dadurch jeglicher demokratischen Kontrolle. (Anmerkung: Sowohl TTIP, wie auch CETA sollen „lebende Abkommen“ werden und einen „Regulierungssrat“ erhalten. Nach bisherigen Wissensstand sind diese beiden Punkte nicht Teil der Verhandlungen bei TiSA.)
Für Vereinbarungen, die derart weitreichend in die Staatliche und Kommunale Regulierungshoheit eingreifen, bedarf es Standards der Transparenz und der demokratischen Legitimation, auch wenn es sich um Internationale Abkommen handelt. Deswegen fordern wir die Einbeziehung der Öffentlichkeit, sowie eine sofortige Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände.
Aus den genannten Gründen lehnen wir diese „neue Generation“ von Handelsabkommen ab und setzen uns bei den entscheidenden Stellen dafür ein, die Abkommen in der derzeit bekannten Form abzulehnen. Darüber hinaus appellieren wir an andere Landkreise des Bayerischen Gemeindetages, ebenso zu verfahren.
Die Bürgermeister des Landkreises Roth:
Werner Bäuerlein, Abenberg; Bernhardt Böckeler, Allersberg; Helmut Bauz, Büchenbach; Ben Schwarz, Georgensgmünd; Manfred Preischl, Greding; Ralf Beyer, Heideck; Markus Mahl, Hilpoltstein; Walter Schnell, Kammerstein; Jürgen Spahl, Rednitzhembach; Thomas Schneider, Röttenbach; Felix Fröhlich, Rohr; Ralph Edelhäußer, Roth; Robert Pfann, Schwanstetten; Udo Weingart, Spalt; Georg Küttinger, Thalmässing; Werner Langhans, Wendelstein.
Wendelstein, im Juni 2014[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]
Man wundert sich : ausgerechnet ein ländlicher Landkreis bildet eine Speerspitze im Kampf gegen das Handelsabkommen ? Warum geschieht das nicht in in den Metropolen wie München oder Frankfurt ?
Die Lösung ist simpel: Da sitzen die internationalen Konzerne. Allerdings werden sie dort nicht als Feinde wahrgenommen sondern als Anbieter von tausenden von Arbeitsplätzen und Ausbildungsplätzen, Gewerbesteuerzahler usw.
Alle profitieren davon, direkt oder indirekt, vom mittelständischen Zulieferer bis zum Bioladen. Offensichtlich hat man dafür im ländlichen Raum nur wenig Verständnis.
Herr Lichtwald,
Vollkommen zurecht stellen Sie fest, dass Verhandlungsakteure dieses dubiosen Spiels nicht die Kommunen, sondern die Europäische Kommission ist. Wäre auch seltsam, wenn di Kommunen über Staatsverträge verhandeln.
Jedoch: Dies bedeutet meines Erachtens absolut nicht, dass wir auf kommunaler Ebene zum stillschweigenden Abwarten verpflichtet sind! Je näher wir an der Lebenswirklichkeit der Bürgerinnen und Bürger erfahren, wie sich ein mögliches Freihandelsabkommen auswirken wird, je bewusster uns die Ängste der Bevölkerung sind, schutzlos gestellt zu werden, desto größer ist der Drang, ein lautes ‚Nein‘ nach Brüssel zu schreien. Zugegeben, der Weg von Konstanz nach Brüssel ist weit, doch wenn die Schreie nur laut genug sind, dann wird es auch in Brüssel Lärmbelästigung.
Ich jedenfalls lasse mich in meinem Protest nicht beschränken – ein TTIP darf es mit Deutschland nicht geben, zumindest solange sich die LINKEN noch wehren können.
Gruß
Simon Pschorr
Das ist natürlich eine hervorragende Grundlage für die nötige öffentliche Diskussion. Wir leben aktuell innerhalb eines Desinformationssystems. Alle reden von Chlorhähnchen, wo es um strukturelle Grundlagen internationaler Handelsregeln geht. Uns fehlt eine Menge Basiswissen, wie Politik funktioniert.
1. Außenhandel ist keine Sache der kommunalen Selbstverwaltung. Und Brüssel verhandelt hier mit den USA und eben nicht Berlin! Unsere Politiker tun aber immer so, als hätten sie das Gesetz des Handels in der Hand.
2. Die Wirtschaft bestimmt schon länger das Gesicht von Europa. Das hat Lothar Späth schon Ende der 80er Jahre gesagt. Sie geben den Takt des Handels vor. Der Wähler wird mit Scheindebatten beschäftigt, wer sich z.B. Ratspräsident nennen darf!
3. Die Hüter der kommunalen Selbstverwaltung müssen kapieren, dass sie in der Hierarchie staatlicher Autoritäten eine weitere Stufe nach hinten gerutscht sind! Das gilt auch für Bayern, wo sich einige jetzt plötzlich die Augen reiben.
Kurzum: Die Globalisierung der Wirtschaft darf nicht zum Ende der kommunalen Selbstverwaltung führen. Die muss aber neu definiert werden, denn die darf nicht im Herumschnüffeln in privaten Bauakten ihren Kernpunkt haben!