Das Amtsblatt erscheint im Januar 2018
Nach langem Tauziehen ist jetzt eine große Koalition aus CDU, FDP, FWK, JFK und LLK in der gestrigen Sitzung des Konstanzer Gemeinderates mit ihrem gemeinsamen Antrag durchgekommen, ab dem nächsten Jahr ein Amtsblatt zu publizieren. Es wird an sämtliche Konstanzer Haushalte verteilt und soll wichtige amtliche Mitteilungen und einige Gemeinderatsnachrichten unters Volk bringen.
Das Amtsblatt war eine schwierige Geburt. Zuletzt war dieses Vorhaben im Dezember 2016 im Gemeinderat gescheitert. Oberbürgermeister Uli Burchardt hatte damals den Vorschlag der Verwaltung für das Amtsblatt überraschend zurückgezogen, weil ihm die zu erwartende Zustimmung von nur knapp über 50% für dieses Projekt zu klein erschien. Gegner des Amtblattes waren und sind SPD, Grüne und wohl auch der Südkurier, der bisher von der Stadt für die Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen bezahlt wird und diesen Auftrag verlieren wird.
Gemeinsamer Antrag von fünf Fraktionen
Roger Tscheulin (CDU) begründete den gemeinsamen Antrag der fünf Fraktionen mit der Funktion des Amtsblattes als Informationsmedium, das den Bürgern die politische Teilhabe erleichtere. Von der Straßenneubenennung über Bebauungspläne bis hin zur Vorhabenliste der Verwaltung werde dort viel Wissenswertes (und manches Langweilige) Platz finden. Bei jährlichen Kosten von pro Kopf 1,22 € sei das ein sinnvolles Vorhaben. Er wies ausdrücklich darauf hin, dass das Amtsblatt keine Konkurrenz zum Südkurier sei.
In dieselbe Kerbe schlug Holger Reile (LLK): „Das Amtsblatt ist nicht der Ort für investigativen Journalismus und für den Gewinn des Pulitzer-Preises.“ Der Südkurier-Chef Rainer Wiesner hatte im Vorfeld an sämtliche Gemeinderätinnen und -räte mahnende Worte geschrieben und nach eigenem Bekunden mit einigen Fraktionsvorsitzenden gesprochen. Reile erklärte das zum lächerlichen Beeinflussungsversuch. Und wenn die SPD aus so vollem Herzen gegen das Amtsblatt sei, warf er den Genossen zu seiner Rechten zu, könnten sie ja einfach auf ihr Recht, dort regelmäßig ihre Sicht der Dinge darzulegen, verzichten.
Schönfärberischer Einheitsbrei?
Für die Gegner des Amtsblattes stieg Jürgen Ruff (SPD) in die Bütt. Er kritisierte, dass ein solches Medium nicht etwa facettenreiche politische Informationen und Hintergrundberichte liefere, sondern die Welt aus der Sicht der Verwaltung darstellen werde und aus dem Gemeinderat nur Ergebnisse, aber keine Argumente liefere. „Dieser schönfärberische Einheitsbrei langweilt die Bürger,“ rief er in den Saal. Er vermisst in einem Amtsblatt in der geplanten Form auch, dass es die Debatten im Gemeinderat nicht abbilden würde. Das muss das Amtsblatt aber auch gar nicht, denn die politischen Debatten in Konstanz werden ja traditionell auf der Homepage und im Facebook-Auftritt der hiesigen SPD wiedergegeben und vertieft.
Für den Außenstehenden ist diese immer wieder geäußerte Kritik unverständlich. Ein Amtsblatt ist zu strikter Zurückhaltung verpflichtet, es darf gar nicht als Forum für politische Diskussionen dienen. Auch der offenkundige Anspruch etlicher Gemeinderätinnen und -räte, mit dem Amtsblatt ihre eigenen politischen Positionen besser unter die Leute zu bringen, ist verfehlt. Es ist kein Propagandamedium für Partei- oder Fraktionspolitik, und der Gemeinderat spielt darin nicht die Hauptrolle.
Immerhin gebührt der SPD, in diesem Falle deren Jungstar und Vordenker Jan Welsch (SPD), ein dickes Kompliment: Sein Redebeitrag war der wirrste, den ich in den letzten zehn Jahren gehört habe. „Wunderwelsch“, wie ihn seine Freunde gern nennen, wollte sich vermutlich über die wundersame Zusammenarbeit der ganz großen Koalition von LLK, CDU usw. in Sachen Amtsblatt lustig machen. Natürlich war das eine gute Idee von ihm, denn die SPD, traditionell die stärkste der Parteien, hat ja selbst Koalitionen nicht nötig, schon gar nicht solche mit der CDU, da ist’s also gut frotzeln. Aber Welsch hat seinen Kant wohl nicht gelesen. Der bemerkte nämlich einmal treffend: „Das Lachen ist ein Affekt aus der plötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung in nichts.“ Welsch übersprang in seiner antirevolutionären Ungeduld den ersten Schritt mit der gespannten Erwartung und ging gleich minutenlang zu nichts über. Da hatten die ZuhörerInnen dann wirklich nichts mehr zu lachen.
Zu teuer?
Eine andere Argumentationslinie stimmte Anne Mühlhäußer (FGL) an. Den wackeren Grünen sind nämlich nach ihrem Bekunden die Kosten für das Amtsblatt schlichtweg zu hoch. Außerdem ist es ihnen ein Dorn im Auge, dass sich das Blättle teils durch Anzeigen städtischer Institutionen finanzieren soll (dafür sind 100.000 Euro pro Jahr angesetzt). „Damit steckt man Geld doch nur von der linken in die rechte Tasche, das ist unseriös.“ Außerdem sieht sie im Amtsblatt eine Schwächung des Journalismus, denn „im Rathaus publizierte Artikel haben nicht die nötige journalistische Distanz.“ Außerdem hätten die meisten auch älteren Menschen heute Internetzugang und es gebe ja den Podcast der Gemeinderatssitzungen für alle, die es genau wissen wollen. Der Oberbürgermeister wies gleich süffisant darauf hin, dass sie diesen Redebeitrag nicht von einem Laptop ablese, sondern von Papier.
Prankenhieb der Papiertiger
Die StrategInnen der FGL hatten sich etwas Perfides ausgedacht, um das Amtsblatt ziemlich schnell zu erledigen, nämlich einen kräftigen Dreh am Geldhahn: Anne Mühlhäußer beantragte, dass die Kosten für das Amtsblatt gedeckelt werden sollen. Der Haken daran: Die Grünlackierten blamierten sich schnell bis auf die Knochen, denn ganz offenkundig hatten sie keine Ahnung, was sie eigentlich wollten (außer das Amtsblatt mit allen Mitteln zu verhindern). Anne Mühlhäußer war trotz mehrfachen Nachfragens weder in der Lage, einen abstimmungsfähigen Antrag zu formulieren, wie diese Deckelung denn aussehen solle, noch konnte auch nur ein/e VertreterIn der FGL sagen, welcher Betrag denn festgeschrieben werden solle. Auf die Frage, ob man in diesen Deckel einen Inflationsausgleich aufnehmen solle, hatte die FGL natürlich auch keine Antwort. Selten ließ sich eine Fraktion derart offenkundig beim Verbreiten heißer Luft ertappen.
Die FGL als größte Fraktion des Konstanzer Gemeinderates hatte ihre Hausaufgaben einfach nicht gemacht und reagierte auf die zunehmend bohrenden Fragen, was sie denn nun eigentlich beantragen wolle, wie ein Hühnerhaufen, über dem plötzlich der Habicht kreist. Alles rannte, rettete und wäre am liebsten geflüchtet. Eigentlich gehört es sich ja, wenn man einen Antrag stellt, einen Antragstext dabeizuhaben – oder zumindest darüber Auskunft geben zu können, was man denn überhaupt beantragen will. Aber derart kleinbürgerliche Umgangsformen sind vielleicht ein zu enges Korsett für Grüne, die bekanntlich in globalen Dimensionen denken.
Am Ende kam es, wie es kommen musste: Der Antrag der FGL auf eine Deckelung der Gelder für das Amtsblatt wurde abgelehnt. Das Amtsblatt selbst hingegen in der ursprünglich geplanten Form und mit der bereits früher formulierten Redaktionssatzung wurde mit 23 Ja-Stimmen (darunter auch der des Oberbürgermeisters) angenommen. Außerdem gab es ein zehnfaches Nein und drei Enthaltungen. Walter Rügert, städtischer Pressesprecher und künftiger Amtsblatt-Chef, skizzierte den Zeitplan: Ab sofort wird die Ausschreibung für das Amtsblatt vorbereitet (unter anderem geht es dabei um die flächendeckende Verteilung, und diese Ausschreibung könnte durchaus der Südkurier gewinnen). Und im Januar soll dann die erste Ausgabe in den Konstanzer Hausfluren und Briefkästen landen.
O. Pugliese
Vermutlich ist das Amtsblatt eine besondere Inszenierung.
1. Akt: OB UB blockiert sehr raffiniert die erste Abstimmung.
2. Akte: der große Erfolg des Stadtparlaments, es darf endlich abgestimment werden …
3. Akt: Große Debatte und inhaltsschwere Argumentationsstränge
Schlußakt: Das Amtsblatt kommt und sogar OB UB stimmt dafür!
Die große Koalition (in etwas anderer Besetzung als im Bund) stimmt für ein unabhängiges, freies, gemeinnnütziges, ökologisch einwandfreies, inhaltlich unbedenkliches … Blatt. Da wiehert der Amtsschimmel vor Freude!
Angesichts des sinkenden Vertrauens eines wachsenden Teils der Bevölkerung in einen Gemeinderat, der mehrheitlich die Interessen einer vorwiegend wirtschaftlich orientierten Stadtverwaltung unterstützt, die eine verantwortungslose „Politik“ an den Menschen vorbei betreibt, bezweifle ich den Erfolg und den Sinn eines Amtsblattes. Was soll ein solches bewirken? Eine ernsthafte, aktive Bürgerbeteiligung, die diesen Namen verdient, die Mitgestaltung an einer lebenswerten Gegenwart und einer eben solchen Zukunft unserer Stadt ist die einzige „politische Teilhabe“ die Sinn macht. Diese aber ist nicht erwünscht, sie wird ausgebremst und abgeblockt, ist durchschaubares Theater. Ein Amtsblatt zwischen Anzeiger, Rechnungen, Gemeindebrief und Werbung wird wohl in vielen Fällen „Futter“ für die blaue Tonne. Und dann ist´s tatsächlich einmal mehr „´rausgeschmissen Geld“.
Wird § 20 Abs. 3 der novellierten Gemeindeordnung konsequent angewendet, dürfte auch ausreichend Platz sein, die Argumente der Politik den Sachinformationen aus der Verwaltung ergänzend oder gleichsam kritisch gegenüber zu stellen.
Um ein entsprechendes Redaktionsstatut kann dann leidenschaftlich gerungen werden, daran können sich auch die Sozialdemokraten beteiligen. An der momentanen Stelle des Verfahrens, an der man nun versucht, das gesamte Projekt aufgrund von Ängsten über die eigenen Mitspracherechte zu verhindern, ist ein Aufheulen eher peinlich.
Panik anstelle des Mutes, den die SPD gerade nicht nur durch ihren Kanzlerkandidaten zugesprochen bekommt – offenbar ist bei den Genossen in Konstanz noch nicht so wirklich angekommen, dass Mitgestaltung nur dann funktionieren kann, wenn man nicht auf die Bremse drückt. Der Versuch, sich durch diesen Aufstand für mehr Transparenz für die Bevölkerung einzusetzen, ist gescheitert, begründete der sich doch von Anfang an auf den falschen Annahmen.
Schade, wenn Protest so schlecht gemacht scheint, dass er sogar durchsichtig wird…