Das grausame Schicksal der Stadttauben
In der Stadt umhervagabundierende Tauben sind seit jeher ein Stein des Anstoßes: Während manche sie liebevoll füttern, möchten andere sie am liebsten vergiften. Wie in vielen anderen deutschen Städten nehmen sich jetzt auch in Konstanz einige Menschen der oftmals elend dahinsiechenden Tiere an.
Für die einen sind sie allesverkotende Ratten der Lüfte, für die anderen strahlend weiße Friedenstauben, girrende Turteltäubchen, als frisch erstickte Bluttauben eine besondere Delikatesse – oder gar ein Symbol für den Heiligen Geist.
Keine Hilfe
Für Stefanie Zentner und ihre Mitstreiter*innen sind Tauben vor allem mitleiderregende Tiere, deren ziemlich schweres Schicksal in Konstanz es zu lindern gilt. Viele der Vögel sind verletzt, haben sich die Füße abgeschnürt, sind von Krankheiten geplagt – und niemand hilft! Die Taubenfreund*innen sind durchaus bereit, selbst anzupacken, sehen aber auch die Stadt und den Tierschutz in der Pflicht, für Abhilfe zu sorgen und den Tauben ein würdiges Leben zu ermöglichen.
Ihre bisherigen Erfahrungen mit diversen Institutionen waren für sie nicht ermutigend: Stadt, Feuerwehr, Tierrettung und Schädlingsbekämpfer zeigten zwar Verständnis für die Nöte kranker, verletzter oder anderweitig behinderter Tiere, erklärten sich aber für eine nachhaltig wirksame Hilfe wie das Einfangen und Betreuen der Tiere nicht zuständig oder verfügten nicht über das nötige Fachwissen oder Gerät wie etwa eine Netgun, mit der sich ein Netz auf das Tier schießen lässt, um es einzufangen. „Leider geht es nicht ohne Kritik am Tierheim, das zwar eine Netgun hat, jedoch nicht sehr motiviert war, es zu versuchen“, notierte Stefanie Zentner auf Facebook.
Stadttauben sind heimatlose Haustiere
[the_ad id=“94028″]Die Ursache für die Misere der Tauben in der Stadt ist nach Meinung der Taubenfreund*innen eindeutig der Mensch, der deshalb auch verpflichtet sei, den Tieren zu helfen. Jene Tauben, die uns Tag für Tag über den Weg laufen, durch ihr Gurren wecken oder auf den Kopf kacken, zählen nämlich mitnichten zu den Wildtieren wie manch andere Taubenarten, Krähen usw., sondern sind laut Animal Care International „ausgesetzte/verwahrloste/heimatlose Haustiere (Haus-, Zucht- und Brieftauben sowie deren Nachkommen).[1] Der ständige Brutzwang wurde diesen Stadttauben einst aus wirtschaftlichen Gründen angezüchtet, weil sie über Jahrtausende als Lieferanten für Fleisch, Eier und Federn dienten, nicht nur als Brieftauben.“ Während Wildtauben im Schnitt zweimal jährlich brüten, sitzen Stadttaubenpärchen fünf- oder sechsmal auf ihrem Gelege von jeweils zwei Eiern.
Schmerzen und grausamer Tod
Von Natur aus ernähren sich Tauben von Körnern, Samen, Sonnenblumenkernen usw. In der Stadt hingegen picken sie, um dem schieren Hungertod zu entgehen, nach allem, was sie irgendwie herunterwürgen können, von Pommes und Pizza über Brotreste bis hin zu Müll. Auf ihrer verzweifelten Suche nach Nahrung ziehen sie sich durch langes Herumlaufen auf dem harten Untergrund „schmerzhafte Verschnürungen durch herumliegende (Woll-) Fäden, lange Haare, reißfeste Plastikschnüre, Verpackungsbänder, Klebestreifen etc. zu, die mitunter das Absterben der Zehen und im schlimmsten Fall der Beine verursachen.“ Der vielfache und stets qualvolle Hungertod ist die selbstverständliche Folge dieser Lebensumstände, und Stefanie Zentner hat zahlreiche geschwächte Tauben in Konstanz unter anderem mit Fuß- und Beinverletzungen gesichtet.
Das Fazit: Die Tauben in der Stadt führen ein deutlich verkürztes, extrem grausames Leben. Hier kann nur der Mensch helfen, hier ist vor allem aber die Stadtverwaltung gefragt, die Konstanz ja zu einer grünen Stadt umbauen will, für die ein freundlicher, artgerechter Umgang mit ihren Tauben nicht nur eine Selbstverständlichkeit sein sollte, sondern auch eine hervorragende Werbung wäre, wie die Tierfreund*innen betonen.
Was tun?
In Deutschland wurden in den letzten Jahren in verschiedenen Kommunen betreute Taubenhäuser errichtet. Ihr Ziel ist es, einerseits die Zahl der Tauben zu reduzieren, indem die Gelege durch Eier-Attrappen ersetzt werden, und andererseits, den Tauben eine sichere Unterbringung und gesundes Futter zukommen zu lassen.
Beide Ziele unterstützen auch die Konstanzer Taubenfreund*innen und verweisen auf das „Augsburger Stadttaubenkonzept“[2] und das Braunschweiger Modell[3]. Ihre Forderung: „Konstanz benötigt mindestens zwei betreute Taubenhäuser, um eine tierschutzgerechte Lösung für die Tauben und deren Gegner und Freunde durchführen zu können.“
Natürlich sollen diese Taubenhäuser dort stehen, wo die Tauben tatsächlich unterwegs sind. Stefanie Zentner denkt etwa ans Münster, die Stadtsparkasse, Klein Venedig oder den Stadtgarten als geeignete Standorte. Als Ziele nennt sie:
- Die Reduktion der Tauben auf tierfreundliche Art durch Eieraustausch.
- Bessere Versorgung der verletzten und kranken Tauben.
- Fütterung: Weniger Fütterung durch Passanten, stattdessen artgerechtes Futter – kein Hungertod, gesunde Tiere.
- Da die Tauben ca. 80 % ihrer Zeit im Taubenschlag verbringen, fällt die Hauptmenge an Kot dort an und kann unschwer beseitigt werden.
Auch betreute Futterstellen an ruhigen Ecken, an denen die Tauben sich artgerecht ernähren können, sind in anderen Städten erfolgreich erprobt worden und wären ein Vorbild für Konstanz.
Die Konstanzer Taubenfreund*innen, die übrigens noch engagierte Mitstreiter*innen suchen, sehen die Stadt in der Pflicht, ein entsprechendes tierfreundliches Stadttaubenmanagement einzurichten. Sie erreichen sie hier per E-Mail.
Eine Petition, mit der die Stadt zum Handeln aufgefordert wird, findet sich hier.
Außerdem haben die Aktivist*innen eine Facebook-Seite eingerichtet, auf der sie über aktuelle Entwicklungen und Aktionen berichten, sie ist unter „Taubenfreunde Konstanz“ zu finden.
Text: O. Pugliese, Foto: Stefanie Zentner
Anmerkungen
[1] https://www.facebook.com/AnimalCareInternational/posts/5092869090735126/
[2]https://www.augsburg.de/umwelt-soziales/umwelt/umweltstadt-augsburg/stadttaubenkonzept
[3]https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/hallo_niedersachsen/Braunschweig-weiht-ersten-betreuten-Stadttaubenschlag-ein,hallonds80784.html?fbclid=IwAR27qA9LgGwFtoE9Ss4TK9jSAoA4GDbrreB8oEJJU1MSocmb8RNqPvcpu20
Tierschutzheime und Wildtierauffangstationen sind in Deutschland finanziell chronisch unterversorgt. Es würde mich sehr wundern, wenn ausgerechnet die klammen Konstanzer Entscheider:innen ihr Herz für Tiere entdeckten. Ich sehe da keine Lobby. Die ehemaligen Brieftauben, die ihren Dienst getan hatten, wurden einfach freigelassen und verwilderten. In der Stadt sind sie gezwungen im vom Menschen verursachten Zivilisationsmüll zu leben und werden in der Folge wie Ratten der Lüfte behandelt. Denen rückt Konstanz übrigens am Seeufer mit Giftköderstationen zu Leibe. Die vergifteten Tiere werden auch von Beutegreifern – und dazu zählen nicht nur Wildtiere, sondern auch unsere geliebten Hauskatzen – gefressen, nur um dann ebenfalls sehr elend zu sterben. Mindestens genauso dreckig ging es seit 1952 den Wildkaninchen in Europa. Hier wurde das grausame Myxomatose-Virus durch Paul-Félix Armand-Delille eingeführt. Um die Kaninchenpopulation auf seinem eingezäunten Landsitz Maillebois zu dezimieren, ließ er sich den brasilianischen Myxomatosevirusstamm aus einem Schweizer Labor schicken und infizierte einfach zwei Wildkaninchen. Die Tiere verlieren ihre Orientierung und können sich nur noch zum Sterben verkriechen. Das Virus hat sich schnell in Europa ausgebreitet. Hat alles nichts mit den Stadttauben und dem absolut notwendigen Anliegen der Initiative zu tun? Doch! Derzeit gilt das Prinzip, dass alles, was stört einfach weg muss, vertrieben oder vergiftet wird noch immer. (Wild-)Tiere brauchen aber unseren Schutz und unsere Wertschätzung und es braucht sehr viel Aufklärung darüber, wie Kulturnachfolger und Tiere in unserer Obhut tatsächlich leben oder vegetieren. Wirklich wirksame Gesetze sind mehr als überfällig.