Das Ende einer Kolumne – und die wahren Gründe

Auch Sie vermissen schon seit längerem die Kolumne von Jochen Kelter im Südkurier? Zehn Jahre war sie immer auf den Wirtschaftsseiten zu lesen – jetzt ist Schluss, informationslos vom Heimatblatt eingestellt. Über die wahren Gründe berichtet Kelter ganz subjektiv in einem offenen Brief an den Leiter des SK-Wirtschaftsressorts. Lesen Sie die Dokumentation im Anschluss. 

Sehr geehrter Herr Rosenberger;
dass Sie sich nach meinem letzten Kommentar für die Wirtschaftsseiten des Südkurier dann doch noch zu einem Gruß und Abschiedswort aufgeschwungen haben, fand ich ja fast schon rührend: „… Austausch mit Ihnen auch auf der persönlichen Ebene immer sehr angenehm.“ Auch wenn ich das von unserem letzten Telefongespräch im April, bei dem wir die Beendigung meiner Kolumnistentätigkeit besprochen haben, anders in Erinnerung habe.

Da war die Rede davon, ich hätte mich ja auch schon abfällig über die Zeitung geäußert, und meine Beiträge seien in der Redaktion kaum noch durchsetzbar. Zu ersterem kann ich nur sagen, gehen Sie einmal in eine beliebige Weinstube oder ein Restaurant: Da können Sie hören, wie die Leute über Ihre Zeitung sprechen, die die meisten ja nur noch wegen der Lokalnachrichten lesen (und auch die gehen den Dingen ja selten genug auf den Grund). Zum anderen kann ein vertragsloser Kolumnist mit maximal zwei Beiträgen pro Monat kaum zu Linientreue verdonnert werden. Dass meine Kommentare intern zunehmend auf Ablehnung stoßen, kann ich sogar nachvollziehen: Der Mainstream, dem sich der Südkurier verpflichtet fühlt, rückt ja zusehends nach rechts, weil er von dort (und lesbar leider fast nur von dort) angegriffen wird.

Aber keine Bange: Was ich Ihnen schreibe, richtet sich in keiner Weise gegen Sie persönlich. Ich schreibe Ihnen vielmehr einen offenen Brief. Als mich Ihr Vorgänger Peter Ludäscher vor zehn Jahren angeheuert hat, standen wir noch ganz am Beginn der Finanz-, Immobilien- und folgenden Euro-Krise. Naturgemäß haben sich meine Beiträge in der Zeit danach mit dieser Krise und ihren Auswirkungen auf Staaten und Bürger beschäftigt. Das hat zu zahlreichen Leserreaktionen geführt, ob in der Weinstube oder auf der Straße, in Zuschriften, Leserbriefen oder durch Einladungen zu Veranstaltungen von zumeist dem Neoliberalismus, der Europa mit seiner Währungsfehlkonstruktion verwüstet hat, gegenüber kritisch eingestellten Zeitgenossen.

Das hat sich ein wenig geändert, da sich die Probleme, die die Menschen beschäftigen, hin zu Flüchtlingen und Terrorismus verlagert haben und die immer noch schwelende Banken-, Schulden- und Euro-Krise in den Hintergrund verschoben hat. Aber auch Flüchtlingskrise und Terrorismus wurzeln nicht zuletzt in ökonomischen Gründen, an denen Europa eine Mitschuld trägt.

Nun hat mich Peter Ludäscher, obwohl liberal und ja sogar Personalrat (was von der Geschäftsleitung Ihres Hauses offenbar gar nicht gerne gesehen wurde), der den Südkurier bestens kannte, nicht etwa wegen meiner blauen Augen angestellt. Er wollte offenbar, dass potenzielle Leser, die von der „alternativlosen“ Berichterstattung und „Analyse“ Ihres Blatts nicht angetan waren, der Zeitung als Leser erhalten blieben. Das hat er geschafft, das hat häufig zu Reaktionen geführt wie: So etwas hätte ich dieser Zeitung nie und nimmer zugetraut.

Ich, der ich kein gelernter Ökonom bin, aber als „Achtundsechziger“ schon in jungen Jahren an Makroökonomie interessiert war, habe meine Kolumnen gerne geschrieben, weil ich gemerkt habe, dass sie ein Echo auslösen, obschon ich nie der Illusion verfallen bin, eine Mehrheit der ja nach wie vor strukturkonservativen Leserschaft der Zeitung überzeugen zu können. Aber ein klein wenig zum Entstehen einer Zivilgesellschaft beizutragen, die sich etwa in der großen Anti-TTIP-Demonstration in Berlin im Oktober 2015 mit 250 000 Teilnehmern manifestierte, war für mich als Schriftsteller, der ja nicht unbedingt mit Massenbewegungen oder direkter Aufklärung zu tun hat, ein Gewinn.

Dass ich zehn Jahre durchhalten, dass die Zeitung mich so lange Zeit ertragen würde, ist für mich eher eine Überraschung. Ich habe mit Herrn Ludäscher schon vor ein paar Jahren darüber gesprochen, ob es nicht für beide Seiten besser wäre, die Zusammenarbeit zu beenden. Nun haben Ihre Chefs entschieden, dass es ihnen auf die mainstreamdissidenten Leser nicht mehr ankommt. Ihr Kerngeschäft ist ja sowieso schon länger die Werbung. Für Anzeigen musste auch meine Kolumne mehrmals weichen. Profit vor Inhalt. Zu denken geben sollte Ihnen, sollte uns etwa die Aussage eines Fernfahrers in der kürzlich ausgestrahlten ZDF-Reportage „Was für mich deutsch ist“. Der Mann sagte, natürlich habe auch er Angst vor dem Verlust seines Arbeitsplatzes, Harz IV sei dazu da, die Menschen auf Trab zu halten, und den Leitmedien traue er nicht, seine Informationen beziehe er aus dem Internet und der deutschen Ausgabe von „Russia today“.

Das hat weniger mit „Fake News“ oder der Unübersichtlichkeit des Internet zu tun, sondern mit dem Verfall des Qualitätsjournalismus, den der Philosoph Jürgen Habermas jüngst beklagt hat. Die immer selben Kommentatoren und Leitartikler, die Teil der „liberalen“ Eliten sind, erklären nach den immer gleichen Mustern unsere alternativlose Gesellschaft und alle anderen käuen sie wider. Dabei wäre es nach der Krise von 2007/2008 endlich an der Zeit gewesen zu erkennen und darzutun, dass unsere gesellschaftlichen Bedingungen keineswegs alternativlos sind, sondern nach Veränderung und Verbesserung geradezu schreien.

Ihnen persönlich wünsche ich Glück und Gesundheit.

Mit freundlichen Grüßen,
Jochen Kelter