Das Fahrrad als Rennsemmel
Der Startschuss ist gefallen – in Baden-Württemberg entstehen die ersten Radschnellverbindungen. Diese Entwicklung ist angesichts der zunehmenden Fahrradnutzung sowie der auch dank E-Bike und Pedelec steigenden Geschwindigkeiten ein logischer Schritt, nicht nur in Ballungsräumen mit zahlreichen Pendlern. Hier einige geballte Fakten zu den Planungen und Anforderungen an die neuen Radwege. Wer es genauer wissen will, kann am 9. Oktober auch eine Fachkonferenz zum Thema in Friedrichshafen besuchen.
Ein wie wichtiges Verkehrsmittel das Fahrrad ist, beweist etwa die schmucke neue Konstanzer Zählstelle nahe der RadlerInnen- und FußgängerInnenbrücke am Rhein. Trotz der Ferien und damit ohne die während der Schulzeit zahlreich in die Pedale tretenden SchülerInnen und LehrerInnen passierten vom 8. August bis 10. September rund 7500 Velos die Zählstelle – pro Tag wohlgemerkt. Insgesamt wurden dort in diesem Zeitraum rund 262.000 FahrräderInnen erfasst, am Wochenende mit einem Tagesschnitt von 6200 etwas weniger, an Wochentagen mit 8000 etwas mehr. Mit dem Schulbeginn dürften die Zahlen auf deutlich über 10.000 RadlerInnen am Tag steigen, mit dem Wintereinbruch dann aber wohl auch wieder etwas sinken. Auf jeden Fall werden sich die Jahreswerte locker im Millionenbereich bewegen.
Das alles beeindruckt zwar, wird aber richtig interessant erst durch Vergleichszahlen aus anderen Städten: Eine weltweite Übersicht gibt es hier. Ein durchaus lohnender Klick, denn man erfährt, dass sogar in Dubai eine Radzählstelle existiert und dass auch 344 km nördlich des Polarkreises in Tromsø selbst im Winter einige Unverdrossene die Zähler passieren und sich scheint’s weder von Elchen noch von Bären oder gar der grässlichen äußeren wie inneren Finsternis abschrecken lassen.
„Auto“bahnen für Fahrräder
Radschnellverbindungen sind gerade höchst aktuell, und wer gelegentlich auf die Reichenau oder nach Radolfzell radelt, weiß aus eigener Erfahrung, wie viel Potenzial das Fahrrad gerade auf mittleren Strecken bietet, auf denen es – von Tür zu Tür gerechnet – durchaus mit dem Auto und dem ÖPNV konkurrieren kann. Was also läge näher als Fahrradschnellstrecken einzurichten, um verstärkt vor allem Pendler aufs Fahrrad zu locken? Auch in Baden-Württemberg geht es endlich los: Am 10. September gab es den ersten Spatenstich für die Radschnellverbindung Böblingen/Sindelfingen–Stuttgart.[2]
Die Anforderungen an eine Radschnellstrecke sind so definiert: Die Strecke muss eine Gesamtlänge von mindestens 5,0 km haben und eine interkommunale Verbindung ohne Ausschluss bebauter Gebiete darstellen (damit will man wohl die klassischen Umgehungsstraßen verhindern und für eine gute Anbindung sorgen). Außerdem soll der durchschnittliche tägliche Verkehr an Werktagen (DTVw) auf der Strecke bei mehr als 2000 Radfahrenden liegen.
Der Witz an einer Radschnellstrecke ist, dass sie für eine durchschnittliche Reisegeschwindigkeit von 20 km/h ausgelegt wird und eine sichere Befahrbarkeit auch bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 30 km/h gewährleistet. Damit diese Werte auch erreicht werden, sollen die Zeitverluste durch das Anhalten und Warten (etwa vor Ampeln oder an Kreuzungen) pro Kilometer nicht mehr als 15 Sekunden außerorts und 30 Sekunden innerorts betragen.[3]
Die Breite zählt
Die Wege müssen natürlich breit genug für Überholmanöver sein, möglichst direkt zum Ziel führen und wenige Knotenpunkte mit dem Autoverkehr aufweisen – und komplett von Fußwegen getrennt werden. Außerdem ist ein fester Belag mit einem nur geringen Abrollwiderstand sinnvoll. Die Breite soll mindestens drei Meter in jeder Richtung entlang von Hauptverkehrsstraßen betragen. Radschnellwege, die in beiden Richtungen befahren werden, sollen mindestens vier Meter breit werden und selbstverständlich Vorfahrt gegenüber querenden Nebenstraßen genießen. Wer schon einmal mit einem Lastenfahrrad oder Kinderanhänger unterwegs war, weiß allerdings, dass selbst vier Meter bei Gegenverkehr auf einmal ziemlich schmal wirken können.[4]
Natürlich wird eine Schnellverbindung in den meisten Fällen aus diversen einzelnen Radwegen verschiedener Typen und Querschnitte bestehen und gerade außerorts auch dem land- und forstwirtschaftlichen Verkehr dienen.
Vorbilder gibt es bereits
Man sollte bei aller Euphorie aber nicht vergessen, dass sich Verkehrsplanungen unter anderem aufgrund des Personalmangels in den beteiligten Ämtern und wegen zahlreicher Einsprüche zum Beispiel von Anliegern entlang der Trassen gern über viele Jahre hinzuziehen pflegen, so schnell wird es also nichts mit einem geschlossenen Schnellradwegenetz zumindest durch die Ballungsräume.
Beispiele dafür, wie solche Schnellverbindungen aussehen können, gibt es bereits mit dem eRadschnellweg Göttingen oder dem RS1 im Ruhrgebiet.[5] Natürlich sind andere Länder, in denen die Fackel der Aufklärung bereits früher und heller leuchtete, Deutschland deutlich voraus, wie der VCD schreibt: „In den Niederlanden gibt es zahlreiche bereits realisierte oder kurz vor der Umsetzung stehende Radschnellverbindungen. Diese führen in einem Radius von 15 und mehr Kilometern sternförmig in die großen Städte hinein oder verbinden diese miteinander. Hintergrund ist u.a. das nationale Projekt ‚Fiets filevrij‘, etwa: ‚Fahr staufrei Rad‘ des niederländischen Fahrradverbandes Fietsersbond.“ Andere Vorbilder finden sich um Kopenhagen und London.[6]
Wann auch Konstanz einen Radschnellweg erhält, steht übrigens in den Sternen. Die Karte der potenziellen Korridore verzeichnet momentan ausreichenden Bedarf auf der Strecke von der Fähre in Egg durch Konstanz hindurch bis nach Allensbach, das sind 11,1 km und erwartete 2400 Räder pro Tag. Die nötige Ertüchtigung dieses Weges auf seiner gesamten Länge dürfte ein Vorhaben werden, das sich im unteren Millionenbereich bewegt. Eine mögliche Schnellverbindung zwischen Radolfzell und Singen hingegen muss zuerst noch auf ihre mögliche Auslastung hin geprüft werden.[7]
Konferenz zum Thema am Bodensee
Der VCD Verkehrsclub Deutschland e.V. lädt zur Regionalkonferenz „Radschnellverbindungen in der Bodenseeregion“ nach Friedrichshafen ein. Die Veranstaltung findet am Dienstag, 9. Oktober 2018, von 10.00 bis 16.00 Uhr im Graf-Zeppelin-Haus (Graf-Soden-Zimmer) statt, die Teilnahme ist kostenlos, eine Anmeldung bis spätestens 28. September ist allerdings zwingend erforderlich.[1]
Die Tagung richtet sich an Entscheidungsträger in Politik und Planung sowie an Institutionen und Verbände vor allem aus der Bodenseeregion. Bei der Konferenz berichten Experten von Grundlagen und Praxiserfahrungen dieser modernen Verkehrswege und stellen Planungen aus verschiedenen Gegenden vor. Angesichts der Möglichkeiten, die insbesondere Pedelecs und E-Bikes auf längeren Strecken bieten, ist die Entwicklung innerstädtischer ebenso wie überörtlicher Radschnellwege ein logischer Schritt, der hier für den Bodensee konkretisiert werden soll.
O. Pugliese mit Dank an Gregor Gaffga/MM der Stadt Konstanz, (Foto:Harald Borges)
[1] Prospekt und Anmeldung zur Regionalkonferenz: https://bw.vcd.org/fileadmin/user_upload/BW/Themen/Radschnellverbindungen/VCD_Friedrichshafen_09102018.pdf
[2] https://www.fahrradland-bw.de/news/news-detail/spatenstich-in-boeblingen/vom/10/9/2018/
[4] https://www.fahrradland-bw.de/fileadmin/user_upload_fahrradlandbw/Downloads/Praesentationen_LK_RSV/BENDIAS_Planen_Bauen.pdf und https://www.fahrradland-bw.de/fileadmin/user_upload_fahrradlandbw/1_Radverkehr_in_BW/i_Radschnellverbindungen/Musterloesungen_RSV_BW.pdf
[5] https://www.goettingen.de/leben/mobilitaet/radfahren.html und http://www.rs1.ruhr/
[6] https://www.fahrradland-bw.de/fileadmin/user_upload_fahrradlandbw/1_Radverkehr_in_BW/i_Radschnellverbindungen/Faktenblatt_RSV_01_VCD.pdf und (sehr informativ) https://www.fahrradland-bw.de/fileadmin/user_upload_fahrradlandbw/1_Radverkehr_in_BW/i_Radschnellverbindungen/Faktenblatt_RSV-07_VCD.pdf
[7] https://www.fahrradland-bw.de/fileadmin/user_upload_fahrradlandbw/1_Radverkehr_in_BW/c_Projekte_Infrastruktur/Radschnellverbindungen/2018-03-12_VM_RollUp_Landespressekonferenz_Pressemappe_1_.pdf und https://www.fahrradland-bw.de/fileadmin/user_upload_fahrradlandbw/1_Radverkehr_in_BW/c_Projekte_Infrastruktur/Radschnellverbindungen/Potenzialanalyse_2018-03-09_1_.pdf
[8] Vergleichszahlen von Fahrradzählstellen: http://eco-public.com/ParcPublic/?id=4586