Das große Schweigen aus der Mevlana Moschee
Schon nach den Attacken der türkischen Regierung gegen türkischstämmige PolitikerInnen hierzulande haben wir den Vorstand der hiesigen Moschee um eine Stellungnahme gebeten. Es kam: Nichts. Nun herrscht in der Türkei der Ausnahmezustand und Erdogan-KritikerInnen werden schikaniert, bedroht und verfolgt, auch in Deutschland. Hier der zweite Versuch, von den Verantwortlichen der Mevlana Moschee eine Antwort zu erhalten.
Sehr geehrte Frau Özen,
Sie werden unter Umständen verstehen, dass die Entwicklung in der Türkei zu großer Sorge Anlass gibt, auch hier bei uns in Konstanz. Erdogan hat den (erfreulicherweise) gescheiterten Putschversuch zum Vorwand genommen, sich von der Demokratie zu verabschieden. Zehntausende Lehrer, Richter und Leiter von Universitätsfakultäten wurden bereits entlassen, missliebige Soldaten landen in Gefängnissen und die „Säuberungen“, die an die dunkelsten Jahre der deutschen Geschichte erinneren, gehen weiter. Unsere gemeinsamen demokratischen Grundwerte – Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit sowie das Recht, sich friedlich zu versammeln und sich frei zu äußern, um nur einige Punkte zu nennen – sind außer Kraft gesetzt.
Auch die allgemein gültigen Menschenrechte werden in der Türkei mit Füßen getreten: Inhaftierte werden in Unterwäsche vorgeführt und geschlagen, ein Recht auf einen Anwalt ist ihnen entzogen. Den Toten wird ein Begräbnis nach islamischem Ritus verweigert und seit der Ausrufung des Notstands herrschen Willkür und Terror. Betroffen sind nicht nur Konkurrenten aus dem religiösen Lager, sondern auch Gewerkschafter, Künstler, liberale und linke Intellektuelle, Kurdinnen und Kurden. Das alles dürfte Ihnen bekannt sein.
Mittlerweile hat dieser Konflikt auch Deutschland erreicht. Türkische Nationalisten hierzulande schüchtern Erdogan-Kritiker ein und es hat bereits ernstzunehmende Übergriffe gegeben. Das ist nicht hinzunehmen. Bevor diese Entwicklung auch auf Konstanz übergreift, ist rasches Handeln angebracht. Meiner Meinung nach sind Sie, werte Frau Özen, als Vorstand der Mevlana Moschee geradezu verpflichtet, auf Ihre Mitglieder im Sinne eines demokratischen Miteinanders einzuwirken. In dieser unserer Stadt leben rund 3000 Muslime, die sich größtenteils von der Mevlana Moschee vertreten fühlen. Es ist also an der Zeit, dass Sie sich zusammen mit Ihren Vorstandsmitgliedern klar äußern und Ihre Gläubigen öffentlich und über Ihre Kanäle dazu aufrufen, sich einem überbordenden Nationalismus mit all seinen demokratiefeindlichen Auswirkungen zu widersetzen.
Mir ist durchaus bewusst, dass die Mevlana Moschee unter dem ideologischen und finanziellen Einfluss der konservativen DITIB steht, die wiederum vom türkischen Religionsministerium gelenkt wird. Dass Sie sich deshalb in einer gewissen Zwickmühle befinden, ist mir klar. Dennoch erwarte ich von Ihnen und Ihren Vorstandsmitgliedern eine halbwegs deutliche Stellungnahme. Wünschenswert wäre auch, dass Ihr amtierender Imam bei seinem Freitagsgebet darauf eingeht und Ihre Gläubigen darauf hinweist, dass die Aushebelung demokratischer Gepflogenheiten mit ihren negativen Begleiterscheinungen der falsche Weg ist. Bislang war das Verhältnis zwischen den unterschiedlichen Kulturen in Konstanz von gegenseitigem Verständnis und Toleranz geprägt. Uns allen sollte daran gelegen sein, dass das auch in Zukunft so bleibt.
Es grüßt Sie freundlich, versehen mit der Bitte um eine zeitnahe Antwort,
Holger Reile
Hallo Marco Radojevic,
Da Du mich persönlich ansprichst, hier einige Anmerkungen zu Deinem Kommentar. Ja, ich bin weiterhin der Meinung, dass man angesichts der diktatorischen Zustände in der Türkei auch von den Moschee-Verantwortlichen vor Ort eine Stellungnahme einfordern darf. Gerade auch deshalb, weil türkische Nationalisten den Konflikt längst auf deutsche Straßen getragen haben und Andersdenkende einschüchtern und bedrohen. Das ist nicht zu akzeptieren. Was sollte den Vorstand der Mevlana-Moschee davon abhalten, zumindest mäßigend auf die Mitglieder ihrer Glaubensgemeinschaft einzuwirken? Die Erklärung des Vorstands ist leider wenig zielführend. Man versucht den Eindruck zu erwecken, mit Politik nichts am Hut zu haben und lediglich Anlaufstelle zu sein für Gebet und innere Einkehr. Das ist mir zu billig und entspricht auch nicht den Tatsachen.
Du schreibst, von „jeder Moscheegemeinde politische Bekenntnisse einzufordern“, sei der falsche Weg, „den man eigentlich eher aus anderen politischen Kreisen kennt“. Wäre ich zart besaitet, würde ich das für eine bösartige Unterstellung halten. Für mich sind derlei schräge Vergleiche eher das Resultat einer Gedankenenge, die uns nicht nur bei dieser Debatte keinen Zentimeter weiter bringt. Mit meinem Appell an die Gemeinde, schwadronierst Du weiter, würde ich „wenn auch unabsichtlich – (Wie großzügig Du doch bist) – der politischen Rechten neue Munition geben“. Der den Linken nahestehende Publizist David Fischer-Kerli hat kürzlich dazu geschrieben: „Der linke Reflex, dem Überbringer solch schlechter Nachrichten“ (und als eine solche scheinst Du ja meine Forderung an die Moschee zu halten),“dennoch einen `Generalverdacht` zu attestieren und ihn als Rassisten für eine weitere Diskussion zu disqualifizieren oder ihn zumindest zum Schweigen zu bringen, um den Rechten nicht `in die Hände zu spielen`, ist gefährlich, und zwar zuallererst für die Linke selbst“. Dieser Einschätzung kann ich nur beipflichten.
Lieber SeeMoZ und Redakteure,
ich habe ja versprochen, dass ich kurz erläutere, was mich an diesem Brief stört und da ich nun Zeit habe, möchte ich das auch tun.
Es ist erstmal traurige Wahrheit, dass ein relevanter Teil der hier lebenden Menschen mit türkischem Migrationshintergrund dem AKP-Regime in der Türkei nicht sonderlich kritisch gegenübersteht, sondern im Gegenteil dieses auch unterstützt. Genauso im übrigen wie die Menschen mit russischem Migrationshintergrund Putins Regime zu einem übergroßen Teil unterstützen (und leider auch zum großen Teil die AfD unterstützen). Auf der ersten Blick mag es daher schon interessant sein zu erfahren, wie denn nun die hiesige Moscheegemeinde zu den aktuellen Entwicklungen in der Türkei steht. Doch so wie der Brief formuliert ist, war der Wunsch dahinter offensichtlich keine reguläre Stellungnahme zu den Entwicklungen in der Türkei, sondern ein Appell, die ja durchaus nicht falschen Überzeugungen des Autors zur Gemeindepolitik zu erheben. Formulierungen wie „rasches Handeln angebracht“ und „dazu verpflichtet…einzuwirken“, „es ist an der Zeit, dass Sie“, „erwarte ich von Ihnen“ sind zumindest keine, die man normalerweise in journalistischen Anfragen findet, sondern sind eher aus dem Vokabular der politischen Rhetorik entlehnt. Mal angenommen, man hätte tatsächlich auf diesen Brief inhaltlich geantwortet (was ja nicht getan wurde), dann bliebe den Vertretern der Moscheegemeinde entweder die Möglichkeit, durch eine Ablehnung der formulierten Äußerungen sich als fünfte Kolonne Ankaras zu entlarven oder aber eine besondere Verantwortung für die Entwicklungen in der Türkei und damit auch in Deutschland anzunehmen, eine Verantwortung, die zumindest aus meiner Sicht keiner Moscheegemeinde ernsthaft zugeschrieben werden kann. Es ist ja richtig, dass Verbände wie DITIB scharf kritisiert werden müssen und es ist auch richtig, dass man liberalen Muslimen in Deutschland den Rücken stärken muss und sich sicher daher auch mit den konservativen Kräften in den muslimischen Communities anlegen muss. Ich halte aber den Weg nun, von jeder Moscheegemeinde politische Bekenntnisse einzufordern, für den garantiert falschen, den man eigentlich eher aus anderen politischen Kreisen kennt. Klar sind die Beziehungen der entsprechenden Verbände und Gemeinde zu den Herkunftsländer der Mitglieder enger wie bei einem Fussballverein, dennoch erwächst Ihnen dadurch nicht eine besondere politische Verantwortung. Niemand käme auf die Idee, von orthodoxen Kirchengemeinden Stellungnahmen zu Russland oder einem anderen orthodoxen Land einzufordern, niemand käme auf die Idee, lokale jüdische Verbände und Synagogen zum Nahen Osten zu befragen, aber bei Moscheegemeinden ist dies dann auf einmal in Ordnung. Wem tatsächlich etwas daran gelegen ist, den Autoritarismus aus den Köpfen der migrantischen Communities und auch der deutschen Mehrheitsgesellschaft zu bekommen (ich nehme zumindest an, dass dies beim Autor der Fall ist), der sollte die Kritik nicht auf einzelne Gemeinden fokussieren und damit auch – wenn auch unabsichtlich – der politischen Rechten neue Munition geben, sondern auf die tatsächlichen politischen Entscheidungsträger. Denn bekanntlich stinkt der Fisch vom Kopf her.
Auch wenn ich mir wünsche, dass Erdogan von allen nur erdenklichen Seiten kritisiert wird, finde ich es einen Gewinn, wenn hier (gerade auch von muslimischer Seite!) die Trennung von Moschee und Staat betont wird !
Herr Riehle, bitte verzeihen Sie mir. Der Fehler liegt natürlich auf meiner Seite, dass Sie den Vergleich nicht gleich verstanden habe. Ich will es Ihnen so erläutern, da die Katholiken (weltweit) dem Papst (Vatikan) unterstellt sind u. der Sitz des Vatikan innerhalb Italien ist. Dann ist doch die erwartbare Folge, dass der Vatikanstaat, durch politische Unruhen in Italien auch in Mitleidenschaft gezogen wird. Ich hoffe jetzt, dass Sie das nachvollziehen können. Noch etwas, ich spreche nicht im Namen der Gemeinde, dafür gibt es den Vorstand. Wenn Sie eine dringende Stellungnahme doch haben möchten, dann wenden Sie sich persönlich an den Vorstand der Gemeinde.
Ich habe selten einen so hinkenden Vergleich gelesen… Sind die Mehrheit der deutschen Katholiken denn Italiener? Aber gut, akzeptieren wir das Basta der toleranten Gemeinde.
Genug ist genug! Das ist gleiche ist, wenn man von einer katholischen Kirche in Deutschland oder sonst wo, um eine Stellungnahme bittet, was so alles in der Politik von Italien abspielt. Die Türkisch-Islamische Gemeinde Konstanz und Umgebung e.V. ist dafür bekannt für Ihre Toleranz, offene Türen, Moscheeführungen, diverse religiöse Veranstaltungen u. das erfolgreiche Zusammenarbeit im christlich-islamischen Dialoges. Unsere Gemeinde bemüht sich für die Integration in Deutschland und sieht sich nicht als Ansprechpartner für die Politik in der Türkei.
Nun, Dennis Riehle: Mevlana als „Eingetragener Verein“ konnte sich diesen deutschen Titel wohl nur zulegen, da seine Satzungen nicht gegen die „verfassungsmässige Ordnung“, nicht gegen das „Strafrecht“, und besonders auch nicht gegen den „Gedanken der Völkerverständigung“ verstösst. Insofern liegen die Dinge klar. Ob sich nun ein Vorstandsmitglied politisch dezidiert zu den Ereignissen in der Türkei erklärend aufschwingen sollte, obwohl bereits die Satzung seines Vereins darauf hinweist, dass „diese oder jene Vorkommnisse in seiner Heimat“ damit derzeit wohl nicht kompatibel sind, ist insofern umstritten, als es sich um eine politische Erklärung einer einzelnen Person handeln würde, nicht um die eines Vereins, der ja explizit keine politische Sicht vertritt (Ilknur Acar), sondern vorerst religiös inspiriert ist. Es ist es wohl unbestritten, dass innerhalb eines jeden Vereins, welcher Couleur auch immer, ganz unterschiedliche politische Meinungen vertreten sein können – und tatsächlich sind. Ein etwaiger Mevlana-Sprecher oder eine Mevlana-Sprecherin würde also wohl nur ein Statement abgeben können, dass Erdogans Tun nicht unbedingt „den hiesigen Gepflogenheiten“ entspricht. Alle Vereinsmitglieder würden jedoch damit nicht vertreten sein. Ob dies für Dennis Riehle oder/und Holger Reile bereits beruhigend einwirken würde, oder sich ihnen sämtliche Vereinsmitglieder politisch zu äussern hätten – es sind ja nicht alles Türken! – , weiss ich nicht. Religion und Politik sind für beide Fragesteller in der Regel ja überaus strickt zu trennen. Hier hebt sich ihre stets politisch postulierte Grundeinstellung, die ja in Ordnung ist, allerdings für einmal auf. Sie wird damit unvermittelt zu einem Politikum!
Es dürfte einem Verein wohl kaum benommen sein, sich zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu bekennen – ob nun hier in Deutschland oder in anderen Ländern.
Im Übrigen haben auch eingetragene Vereine selbstverständlich die Option, sich politisch einzulassen. Auch dann, wenn sie gemeinnützig anerkannt sind und nicht in erster Linie politische Zwecke erfüllen. So entschied beispielsweise das Finanzgericht Düsseldorf, dass es „unschädlich [sei], wenn eine gemeinnützige Organisation gelegentlich zu tagespolitischen Themen im Rahmen ihres Satzungszweckes Stellung nimmt“ (09.02.2010, 6 K 1908/07 K). Bei nicht gemeinnützigen Vereinen gäbe es gar keinen Grund, sich nicht politisch zu äußern.
Und wenn der Name „Türkisch-Islamische Gemeinde“ nicht bereits ausreicht, um hieraus einen Satzungszweck erkennen zu lassen, der die Möglichkeit zur politischen Stellungnahme eröffnet, dann weiß ich es auch nicht.
Bedauerlicherweise lässt sich eben in diesem Fall auch Religion nicht von Politik und Staat trennen, weshalb es eher eine Frage des Wollens als des Könnens ist, wenn eine pointierte Aussage zu den Vorgängen in der Türkei, aber eben auch zu den nach Deutschland getragenen Auswirkungen der dortigen Lage erwünscht wird.
Entschuldigung, Sie können doch nicht von einem eingetragenen Verein erwarten, dass wir uns zur politischen Lage in der Türkei äußern. Außerdem sind alle Muslime bei uns willkommen, d.h. Wir sind kosmopolitisch. Da müssten wir ja zu jedem Land, wo unsere Brüder und Schwestern kommen ein Kommentar ablegen. Sie sind herzlich willkommen. Unsere Türen sind für jeden religiösen Dialog offen, aber Politik überlassen Sie bitte den Politikern.
Warum muss sich eine Moschee für die Türkei rechtfertigen? In welche Schublade wird sie da gesteckt?
Wenigstens die Moschee sollte ein Ort des Friedens und des Rückzugs sein, wo sich Menschen einen und treffen können (und auch die Chance haben), wo das anderorts nicht möglich ist.
Politik spaltet. Die Religion kann in diesem Fall verbinden. Das sollte man nicht einfach so aufgeben.
Das ist doch immerhin ein Zeichen, dass sie sich der deutschen Mentalität (a la Kohl und Merkel) und den deutschen Gepflogenheiten angepasst haben. Einfach totschweigen (das hier eine ganz andere Bedeutung gewinnt—-) und aussitzen.