Das Gutachten zum Scala von A bis Z
Seit einigen Tagen ist das Gutachten, das die Initiative „Rettet das Scala“ hat anfertigen lassen, in aller Munde und wird rundum heiß diskutiert. Bislang wurde nur in Auszügen daraus zitiert. Wer es in Gänze lesen möchte – bitteschön, hier zum Nachlesen.
Rechtliche Stellungnahme zur bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit eines Aufstellungsbeschlusses für einen Bebauungsplan und einer Veränderungssperre für den Bereich „Marktstätte“ in Konstanz unter besonderer Berücksichtigung der Möglichkeit einer Nutzungsgliederung
Im Auftrag der Bürgerinitiative „Rettet das Scala!“ Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht Dr. Wolfram Hertel Berlin, den 16. März 2016
A.
Fragestellung
Die Bürgerinitiative „Rettet das Scala!“ in Konstanz hat den Gutachter beauftragt, die Möglichkeiten zur Schaffung der bauplanungsrechtlichen Voraussetzungen zum Erhalt des Kinos „Scala“, Marktstätte 22 in Konstanz, ausgehend von einem möglichen Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan und für den Erlass einer Veränderungssperre darzulegen. Zentrales Anliegen der Bürgerinitiative ist es, eine Festschreibung einer gebäude- und ggf. geschossspezifischen Nutzung im Bereich Marktstätte, insbesondere im Gebäude des Scala-Kinos zu erreichen.
Nach den uns zur Verfügung gestellten Informationen liegt das Gebäude des Kinos „Scala“ nicht im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans. Die derzeitige bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Vorhaben richtet sich deshalb nach § 34 BauGB – zulässig ist eine Nutzung, die sich nach Art und Maß der Bebauung in den vorhandenen Bebauungsrahmen einfügt. Für unsere Überlegungen gehen wir zudem davon aus, dass die derzeit vorhandene Nutzung im Gebiet der Marktstätte in Konstanz derjenigen eines Kerngebiets im Sinne des § 7 BauNVO ähnelt, so dass sich gemäß § 34 Abs. 2 BauGB die Zulässigkeit von Vorhaben nach seiner Art derzeit danach richtet, ob diese nach § 7 Abs. 2 BauNVO allgemein zulässig sind. Gemäß dieser Vorschrift ist deshalb eine Nutzungsänderung des bestehenden Kinos „Scala“ in die gemäß § 7 Abs. 2 BauNVO allgemein zulässigen Vorhaben derzeit genehmigungsfähig, also u.a. Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäude, Einzelhandelsbetriebe, Schank- und Speisewirtschaften, Hotelbetriebe und Vergnügungsstätten sowie nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe sowie Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke.
Nur durch den Erlass von rechtlichen Instrumenten, die – jedenfalls zumindest für einen vorübergebenden Zeitraum – diesen rechtlichen Rahmen ändern, kann bauplanungsrechtlich also verhindert werden, dass das bestehende Kino „Scala“ in eine andere, nach § 7 Abs. 2 BauNVO zulässige Nutzung umgewandelt wird. In Betracht kommen hier insbesondere der Erlass eines Bebauungsplans sowie eine dazugehörige Veränderungssperre gemäß § 14 Abs. 1 BauGB.
B.
Bauplanungsrechtlicher Rahmen
I.
Veränderungssperre und Aufstellungsbeschluss
Bauplanungsrechtliches Instrument zur Sicherung der Planung für den zukünftigen Planbereich ist eine Veränderungssperre i.S.d. § 14 Abs. 1 BauGB. Diese hat die Wirkung, dass Vorhaben i.S.d. § 29 BauGB (darunter u.a. auch Nutzungsänderungen eines Bestandsgebäudes) während eines ausreichenden Zeitraums für die Durchführung des Bebauungsplanverfahrens (im Regelfall zwei Jahre) nicht genehmigt werden müssen.
Ist eine Baugenehmigung einmal erteilt, kann die Veränderungssperre das Vorhaben nicht mehr verhindern. Eine einmal erteilte Genehmigung darf auch trotz erlassener Veränderungssperre genutzt werden. Vor dem Hintergrund des bereits gestellten Bauantrags zur Umnutzung des Kinos „Scala“ ist die Frage des Erlasses einer Veränderungssperre deshalb sehr zeitkritisch (wann mit einer Erteilung der Baugenehmigung zu rechnen ist, können wir mangels Kenntnis über das Genehmigungsverfahren nicht beurteilen).
Voraussetzung für den Erlass einer Veränderungssperre ist, dass ein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans gefasst worden ist. Dabei ist es zwar nicht erforderlich, dass in dem Aufstellungsbeschluss bereits Aussagen über den Inhalt des Bebauungsplanes getroffen werden.1 Die Veränderungssperre muss aber zur Sicherung der Planung erforderlich sein, so dass der künftige Planinhalt zumindest in einem Mindestmaß erkennbar ist.2 Eine „vorgeschobene Veränderungssperre“, die ausschließlich dem Zweck dient, Zeit zu gewinnen, ohne dass ernsthafte Planungsabsicht bestünde, ist daher unzulässig 3. Für die erforderliche Konkretisierung ist es allerdings ausreichend, wenn die planende Gemeinde die zukünftige Nutzungsart im Wesentlichen festgelegt hat.4 Dabei unterliegt die Veränderungssperre zwar noch nicht den an einen Bebauungsplan zu stellenden Anforderungen, insbesondere nicht dem Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB.5 Gleichwohl kommt es darauf an, ob die Planung überhaupt auf ein Ziel gerichtet ist, das im konkreten Fall mit den Mitteln der Bauleitplanung zulässigerweise erreicht werden kann.6 Fraglich ist daher im vorliegenden Fall, ob die Nutzung des Gebäudes an der Marktstätte 22 in Konstanz als Kino bauplanungsrechtlich festgeschrieben werden kann.
II.
Bauplanungsrechtliche Gliederungsinstrumente
Die Festschreibung einer von einer Gemeinde gewünschten artbezogenen bzw. gebäude- und geschossspezifischen Nutzung ist grundsätzlich möglich. Handelt es sich um einen unbeplanten Innenbereich i.S.d. § 34 Abs. 1 BauGB, kommen dafür in erster Linie – verbunden mit der Aufstellung eines einfachen Bebauungsplanes – § 9 Abs. 2a BauGB und – verbunden mit der Aufstellung eines qualifizierten Bebauungsplanes – § 1 Abs. 4-7 BauNVO in Betracht.
1. § 9 Abs. 2a BauGB
§ 9 Abs. 2a BauGB ermöglicht es einer Gemeinde, durch einen einfachen Bebauungsplan (§ 30 Abs. 3 BauGB) innerhalb von im Zusammenhang bebauten Ortsteilen Festsetzungen zu treffen, dass nur bestimmte Nutzungsarten zulässig oder bestimmte Arten dieser Nutzungen nicht oder nur ausnahmsweise zulässig sind. Zweck dieser Regelungsmöglichkeiten ist der Erhalt oder die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche. Ihren Hauptanwendungsbereich hat die Vorschrift im Bereich der Steuerung von Einzelhandelsansiedlungen.7 Sie erlaubt es daher auch, innerhalb des zu schützenden zentralen Versorgungsbereichs selbst Nutzungs- und Sortimentsbeschränkungen festzusetzen.8
§ 1 Abs. 4-7 BauNVO
Ein weiteres bauplanungsrechtliches Instrument zur gemeindlichen Feinsteuerung der in einem Gebiet zulässigen Nutzungsarten sind § 1 Abs. 4-7 BauNVO. Diese ermöglichen eine Entschärfung der sich aus dem Gebietstypenzwang der Baunutzungsverordnung ergebenden Einschränkung kommunaler Planungshoheit.9 Für die hier maßgebliche Situation sind vor allem § 1 Abs. 4 und 7 BauNVO von Interesse, da sie eine Gliederung des Baugebietes in horizontaler sowie vertikaler Hinsicht ermöglichen.
So lässt sich nach Abs. 4 (sog. horizontale Gliederung) z.B. festsetzen, dass Einzelhandel nur in einem bestimmten Bereich des Baugebietes zulässig sein soll, Anlagen für kulturelle Zwecke hingegen nur in einem anderen Bereich.
Abs. 7 ermöglicht es, aus besonderen städtebaulichen Gründen für ein Baugebiet nur bestimmte Nutzungsarten nach Geschossen, Ebenen oder sonstigen Teilen baulicher Anlagen zuzulassen oder auszuschließen (sog. vertikale Gliederung).
Diese Gliederungen können sich gem. § 1 Abs. 8 BauNVO auch nur auf einen Teil des Baugebietes beziehen. Dabei ist es grundsätzlich auch möglich, dass die gegliederten Festsetzungen sogar nur ein Grundstück betreffen.10
Darüber hinaus können die zuvor genannten Feinsteuerungsmöglichkeiten nach § 1 Abs. 9 BauNVO dahingehend erweitert werden, dass an Stelle der in der Baunutzungsverordnung ausdrücklich erwähnten Nutzungskategorie nur bestimmte Arten dieser Nutzung für allgemein zulässig erklärt werden.11 Voraussetzung ist allerdings auch hier, dass besondere städtebauliche Gründe dies rechtfertigen.
Die Feinsteuerungselemente können grundsätzlich miteinander kombiniert werden.12
III.
Erfordernis eines Bebauungsplanes
Sowohl § 9 Abs. 2a BauGB als auch die Nutzungsgliederungen nach § 1 Abs. 4-7 BauNVO erfordern die Aufstellung bzw. das Vorliegen eines Bebauungsplanes. Während es § 9 Abs. 2a BauGB jedoch ermöglicht, zum Zwecke des Erhalts oder der Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche einen einfachen Bebauungsplan (§ 30 Abs. 3 BauGB) aufzustellen, ohne dass dafür Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung wie bei einem qualifizierten Bebauungsplan nötig wären, ist es für § 1 Abs. 4-7 BauNVO gerade Voraussetzung, dass ein qualifizierter Bebauungsplan die Art der baulichen Nutzung festlegt.13
IV.
Städtebauliche Rechtfertigung
Jegliche Bauleitplanung muss gem. § 1 Abs. 3 BauGB erforderlich sein und die Abwägungsgebote der §§ 1 Abs. 7, 2 Abs. 3 BauGB beachten. Das gilt sowohl für § 9 Abs. 2a BauGB14 als auch für die Nutzungsgliederungen des § 1 Abs. 4-7 BauNVO. Im Besonderen bedarf die vertikale Gliederung nach § 1 Abs. 7 BauNVO wie die Ausdehnung der Feinsteuerung auf Nutzungsunterarten nach § 1 Abs. 9 BauNVO der besonderen städtebaulichen Rechtfertigung.
1. Zur Erforderlichkeit
Ein Bebauungsplan muss gem. § 1 Abs. 3 BauGB für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich sein. Er ist dann nicht erforderlich, wenn es sich um eine reine Verhinderungsplanung handelt. Das ist dann der Fall, wenn die Gemeinde mit der Aufstellung des Bebauungsplans lediglich ein Vorhaben verhindern, allerdings keine positiven Planungsvorstellungen verwirklichen will.15 Allerdings ist der Gemeinde als Trägerin der Planungshoheit ein großer Gestaltungsspielraum zu zubilligen. Ein Bebauungsplan wird nicht schon dadurch unzulässig, dass er bestimmte Nutzungen verhindern soll. Die Gemeinde kann sogar erst mit der Aufstellung eines Bebauungsplanes beginnen, nachdem eine nicht in ihr bauplanerisches Konzept passende Nutzung beantragt wird. Maßgeblich ist also, dass der Bebauungsplan dem tatsächlichen Willen der Planungsträgerin entspricht und nicht nur vorgeschoben ist, um eine bestimmte Nutzung zu verhindern. 16 Ist an der fraglichen Stelle von der Gemeinde eine andere Art der baulichen Nutzung gewollt, fehlt es daher nicht an der Erforderlichkeit der Bauleitplanung, wenn zur Verhinderung eines in diesem Zeitpunkt zulässigen Vorhabens ein Aufstellungsverfahren eingeleitet wird.17 Dabei ist es grundsätzlich auch möglich, eine situationsbewahrende Bauleitplanung zu betreiben und Veränderungen vorzubeugen.18 Unerlässlich ist aber, dass die Gemeinde ein städtebauliches Konzept verfolgt, mit welchem sie die städtebauliche Entwicklung des Geltungsbereichs des Bebauungsplans für die Zukunft planend steuern will.
2. Zum grundsätzlichen Abwägungserfordernis
In die Bauleitplanung sind generell alle zu ermittelnden privaten und öffentlichen Belange einzustellen und untereinander abzuwägen, vgl. § 1 Abs. 7 i.V.m. § 2 Abs. 3 BauGB. Insbesondere im Hinblick auf den mit einer Gliederung des Baugebiets einhergehenden generellen Ausschluss bzw. die ausschließliche Zulässigkeit bestimmter Nutzungsarten sind dabei verstärkt grundrechtliche Abwägungsaspekte zu beachten. Es ist zu berücksichtigen, dass die Festschreibung einer einzigen zulässigen Nutzungsart für die fraglichen Grundstücke bzw. Geschosse einen intensiven Eingriff in das durch Art. 14 Abs. 1 GG garantierte Eigentumsgrundrecht der Grundstückseigentümer bedeutet. Umso schwerer muss in solchen Fällen der öffentliche Belang, also das städtebauliche Interesse an der Nutzungsgliederung wiegen.
Insbesondere bei der Festsetzung von sehr konkreten Nutzungsmöglichkeiten muss die planende Gemeinde die wirtschaftlichen Auswirkungen solcher Festsetzungen sehr sorgfältig prüfen und in ihre planerische Abwägung einstellen. So darf eine Planung nicht dazu führen, dass jede sinnvolle Nutzungsmöglichkeit genommen wird, etwa wenn die festgesetzte Nutzung keinerlei wirtschaftliche Erfolgsaussicht oder Realisierungschance hat.19 Setzt die planende Gemeinde sogar bestimmte Unter-Nutzungsvarianten einer bestimmten Nutzung fest (etwa „Nutzung als Kino“ statt lediglich generell einer „Nutzung für kulturelle Zwecke“), muss sich die Gemeinde bei der Ermittlung des Planungs- und Abwägungsmaterial sehr sorgfältig Gedanken über die wirtschaftliche Realisierungschance eines solchen Vorhabens machen. Erforderlich sind im hier maßgebenden Fall also konkrete und durch wirtschaftliche Untersuchungen untersetzte Überlegungen über die Zukunft eines Kinobetriebs an der Stelle des heutigen Kinos „Scala“.
Zum grundsätzlichen Abwägungserfordernis gehört auch, dass – wie oben unter Ziffer 1 dargestellt – es sich nicht lediglich um eine Verhinderungsplanung handeln darf. Vor diesem Hintergrund spricht vieles dafür, dass einer isolierten Beplanung lediglich eines Grundstücks, oder eines sehr eng umfassten Grundstücksumgriffs der Vorwurf entgegengehalten werden könnte, dass einer solch kleinteiligen Überplanung keine städtebauliche Rechtfertigung zukomme. Im Interesse der Rechtssicherheit der Planung sollte die Stadt Konstanz deshalb hier einen so großen Bereich der Innenstadt überplanen, dass diesem Bebauungsplan künftig tatsächliche, innenstadtfördernde und steuernde Rechtswirkungen zukommen. Nach unserer Einschätzung wird dies nur gelingen, wenn jedenfalls der gesamte Straßenzug „Marktstätte“ innerhalb des Geltungsbereichs einer solchen Planung liegt.
3. Zu den besonderen Abwägungserfordernissen
a) § 9 Abs. 2a BauGB
§ 9 Abs. 2a BauGB gibt die mit den Festsetzungen zu verfolgenden Ziele ausdrücklich vor. Sie müssen der Erhaltung oder der Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche dienen (sog. Primärziel). Mit den Festsetzungen können auch die Erhaltung oder Entwicklung der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung oder die Innenentwicklung der Gemeinde verfolgt werden (sog. Sekundärziele). Die Sekundärziele können aber nur gemeinsam mit dem Primärziel verfolgt werden.20 In jedem Fall müssen Festsetzungen daher der Erhaltung oder der Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche dienen.21
Zentrale Versorgungsbereiche sind räumlich abgrenzbare Bereiche, denen auf Grund ihrer vorhandenen oder geplanten baulichen Nutzungen, deren räumlichen Zuordnung und verkehrlichen Anbindung eine Versorgungsfunktion im Hinblick auf Waren und Dienstleistungen des kurz-, mittel- und langfristigen Bedarfs über den unmittelbaren Nahbereich hinaus zukommt.22 Dazu gehören regelmäßig die Innenstadtzentren.23
Damit eine bauplanerische Festsetzung erforderlich ist, muss sie der Erhaltung oder Entwicklung eines zentralen Versorgungsbereichs dienen. Sie ist dann gerechtfertigt, wenn ohne sie die spezifische Funktion der zentralen Versorgungsbereiche gefährdet wäre bzw. nicht weiter entwickelt werden könnte.24
Obgleich nicht ausgeschlossen, erscheint es zweifelhaft, dass der Ausschluss des Einzelhandels oder bestimmter Einzelhandelssortimente im Bereich der Marktstätte für die Erhaltung oder Entwicklung dieses oder eines anderen zentralen Versorgungsbereichs erforderlich ist. Weder soll die Ansiedlung des Einzelhandels als Hauptanwendungsfeld der Norm in die- sem Bereich verhindert, noch an anderer Stelle gefördert werden. Die Sicherung zentraler Versorgungsbereiche muss aber der tragende städtebauliche Grund sein.25
b) § 1 Abs. 7 und 9 BauNVO
Die Absätze 7 und 9 des § 1 BauNVO verlangen, dass besondere städtebauliche Gründe die vertikale Gliederung bzw. die Beschränkung auf Nutzungsunterarten rechtfertigen.
Hinsichtlich einer Gliederung nach § 1 Abs. 7 BauNVO muss die Gemeinde einerseits begründen, warum eine Feindifferenzierung erfolgt, andererseits belegen, warum gerade die vertikale Gliederung als Differenzierungsinstrument gewählt wird.26 Soll neben der horizontalen (§ 1 Abs. 4 BauNVO) oder vertikalen Gliederung auch eine Differenzierung nach generell ausgeschlossenen oder zulässigen Nutzungsunterarten erfolgen, ist ebenfalls eine besondere städtebauliche Begründung notwendig, für die die an § 1 Abs. 7 BauNVO zu stellenden Anforderungen gelten.27
C.
Ergebnis
● Um eine Umnutzung des heutigen Kinos „Scala“, Marktstätte 22 in Konstanz mit den Mitteln des Bauplanungsrechts zu verhindern, ist es erforderlich, durch einen Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan und den Erlass einer damit korrespondierenden Veränderungssperre einstweilen den Genehmigungsanspruch für eine solche Nutzungsänderung „auf Eis zu legen“. Innerhalb des Geltungszeitraums der Veränderungssperre (in der Regel 2 Jahre) muss ein Bebauungsplan in Kraft gesetzt werden, der eine Umnutzung der heutigen Kinos in andere Nutzungsarten nicht mehr ermöglicht.
● Der Erlass eines Bebauungsplans und einer damit korrespondierenden Veränderungssperre ist grundsätzlich das vom Gesetzgeber vorgesehene Planungsinstrument, um dieses Ziel zu erreichen. Voraussetzung ist allerdings, dass dem Aufstellungsbeschluss ein „positives Planungskonzept“ zugrunde liegt. Der Aufstellungsbeschluss und die Veränderungssperre dürfen nicht lediglich vorgeschoben sein, um ausschließlich Zeit zu gewinnen. Dabei sind zum Zeitpunkt des Aufstellungsbeschlusses an ein solches „positives Planungskonzept“ aber noch keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Es kommt darauf an, dass die Planung auf ein Ziel gerichtet ist, welches im konkreten Fall mit den Mitteln der Bauleitplanung zulässigerweise erreicht werden kann.
● Grundsätzlich ist das Ziel, die städtebauliche Entwicklung eines Innenstadtbereichs im Einzelnen zu steuern, für ein solches Vorhaben geeignet. Der Gesetzgeber hat mit § 1 Abs. 7 und 9 BauNVO ein entsprechendes Planungsinstrument geschaffen. Die Feinsteuerung über § 1 Abs. 7 und 9 BauNVO wird aber nur Erfolg haben, wenn später eine gerechte Abwägung der privaten und öffentlichen Belange gemäß § 1 Abs. 7 BauGB gelingen kann. Je stärker der Eingriff des Bebauungsplangebers in die künftigen Nutzungen ist, d.h. je genauer er die künftigen Nutzungen vorgibt, desto schwerer muss der öffentliche Belang, also das städtebauliche Interesse an der Nutzungsgliederung wiegen, desto höher sind also die Anforderungen. Darüber hinaus muss der Bebauungsplan auch geeignet sein, das planerische Ziel zu erreichen. Nach unserer Einschätzung wird dies nicht gelingen, wenn lediglich einige, wenige benachbarte Grundstücke um das Kino „Scala“ einer Bauleitplanung unterworfen werden. Ziel muss eine Steuerung eines größeren Teils der Konstanzer Innenstadt, mindestens des gesamten Umgriffs des heutigen Straßenzugs „Marktstätte“ oder eines ähnlich großen Gebietes sein.
● Zeitlich besteht angesichts des bereits gestellten Bauantrags für die Umnutzung große Eile. Ist die Baugenehmigung einmal erteilt, kann das Instrument der Veränderungssperre und des Bebauungsplans das Vorhaben nicht mehr verhindern. Von der Baugenehmigung darf dann trotz Veränderungssperre Gebrauch gemacht werden. Die Veränderungssperre, für die ein Stadtratsbeschluss erforderlich ist, muss rechtzeitig in Kraft treten, bevor der Baugenehmigungsantrag entscheidungsreif ist. Ab wann mit der Erteilung der Baugenehmigung zu rechnen ist, können wir mangels Kenntnis über das Baugenehmigungsverfahren nicht beurteilen.
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1 BVerwG, Urt. v. 10. September 1976 – IV C 39/74, NVwZ 1977, 400.
2 Stock, in Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger (Hrsg.), Baugesetzbuch, § 14 BauGB Rn. 43.
3 Vgl. VGH Kassel, Urt. v. 25. Juli 2011 – 9 A 103/11, ZUR 2012, 47; OVG Bremen, Beschl. v. 9. Januar 2013 – 1 B258/12, NordÖR 2013, 171 (172); Mitschang, in: Battis/Krautzberger/Löhr (Hrsg.), BauGB, § 14 Rn. 9 m.w.N.
4 Vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 21. Januar 2004 – 1 MN 295/03, NVwZ-RR 2004, 332; Mitschang, in: Battis/Krautzberger/Löhr (Hrsg.), BauGB, § 14 Rn. 9; Hornmann, in: Spannowsky/Uechtritz (Hrsg.), Beck-OK BauGB,§ 14 Rn. 43.
5 BVerwG, Beschl. v. 30. September 1992 – 4 NB 35/92, NVwZ 1993, 473.
6 Mitschang, in: Battis/Krautzberger/Löhr (Hrsg.), BauGB, § 14 Rn. 9a; Hornmann, in: Spannowsky/Uechtritz (Hrsg.), Beck-OK BauGB, § 14 Rn. 40; Stock, in Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger (Hrsg.), Baugesetzbuch, § 14 BauGB Rn. 56.
7 Mitschang/Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr (Hrsg.), BauGB, § 9 Rn. 170.
8 Vgl. OVG Münster, Urt. v. 22.November 2010 – 7 D 1/09, ZfBR 2011, 584; Beschl. v. 16. März 2012 – 2 B 202/12, ZfBR 2012, 459.
9 Spannowsky, in: Spannowsky/Hornmann/Kämper (Hrsg.), Beck-OK BauNVO, § 1 Rn. 7.
10 BVerwG, Beschl. v. 16. August 1993 – 4 NB 29/93, BeckRS 1993, 08536.
11 Vgl. Spannowsky, in: Spannowsky/Hornmann/Kämper (Hrsg.), Beck-OK BauNVO, § 1 Rn. 234; Söfker, in Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger (Hrsg.), Baugesetzbuch, § 1 BauNVO Rn. 98.
12 Spannowsky, in: Spannowsky/Hornmann/Kämper (Hrsg.), Beck-OK BauNVO, § 1 Rn. 250.
13 Vgl. Mitschang/Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr (Hrsg.), BauGB, § 9 Rn. 171; siehe auch Spannowsky, in: Spannowsky/Uechtritz (Hrsg.), Beck-OK BauGB, § 9 Rn. 131
14 Gierke, in: Brügelmann (Hrsg.), BauGB, Band 2, § 9 Rn. 515a.
15 Dirnberger, in: Spannowsky/Uechtritz (Hrsg.), Beck-OK BauGB, § 1 Rn. 38.
16 BVerwG, Beschl. v. 18. Dezember 1990 – 4 NB 8/90, NVwZ 1991, 875.
17 VGH München, Beschl. v. 15. Februar 2011 – 14 ZB 09.2846, BeckRS 2011, 30589, Rn. 2.
18 BVerwG, Beschl. v. 15. März 20112 – 4 BN 9.12, ZfBR 2012, 477.
19 Vgl. Söfker, in Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger (Hrsg.), Baugesetzbuch, § 1 BauGB Rn. 214; Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr (Hrsg.), BauGB, § 1 Rn. 129.
20 Gierke, in: Brügelmann (Hrsg.), BauGB, Band 2, § 9 Rn. 515d
21 Vgl. Söfker, in Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger (Hrsg.), Baugesetzbuch, § 9 BauGB Rn. 242b.
22 BVerwG, Urt. v. 11. Oktober 2007 – 4 C 7/07, NVwZ 2008, 308; Gierke, in: Brügelmann (Hrsg.), BauGB, Band 2,§ 9 Rn. 515f m.w.N.
23 BVerwG, Urt. v. 11. Oktober 2007 – 4 C 7/07, NVwZ 2008, 308 Rn. 11.
24 Gierke, in: Brügelmann (Hrsg.), BauGB, Band 2, § 9 Rn. 515l; vgl. auch Mitschang/Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr (Hrsg.), BauGB, § 9 Rn. 182.
25 Söfker, in Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger (Hrsg.), Baugesetzbuch, § 9 BauGB Rn. 242b.
26 Bönker, in: Bönker/Bischopink (Hrsg.), Baunutzungsverordnung, § 1 Rn. 170.
27 Bönker, in: Bönker/Bischopink (Hrsg.), Baunutzungsverordnung, § 1 Rn. 210.