Das halten die Konstanzer Naturschutzverbände vom Handlungsprogramm Wohnen: Verbesserungsbedarf

„Das Handlungsprogramm Wohnen kann in seiner jetzigen Form als gescheitert angesehen werden.“ So das vernichtende Urteil der Naturschutzverbände Nabu und BUND in einer aktuellen, ausführlichen Stellungnahme, die seemoz trotz ihrer Länge ungekürzt veröffentlicht: Denn das Thema wird zukünftig die Stadtpolitik bestimmen.

Kurzfassung der Auswertung Empirica und GEWOS Studie:

• Die neue Empirica Studie stellt keine Wohnbedarfsanalyse dar, sondern den maximalen Ausbaukorridor auf den von der Stadt vorgegebenen Flächen.

• Die alte Empirica Studie stellte ebenfalls keine Wohnbedarfsanalyse dar, sondern eine Nachfrageanalyse (Was kann man in Konstanz am besten verkaufen)

• Empirica empfiehlt Preissegmente, die der Markt schon heute nicht mehr hergibt.

• GEWOS Studie: Nur 2,7% der Nachfolgehaushalte konnten verwertbar analysiert werden.

• Die Sinnhaftigkeit und die Qualität aller drei Studien kann in Zweifel gezogen werden.

• Eine echte Wohnbedarfsanalyse für die Zielgruppen des Handlungsprogramms Wohnen wurde bislang nicht erstellt.

• Der Markt wurde massiv angeheizt. Die Mietpreise stiegen weiter. Die höheren Neubaumieten zogen die Bestandsmieten mit nach oben (Durchschnitt 11,50 €/qm)

• Alle verkauften Eigenheime und 96% der verkauften Eigentumswohnungen lagen im hochpreisigen Segment.

• Die Quadratmeterpreise zum Kauf bei privaten Bauträgern stiegen auf 4550 € im Schnitt.

• Die Kaufpreise steigen weiter (aktuell 5500 bis 6000 €/qm)

• Bedarfs- und Zielgruppen gerecht bauten im Untersuchungszeitraum fast ausschließlich (77%) die Wobak und Genossenschaften.

• Der Flächen- und Naturverbrauch durch Versiegelung stieg an.

• Der Flächenverbrauch pro Kopf stieg an.

• Nur 61% der Neubauten werden von KonstanzerInnen bezogen, davon im geförderten Mietwohnraum bis zu 80%, im geförderten Eigentum bis zu 75%, aber nur 50% im frei finanzierten Mietwohnbau). Wie viele Eigentumswohnungen im frei finanzierten Wohnbau Konstanzern zu Gute kamen, sagt die Studie leider nicht aus.

• Nur 54% der freiwerden Wohnungen liegen in Konstanz.

• Für 100 neu gebaute Mietwohnungen werden nur 36 Bestandswohnungen in Konstanz frei.

• Familien profitieren von diesen 36 Wohnungen nur zu 14%. Dies entspricht einer Anzahl von fünf Wohnungen.

• Die Sickereffekte sind für die Zielgruppen zu vernachlässigen.

• Der Sickereffekt wirkt sich insbesondere als Preistreiber für den bestehenden Wohnraum aus.

• Die gewünschte Wirkung auf die Zielgruppe wurde nicht erreicht.

Stellungnahme der Umweltverbände BUND und NABU Konstanz

Das Handlungsprogramm Wohnen kann in seiner jetzigen Form als gescheitert angesehen werden. Die Naturschutzverbände BUND und NABU Konstanz fühlen sich daher in ihrer Bewertung des Handlungsprogramms Wohnen von 2014 bestätigt: Primäres Ziel des Handlungsprogramms Wohnen war: „dass Konstanz attraktiv und lebenswert für alle Bevölkerungsschichten und Familien bleibt. In den Stadtteilen sollen ausgewogene Bevölkerungsstrukturen erhalten und geschaffen werden.“ Die vorliegenden Studien belegen, dass dieses Ziel weitgehend verfehlt wurde, da sowohl der rasante Preisanstieg weiter forciert wurde, als auch die zur Verfügung stehenden, potentiellen Bauflächen durch den fortschreitenden Flächenverbrauch kontinuierlich minimiert wurden. Durch die Flächeninanspruchnahme nimmt die Attraktivität und der Lebenswert der Stadt Konstanz für die gewachsene Bevölkerung ab.

Jeglicher privat finanzierter Wohnbau im hochpreisigen Segment hat zu einer sozialen Entmischung beigetragen, anstatt sie zu mildern. Wir fordern daher den Gemeinderat und die Stadtverwaltung auf, nun die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Ein ‚Hurra, wir machen weiter so‘ ist gänzlich unangebracht angesichts der verfehlten Wirkung des HPW.

Die Naturschutzverbände wiederholen ihre Vorschläge an die Stadt:

• Reduzierung des exzessiven Flächen- und Naturverbrauchs

• Erstellung einer Wohnbedarfsanalyse ausschließlich für die Zielgruppen (notwendiger Ausbaukorridor)

• Ausschließlich Zielgruppen orientiertes Bauen

• Stärkere Beteiligung der Wobak und Genossenschaften sowie Baugruppen aus Konstanzer Familien

• Umsetzung des Projekts Zukunftsstadt in allen neuen Baugebieten

• Innen- vor Außenentwicklung (Siemensareal)

• Nachverdichtung mit Augenmaß

• Entwicklung eines verbindlichen Grün-und Freiflächenkonzepts

• Klimakonzept in der Stadtentwicklung berücksichtigen (Freiluftschneisen, Baumschutzsatzung)

• Verkehrskonzept (Anbindung neuer Baugebiete an den ÖPNV)

Ausführliche Datenanalyse der Empirica und GEWOS Studien

Wenn die Stadtverwaltung in Ihrer Zusammenfassung für den TUA am 10.10.2017 von einer „Wohnbedarfsprognose“ von Empirica spricht, so ist dies falsch ausgedrückt. Selbst Empirica stellt fest: Es ist eine Potentialanalyse, die die maximale Obergrenze der Bebauung darstellt, die auf den von der Stadt vorgegebenen Flächen erstellt werden kann. Es ist Sache der Politik, den tatsächlichen Bedarf für die Zielgruppen mittels einer Studie festzustellen und den Zuzug durch entsprechende Angebote bedarfsgerecht zu steuern. Diese Studie wäre sozusagen die Flächen schonende, minimale Ausbauvariante, die auch von den Naturschutzverbänden mitgetragen werden könnte. (http://www.bund-konstanz.de/themen/stadtentwicklung/stellungnahmen- 2014/handlungsprogramm-wohnen/)

Das Ziel des Handlungsprogramms Wohnen (HPW), die Mietpreise auf einem für Familien und Normalverdiener verträglichem Maß zu halten, wurde verfehlt. Im Gegenteil: Die teuren Mieten im Neubau ziehen den Mietpreis der Bestandsmieten im freien Wohnungsmarkt deutlich nach oben. Neubau ist nicht die Lösung, sondern Teil des Problems. Nur städtische Bauträger und Genossenschaften schaffen in Konstanz bezahlbaren Wohnraum. Die Wirkung der erhofften Sickereffekte auf die Zielgruppe Familien ist sehr gering. Profiteure der Sickereffekte sind vor allem gut verdienende Singlehaushalte (hier vor allem Rentner) und Studenten WGs. Umso wichtiger ist es, Familien über den preisgebundenen Wohnbau (Wobak) vermehrt entsprechende Angebote zu machen.

Die Preisspirale dreht sich weiter. Im HPW wurden 2014 Preissegmente zugrunde gelegt, die schon damals reinem Wunschdenken entsprachen. Diese Tradition wird fortgesetzt! Die neuen Empfehlungen von Empirica für die Stadt gehen von einer Preisstruktur aus, die sich in den Marktpreisen nicht abbilden lassen. Bereits die Herstellungskosten liegen über den vorgeschlagenen Verkaufspreisen für das untere Segment. Alle im HPW gebauten Eigenheime und 96% der Eigentumswohnungen lagen im oberen Segment und der Preis wird weiter steigen. Das Bauträgergeschäft dient insofern nicht den anvisierten Zielgruppen. Es fördert den Preisanstieg und versiegelt zusätzlich wertvolle Naturflächen. Durch den Neubau wurde nicht nur in absoluten Zahlen mehr Fläche versiegelt, sondern auch die Fläche pro Kopf nahm zu. Hier hat auch der Wahlspruch „Smart wachsen! Qualität statt Quadratmeter!“ vollkommen versagt.

Die Bundesregierung und die Landesregierung haben dem Flächenverbrauch, anders als in Konstanz, den Kampf angesagt. Auch in Konstanz ist eine Minimierung der Flächeninanspruchnahme möglich. Dazu müssen alternative Wohnkonzepte gefunden werden, die in allen Neubauvorhaben, die die Stadt genehmigt, umgesetzt werden müssen. Außerdem sollte das Bauträgergeschäft zugunsten des städtischen und genossenschaftlichen Wohnbaus zurück gedrängt werden. Denn nur öffentliche Bauträger, Genossenschaften und Baugruppen erfüllen die Zielvorgaben des Handlungsprogramms Wohnen. Dadurch kann der Umfang der Baumaßnahmen um 2/3 reduziert werden und so wertvolle Natur geschont werden.

1. Empirica-Studie

Die neue „Wohnbedarfsprognose 2035 für die Stadt Konstanz – Endbericht Quantitäten und Qualitäten“ der Firma Empirica AG liegt vor. Sie soll den Korridor der Bautätigkeit in den kommenden 20 Jahren in Konstanz bestimmen. Vorgabe der Stadtverwaltung für die Studie war: „Das Boot ist nicht voll! Die Zukunft von Konstanz ist mehr als studentisch, alt und reich! Konstanz will familienfreundlich sein!“ Unter diesen Vorgaben hat Empirica keine Bedarfsprognose, sondern eine POTENZIAL-Prognose erstellt, die darauf basiert, wieviel Bauland Konstanz zur Verfügung stellen kann und will, bzw. wie viel Wohnraum maximal gebaut und verkauft werden kann. Wie Empirica selbst feststellt, ist dieser Ausbaukorridor die maximale Obergrenze.

Bereits die Empirica-Studie von 2013 bildete nicht den tatsächlichen Bedarf ab, sondern die potentielle Nachfrage. Salopp gesagt: „Was lässt sich in Konstanz am besten vermarkten.“ Eine Bedarfsanalyse „Welche Wohnungen für welche Zielgruppen werden tatsächlich benötigt?“ steht noch aus. Diese Studie wäre sozusagen die Flächen schonende, minimale Ausbauvariante, die auch von den Naturschutzverbänden mitgetragen werden könnte (siehe Stellungnahme http://www.bund-konstanz.de/themen/stadtentwicklung/stellungnahmen- 2014/handlungsprogramm-wohnen/)

Fazit Empirica Studie: Wenn die Stadtverwaltung in Ihrer Zusammenfassung von einer Wohnbedarfsprognose spricht, so ist dies (bewusst?) falsch ausgedrückt. Selbst Empirica stellt fest: Es ist eine Potentialanalyse. Es ist Sache der Politik, den tatsächlichen Bedarf (minimales Ausbauziel) für die bedürftigen Zielgruppen mittels einer Studie festzustellen und den Zuzug durch entsprechende Angebote bedarfsgerecht zu steuern.

2. Bewertung des Handlungsprogramms Wohnen (HPW) 2014

Zur Bewertung des HPW muss man die Wunschvorstellungen/Vorgaben mit den tatsächlichen Entwicklungen vergleichen:

2.1. Mietwohnungsbau

2.1.1. Preisgebundener Mietwohnbau

Die preisgebundenen Wohnungen wurden in der ersten Untersuchungsperiode überwiegend (77%) durch die Wobak und den Spar- und Bauverein Konstanz (SBK) erstellt. Das Engagement dieser Bauträger ist ausdrücklich positiv zu bewerten und sollte künftig massiv verstärkt werden. Obwohl der preisgebundene Wohnbau fast ausschließlich Konstanzer Familien zugute kam, stieg die Warteliste bei der Wobak im gleichen Zeitraum um 700 Haushalte. Dies signalisiert den enormen Nachholbedarf in diesem Sektor.

Investitionen von privaten Investoren in diesem Bereich sucht man vergeblich, da eine aus ihrer Sicht zu geringe Rendite zu erwarten ist und auch die Erwartung in weiter steigende Preise gedämpft ist, die einen Gewinn beim Verkauf nach Auslaufen der Mietpreisbindung erwarten lassen würde. Vorgaben der Stadt aus dem Handlungsprogramm Wohnen, einen 10% Anteil im preisgedämpften und 20% im geförderten Wohnbau zu realisieren, führte laut Empirica lediglich dazu, dass die frei finanzierten Wohnungen noch teurer wurden, da die preisgebundenen Wohnungen nur schwer- oder unverkäuflich sind (z.B. Familienwohnungen in Dettingen oder Fürstenbergstr.) Diese Vorgaben des Handlungsprogramms Wohnen laufen den eigenen Zielen zuwider, Wohnbau für Familien und das mittlere Segment zu stärken. Die Mietpreise bei der Wobak liegen in den Neubauten (z.B. Zähringer Hof) zwischen 6,60 €/qm und 8,50 €/qm, was nur möglich ist, wegen der aktuellen Niedrigzinsphase. Der SBK vermietete seine Neubauwohnungen für 9 €/qm bis 9,50 €/qm. Damit liegen die Neubauwohnungen auch im geförderten Segment natürlich deutlich über den Bestandswohnungen (ab 4,50 €/qm bei der Wobak), was den teuren Herstellungskosten (in innerstädtischen Lagen laut Deutschem Baugewerbe bis 3000 €/qm https://www.zdb.de/zdb-cms.nsf/id/kosten-fuer-denroh-und-ausbau-eines-typisierten-mehrfamilienhausbaus-de ) geschuldet ist. Der durchschnittliche Mietpreis preisgedämpfter Wohnungen von privaten Vermietern lag bei 11 €/qm.

2.1.2. Freier Mietwohnungsmarkt

Die Mietpreise der privaten Anbieter sind in den letzten fünf Jahren auf einen Medianpreis von 13 €/qm gestiegen. Der mittlere Preis beträgt 11,50 €/qm. Es gibt kaum Angebote im mittleren Preissegment zwischen 9,50 €/qm und 10,50 €/qm. Wobei dieses laut Definition des mittleren Segments laut HPW für Konstanz eher dem preisgedämpften Segment mit 9 bis 9,50 €/qm entspricht.

Dies bedeutet, Haushalte mit Wohnberechtigungsschein müssen mit Mietpreisen zwischen 6,60 €/qm und 9,50 €/qm rechnen, Haushalte ohne Wohnberechtigungsschein müssen mit Mieten zwischen 11,50 und 13 €/qm im Mittel rechnen – nach oben offen.

Folgende Aussagen finden sich in der GEWOS Studie zu den Qualitätssegmenten:

• 17% der Neubauwohnungen haben eine einfache Ausstattung, 53% eine mittlere und 30% eine gehobene, was ungefähr den anvisierten Anteilen im HPW entspricht.

Folgende Aussagen finden sich in der GEWOS Studie zu den Preissegmenten:

• 58% der neu errichteten Mietwohnungen wurden im obersten Preissegment vermietet

• Die unteren 28% im preisgebundenen Wohnbau wurden fast ausschließlich von der Wobak und dem SBK errichtet (77%)

• Es gibt nur ein unzureichendes Angebot im mittleren Segment

Also nur 30% der Wohnungen haben eine gehobene Ausstattung, werden aber zu 58 Prozent im oberen Segment vermietet. Das bedeutet, dass 28% der Mieter in überteuerten Wohnungen wohnen. Gleichzeitig profitieren 11% der Sozialmieter von einer besseren Ausstattung im geförderten Wohnbau, dank der Wobak.

Fazit: Das Ziel des Handlungsprogramm Wohnens, die Mietpreise auf einem für Familien und Normalverdiener verträglichem Maß zu halten, ist verfehlt. Im Gegenteil: Die teuren Mieten im Neubau ziehen den Mietpreis der Bestandsmieten im freien Wohnungsmarkt deutlich nach oben (11,50 €/qm). Er unterscheidet sich inzwischen nicht mehr von dem im Neubau (siehe GEWOS Studie Wiedervermietung freiwerdender Wohnungen).

Der Neubau ist also nicht Bremser der Mietpreisentwicklung, sondern er zieht den gesamten Mietspiegel im Niveau nach oben. Neubau ist nicht die Lösung des Problems, sondern in dieser Form Mitverursacher.

Nur städtische Bauträger und Genossenschaften schaffen in Konstanz bezahlbaren Wohnraum für Konstanzer Familien und Normalverdiener.

2.1.3 Preissegmente Neubau Eigentum (GEWOS Studie):

• Alle Eigenheime und 96% der Eigentumswohnungen liegen im oberen Preissegment

• Der Durchschnittspreis für Eigentumswohnungen lag in den vergangenen Jahren bei 4550 €/qm

• Die Vorgaben des HPW 2014 (2300 – 2700 €/qm unteres Segment; 2700 – 3200 €/qm mittleres Segment) wurden deutlich überschritten

Trotzdem werden von Empirica erneut Preissegmente vorgeschlagen, die schon heute nicht mehr existieren: Unteres Segment 2500 – 2700 €/qm; mittleres Segment 4000 €/qm und oberes Segment ab 5000 €/qm. Bereits die Herstellungskosten liegen laut Baugewerbe bei ca. 3000 €/qm, wegen der Grundstückspreise und der Vollauslastung der Baugeschäfte durch den durch das HPW angeheizten Markt. Die Probleme sind also zum Teil hausgemacht.

Tatsächlich werden von privaten Bauträgern inzwischen flächendeckend Preise für Eigentumswohnungen von 5500 €/qm genommen, zzgl. Makler, Notar und Grunderwerbssteuer stehen dann mehr als 6000 €/qm zu Buche plus 25000 € für einen Tiefgaragenplatz. Sie sind für die meisten Familien und normale Verdiener absolut unerschwinglich. Trotzdem werden diese Preise in Konstanz von Investoren gezahlt. 50% der Neubaubezieher kamen nicht aus Konstanz.

Fazit: Im HPW wurden 2014 Preise in den einzelnen Segmenten zugrunde gelegt, die schon damals reinem Wunschdenken entsprachen. Diese Tradition wird fortgesetzt! Die neuen Empfehlungen von Empirica für die Stadt gehen von einer Preisstruktur aus, die sich in den Marktpreisen überhaupt nicht abbilden lassen.

Das Bauträgergeschäft dient nicht den im HPW anvisierten Zielgruppen. Es fördert den Preisanstieg und versiegelt wertvolle zusätzliche Naturflächen.

3. GEWOS Studie zu den Sickereffekten

Offensichtlich wurde in den Vorgaben der Stadtverwaltung an GEWOS der Ausbaukorridor 7900 Wohnungen aus der Potentialanalyse von Empirica als Vorgabe für die Schlussfolgerungen angesetzt (vgl. Punkt 1.2. der GEWOS Analyse). Das heißt, dass das Ergebnis der Debatte über die Größe des Ausbaukorridors bereits als Voraussetzung vorgegeben war (ebenso wie bei Empirica) – eine selbsterfüllende Prophezeiung.

Von 2050 befragten Haushalten, die in Neubauten gezogen waren, antworteten 362, also nur 17,6%, was GEWOS als Datengrundlage genügte. Für die Untersuchung der Sickereffekte gab man sich mit gerade 56 verwertbaren Antworten (2,7%) zufrieden. Ob dieser Stichprobenumfang ausreicht, um eine gesicherte statistische Auswertung zu machen, ist fraglich. Trotzdem finden sich folgende Aussagen zur Wirkung der Sickereffekte:

• Gesichert kann gesagt werden, dass freiwerdende Wohnungen in Konstanz wieder bezogen werden und Umzugsketten angestoßen werden, was zu erwarten war.

• Die Miete der Nachfolgehaushalte liegt mit 11,50 €/qm jedoch ähnlich hoch oder sogar geringfügig höher als die der Neubauhaushalte.

• Nur 82% der Eigentumswohnungen und 76% der alten Mietwohnungen werden tatsächlich freigezogen, aber nicht alle in Konstanz. „Deshalb ziehen 100 Mieterhaushalte im Neubau nur 36 Bestandswohnungen in Konstanz frei, Eigenheimbezieher dagegen 73 Wohnungen.“, so die GEWOS-Studie. Familien profitieren von diesen Wohnungen nur zu 14%. Dies entspricht einer Anzahl von fünf Mietwohnungen.

• Die Sickereffekte beziehen sich zu 90% auf vermietete Wohnungen. Nur 10% der freiwerdenden Wohnungen werden im Eigentum genutzt.

• Für 100 qm Neubau werden nur 80 qm im Bestand frei gezogen, der Flächenverbrauch pro Kopf steigt durch die Sickereffekte um 12,5%, statt den Flächenverbrauch zu reduzieren.

• Freiwerdende Wohnungen werden meist von Singlehaushalten, Paaren ohne Kinder und WGs wieder besetzt.

• Sekundäre Sickereffekte werden nur zu 40,2 % in Konstanz wirksam (nur 67% der Wohnungen werden freigezogen, davon 60% in Konstanz). Dies bedeutet, dass sich dieser Effekt für Familien nur zu 5,6% auswirkt und damit zu vernachlässigen ist.

Fazit: Die Wirkung der Sickereffekte auf die Zielgruppe Familien ist sehr gering. Umso wichtiger ist es, Familien über den preisgebundenen Wohnbau über Wobak entsprechende Angebote zu machen.

Der sogenannte „Sickereffekt“ führt nicht wie erhofft dazu, dass günstigere Wohnungen frei werden. Im Gegenteil: Die Studie weist nach, dass dieser „Sickereffekt“ dazu führt, dass auch der vorhandene Wohnraum in höhere Preissegmente „sickert“. Diese „Sickereffekte“ beruhigen den überhitzten Wohnungsmarkt nicht, sondern heizen ihn weiter an.

Profiteure der Sickereffekte sind vor allem gut verdienende Singlehaushalte und Studenten WGs.

Der steigende Flächenverbrauch pro Kopf ist eine von der Bundes- und Landesregierung unerwünschte Tatsache. Hier müssen alternative Wohnkonzepte gefunden werden, die in allen Neubauvorhaben, die die Stadt genehmigt, umgesetzt werden sollten (smart wachsen).

Eberhard Klein (Nabu), Karl-Ulrich Schaible (BUND)