Das Haus ohne Namen
Die Gemeinderatssitzung am Donnerstag sollte ja eigentlich das Rätsel lösen, das die Konstanzerinnen und Konstanzer seit Wochen beinahe so heftig umtreibt wie die Frage, wann es endlich wieder Hörnle-Wetter geben wird: Wie soll unser schönes, neues Kongresshaus denn heißen? Aber – und die Spannung steigt – der Oberbürgermeister vertröstete das Publikum schnöde auf die nächste Sitzung.
Ehe der Gemeinderat in die Tagesordnung einstieg, gab es eine Schweigeminute für die Opfer der Flugzeugkatastrophe, und danach ging für die Lebenden das Leben nach der Tagesordnung weiter. Holger Reile (LLK) beantragte, die für den nichtöffentlichen Teil der Sitzung geplante Debatte über das Pappeldesaster doch öffentlich zu führen, drang damit aber nicht durch. Schade eigentlich, denn das hätte sicher einige spannende Debatten gegeben, und im Publikum saßen genug Pappelallee-Wutbürgerinnen mittleren Alters, die trotz ihrer gutbürgerlichen Kinderstube ausreichend erbost waren, um spontan einen kleinen Lynchmob zum Nachteil des Herrn Langensteiner-Schönborn zu bilden, den nicht einmal sein Doppelname hätte retten können.
Ein Gedicht über den Stadtrat
Statt dessen durfte sich der Gemeinderat einmal den Spiegel vorhalten lassen: Rosemarie Banholzer, die große alte Dame der seealemannischen Mundartdichtung, hat von der Stadt Konstanz zu ihrem 90. Geburtstag die Goldene Ehrennadel für hervorragendes bürgerschaftliches Engagement erhalten und revanchierte sich unter anderem mit der Verlesung eines humoristischen Gedichtes über die Karriere eines Stadtrates, in dem sich so manche Volksvertreter wiederzuerkennen schienen – und wenn sie sich nicht selbst erkannten, so tat es doch zumindest ihr politischer Gegner.
Hanna Binder hört auf
Eine andere große Dame, allerdings eine nicht ganz so alte, verabschiedete sich in dieser Sitzung vom Gemeinderat: Hanna Binder, kompetente SPD-Stadträtin, sieht sich aufgrund der Belastungen durch ihren Job bei der Gewerkschaft ver.di in Stuttgart und durch die Familie der Belastung durch die Gemeinderatsarbeit nicht mehr gewachsen. Schade eigentlich. Ihre Bilanz nach mehr als einem Jahrzehnt im Gemeinderat fiel durchwachsen aus: Neben Fortschritten in den Bereichen Sport, Schulen und Soziales sieht sie auch nach zwölf Jahren Gemeinderatstätigkeit bei anderen Themen wie etwa der Barrierefreiheit am Sternenplatz und in den Bahnhöfen keine Fortschritte. Echtes Unwohlsein überfällt sie im Rückblick (mit allem Recht), wenn sie daran denkt, wie Rat und Verwaltung mit den Beschäftigten umgesprungen sind: Hier sah sie oft soziale Fürsorgepflichten verletzt.
Für Hanna Binder rückt Alfred Reichle nach, der ihren Platz ab April besetzen wird. Immerhin ein echter Mann mit einem eigenen Kopf, wie es scheint, denn er gelobte nicht, wie es Oberbürgermeister Uli Burchardt ihm vorsprach, sich für die Interessen der „Einwohnerinnen und Einwohner“ einzusetzen, sondern machte daraus jene der „Einwohner und Einwohnerinnen“. Mal schauen, welch spannende Ideen der radelnde Polizist sonst noch in den Gemeinderat tragen wird.
Casa sine nomine
Damit das Herzblut auch richtig spritzt, war die Bevölkerung aufgerufen, Namensvorschläge für das neue Veranstaltungshaus im Centrotherm-Gebäude einzureichen, und so kamen denn immerhin schlappe 1.500 potenzielle Namen zusammen. Die Jury, die die Vorauswahl trifft, besteht unter anderem aus Vertretern der Fraktionen und Gruppierungen des Gemeinderates, der IHK, der HTWG und des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes; die Arbeitnehmer, die die Zeche mit ihren Steuergeldern bezahlen sollen, sind wohl nicht eigens vertreten.
Wie dem auch sei, Oberbürgermeister Uli Burchardt, ebenfalls Mitglied der Jury, wollte in der Gemeinderatssitzung am Donnerstag eigentlich die drei Top-Favoriten präsentieren, und dann sollte der Gemeinderat den Gewinner küren und dem Haus einen Namen geben. Man vergesse nicht: Im Anfang schon so manches anderen großen Experimentes mit ungewissem Ausgang war bekanntlich das Wort. Aber die schiere Fülle der Vorschläge ließ die Jury um weitere Bedenkzeit bitten.
Immerhin so viel war den Ausführungen des Oberbürgermeisters zu entnehmen: Bei 1.500 Namensvorschlägen gibt es viele Wiederholungen, und außerdem scheint die Jury bereits einer bestimmten Richtung zuzuneigen, so dass die Namenswahl nicht mehr komplett offen ist. Bei den Favoriten scheint es sich einerseits um Namen zu handeln, die darauf anspielen, dass das Gebäude ziemlich genau am Rheinkilometer 1 liegt, also um zündende Namen wie „Rhein1“, „RKM1“ usw., die an kohlebeladene Binnenschiffe im ölschlierigen Mittellandkanal gemahnen, auf denen die feuchte Wäsche fröhlich in den Abgasen des Schiffsdiesels flattert. Andererseits geht es wohl um Namen, in denen das Wort „Forum“ auftaucht wie „Forum Seerhein“, „Forum am See“ und so weiter, also alles, was nach gepflegter Seniorenresidenz mit Zahnputzservice klingt.
Der Vorschlag des Oberbürgermeisters für das weitere Auswahlverfahren: Kongresshaus-Interims-Geschäftsführer Michel Maugé und eine Agentur sollen für die nächste Gemeinderatssitzung aus jeder Namensgruppe ein bis zwei Vorschläge auswählen und als fertiges Signet vorlegen, über das der kunstsinnige Gemeinderat als Arbiter Elegantiarum, als höchster Richter in Fragen des guten Marketinggeschmacks, dann abstimmen darf.
Auf Nachfrage von Holger Reile (LLK) versicherte der Oberbürgermeister, dass dafür keine zusätzlichen Kosten anfallen werden, das gebe das Budget schon noch her. Außerdem gewähre dieses Verfahren genug Zeit, um zu prüfen, ob der neue Name keine Markenrechte verletzt und auch als Internet Domain noch zu haben ist (offensichtlich hat diese Versammlung hochdotierter Profis daran vorher wohl nicht gedacht). Es wäre schließlich nicht wenig peinlich, würde man das Veranstaltungshaus RKM1 nennen und erst später feststellen, dass es sich dabei um ein Aphrodisiakum für lettische Hängebauchschweine handelt – aber immerhin, Konstanz wäre mal wieder in der Weltpresse.
Einen wie immer brillanten Vorschlag zur Güte machte schließlich Anselm Venedey (FWK): Er wollte einen Namen mit in die Vorauswahl aufnehmen, der einerseits konstanzerisch klingt, andererseits aber auch in der ganzen Welt gut verstanden und ausgesprochen werden kann. Er brachte „Go Na“ ins Gespräch. Aber mit diesem Vorschlag erlitt Venedey nicht nur eine herbe Abstimmungsniederlage, sondern er lag damit auch sachlich gründlich daneben: Bei den freundlichen Asiaten müsste etwa „Go? Na!“ als kategorische und daher beleidigende Ablehnung ihres traditionsreichen Go-Spieles missverstanden werden. Und das wäre der Völkerverständigung wenig zuträglich und könnte dazu führen, dass der chinesische Volkskongress auch in Zukunft wie gehabt in Peking statt wie geplant im Veranstaltungshaus am Seerhein zusammentritt.
O. Pugliese