Das Murren und Gackern der Satten
Die Linke Liste Konstanz (LLK) hat letzte Woche angeregt, das diesjährige Weihnachtsessen für StadträtInnen und MitarbeiterInnen der Verwaltung abzusagen. Stattdessen, so die LLK, solle man die rund 4000 Euro dafür verwenden, Flüchtlingen ein Willkommensfest auszurichten. Aber für soviel Solidarität ist dieser Gemeinderat dann doch nicht zu haben
Die Wellen schlugen hoch bei der Ratssitzung am vergangenen Donnerstag. Vor allem Oberbürgermeister Uli Burchardt geriet außer Fassung und geißelte den LLK-Vorstoß als „populistisch“. Höchst erregt und mit zum Bersten geschwollenen Halsadern wies er darauf hin, dass man es sich unter keinen Umständen, und schon gar nicht von den Linken, nehmen lasse, am Jahresende gemütlich zusammen zu sitzen. Der vermeintlich lockere und smarte Verwaltungschef verliert immer öfter die Kontrolle wie schon im Frühsommer, als er in Richtung LLK bellte, diese hätte ja „grundsätzlich Probleme, demokratische Entscheidungen zu akzeptieren“.
Während des OB-Wahlkampfs vor rund zwei Jahren wurde nichts unversucht gelassen, Burchardt als „unabhängigen“ Kandidaten zu verkaufen. Das war er aber nie und ist er auch jetzt nicht. Der durchsichtige Etikettenschwindel führte dennoch zum Wahlerfolg.
Beistand beim Thema Weihnachtsessen bekam er von seinem CDU-Parteikollegen Andreas Ellegast, der lauthals aus der zweiten Reihe krähte: „PDS, PDS“. Alles, was Ellegast nur ansatzweise den Geruch linken Gedankenguts in die Nase weht, ist für ihn vom Bösen beseelt. Beifällig nickte sein Fraktionschef Roger Tscheulin, der bereits bei einer Debatte Anfang des Jahres erklärt hatte, die LLK sei „dem Unrechtsschoß der SED entkrochen“. Bemerkenswert, wie hartnäckig sich bei halbwegs intelligenten Zeitgenossen tumbe Beissreflexe halten können, denn im Gegensatz zu Tscheulin ist Ellegast ansonsten ein angenehmer Kollege. Aber noch nicht lange ist es her, da kommentierte er einen Beitrag der früheren LLK-Rätin Vera Hemm ähnlich intelligent: „Moskau, Moskau“. Soviel Borniertheit ist bedauernswert und wohl auch nicht mehr behandelbar.
Auf diesem Niveau machte es auch keinen Sinn, den schier hyperventilierenden Konservativen nochmal ausdrücklich zu erklären, dass man ihnen ihren weihnachtlichen Schmaus durchaus gönne, aber es aus aktuellem Anlass geboten sei, das feierliche Jahresende diesmal anders zu gestalten: Als Zeichen unserer so oft beschworenen Willkommenskultur für all diejenigen, die es geschafft haben, nach zum Teil traumatischen Erfahrungen bei uns anzukommen. Für jene, die ihre zerstörten Dörfer und Städte verlassen mussten und nun hoffen, ein Stückchen Leben zu ergattern. Für nicht wenige, die auch in dieser Stadt Tag für Tag fürchten müssen, nachts abgeholt und zurück gebracht zu werden in das Elend, dem sie entflohen sind.
Burchardt hätte punkten können, aber er hat es nicht begriffen. Ihm wären auch aus der Bürgerschaft viele Sympathien zugeflogen, wenn er den LLK-Antrag zumindest in der Sache aufgegriffen hätte. So aber reagierte er völlig unsouverän und auch engstirnig. Dass sogar der Südkurier am Vortag den Vorschlag der Linken Liste als „schöne Idee“ bezeichnet hatte und schrieb: „Eine gute Initiative. Es ist zudem die Chance für die Stadt, Flagge zu zeigen und blumigen Schaufensterreden Taten folgen zu lassen“, brachte das Stadtoberhaupt und seine verkrusteten Parteigänger völlig in Rage.
Zu erwähnen bliebe noch der Vorschlag von Matthias Schäfer vom Jungen Forum Konstanz (JFK). Er regte an, während des Weihnachtsessens, das er keineswegs ausfallen lassen möchte, für Flüchtlinge etwas Geld zu sammeln. Der Neurat, dessen Gruppierung sich nach eigenen Aussagen der „Konsenspolitik“ verschrieben hat, möge die Einladung studieren und sich einen guten Zeitpunkt für seine Sammelaktion aussuchen. Anbieten könnte sich laut Programm der „Apéro auf der oberen Konzilterrasse mit Blick auf Seehafen und Weihnachtsmarkt“. Bei soviel Beschaulichkeit öffnen sich in der Regel sogar die Herzen der Satten und Ignoranten ein wenig. Die einmalige Chance, von deren reich gedeckten Tischen ein paar Krümel abzugreifen, sollte unbedingt genutzt werden. Das schafft zumindest ein gutes Gefühl.
Ansonsten sei allen Beteiligten beim diesjährigen Weihnachtsessen guter Appetit gewünscht.
Autor: H.Reile
Weiterer Text zum Thema:
04.12.2014: Willkommensfest statt Weihnachts-Sause
Ist ja toll Herr Schäfer, was so alles auf ihre Anregung passiert. Hoffentlich kommen wenigstens 300€ zusammen. Sie sollten öfters Fußball schauen, da lernt man was.
So wie es aussieht, soll nun auf meine Anregung, zusammen übrigens mit Christine Finke, Thomas Buck und Stephan Kühnle, eine Spendensammlung für Flüchtlinge bei der Feier initiiert werden.
Also gar nicht so abwegig…
Sagen wir es mal in Fußball-Sprache: der 1. (unkontrollierte) Ball in die richtige Richtung kam von der LLK. Etwas sinnvolles daraus gemacht, haben aber andere. Nun liegt der Ball beim OB. Er ist schließlich der Gastgeber und kann in „seinem“ Programm vollenden.
Viele Grüße
Matthias Schäfer
Die Idee kommt eben aus einer politisch falschen Ecke, ist scheinbar nicht durch christliche Nächstenliebe motiviert.
Dabei ist das Neue Testament durchaus ein Text, der das Teilen betont und den Aspekt der Solidarität mit denen, die in Not sind.
Sich bei der offensichtlich heißbegehrten gemeinderätlichen Weihnachtsfeier unter Leitung eines vorbildlich großzügig gebenden OBs zu freuen und auch zu teilen, scheint mir eine gute Idee!
Den sich engagierenden GemeinderätInnen, von denen es ja einige gibt, sei die Feier von Herzen gegönnt. Denn wer keine Freude hat, kann Anderen auch keine geben!
Der Rock-Sänger Bruce Springsteen lädt zu Weihnachten immer die Armen und Obdachlosen seiner Heimatstadt zum Weihnachtsessen ein und feiert mit ihnen – ja, so was ist wahre Seelengröße.