Das nächste Jubiläumsprojekt steht kurz vor dem Aus
Die Organisatoren für das bevorstehende Konziljubiläum (2014 – 2018) scheinen kein glückliches Händchen zu haben bei ihrer Programmgestaltung. Ein Projekt nach dem anderen wird eingestampft. Nun scheint es auch der geplanten Videoinstallation „Your Eyes on me“, die Konstanz mit seinen fünf Partnerstädten verbinden soll, an den Kragen zu gehen. seemoz hat beim Stuttgarter Datenschutzbeauftragten Jörg Klingbeil nachgefragt. Hier seine Antwort in voller Länge
Sehr geehrter Herr Reile,
für Ihre E-Mail vom 15. April 2013 danke ich. Sie bitten um eine datenschutzrechtliche Einschätzung des anlässlich des Konziljubiläums Konstanz geplanten Videoprojekts „Your Eyes on me“. Wie Ihnen telefonisch bereits am 16. April 2013 mitgeteilt, wurden wir über dieses Projekt von der Stadt Konstanz Anfang April 2013 informiert und um Stellungnahme gebeten.
Unsere Prüfung hat Folgendes ergeben:
Gemäß § 4 Absatz 1 des Landesdatenschutzgesetzes (LDSG) ist eine Verarbeitung personenbezogener Daten nur zulässig, wenn sie von einer Rechtsvorschrift erlaubt wird oder soweit der Betroffene eingewilligt hat. Unter einer Verarbeitung versteht man nach § 3 Absatz 2 LDSG das Erheben, Speichern, Verändern, Übermitteln, Nutzen, Sperren und Löschen personenbezogener Daten. Geplant ist, in Konstanz in insgesamt fünf Schaufenstern für fünf Wochen jeweils eine Videokamera zu installieren und die Bilder des Innenstadtausschnitts vor den Schaufenstern in jeweils eine der fünf Partnerstädte Suzhou (China), Tabor (Tschechien), Richmond (Großbritannien), Fontainebleau (Frankreich) und Lodi (Italien) live und in Lebensgröße auf Videowände in dortigen Schaufenstern zu projizieren. Da Personen, die von den Kameras erfasst würden, ohne Weiteres identifizierbar wären, würden hierdurch personenbezogene Daten erhoben und sowohl in EU-Mitgliedstaaten als auch – im Fall der Partnerstadt Suzhou – außerhalb der EU übermittelt.
Eine gesetzliche Grundlage für diese Datenverarbeitung ist nicht ersichtlich, weshalb eine Einwilligung der von den Kameras erfassten Passanten eingeholt werden müsste. Nach § 4 Absatz 3 LDSG bedarf eine Einwilligung grundsätzlich der Schriftform, soweit nicht wegen besonderer Umstände eine andere Form angemessen ist. Vorliegend wäre die Einholung einer schriftlichen Einwilligung von jedem Passanten der sich in den Erfassungsbereich begibt, selbst wenn er diesen nur schnell durchschreitet, mit einem nicht zu realisierbaren Aufwand verbunden. Für eine schriftliche Einwilligung müsste man das Projekt in einen geschlossenen Raum verlagern, den man nur nach Abgabe eines unterzeichneten Einwilligungsformulars betreten kann. Das Projekt zielt jedoch darauf ab, einen direkten Blick in die Fußgängerzone der Partnerstadt zu ermöglichen und die Passanten zu spontaner Interaktion zu bewegen. Daher halte ich vorliegend vor allem im Hinblick auf die grundrechtlich geschützte Kunstfreiheit besondere Umstände für gegeben, die eine Abweichung von der Schriftform bei Einwilligungserteilung ermöglichen.
Dies ändert nichts an der Tatsache, dass es sich bei einer Einwilligung um eine freiwillige und bewusste Erklärung nach vorheriger Information über die Datenverarbeitung handelt. Daher ist sicherzustellen, dass jeder, der den Erfassungsbereich einer Videokamera betritt, dies in dem Bewusstsein und mit dem Willen tut, dass sein Bild in ein Schaufenster einer der Partnerstädte übertragen wird. In der Projektbeschreibung wurden bereits Maßnahmen vorgeschlagen, welche ich grundsätzlich für geeignet halte, ich habe die Anforderungen jedoch gegenüber der Stadt Konstanz um einige Punkte ergänzt bzw. konkretisiert:
• Eine Vorabinformation über die genannten Kanäle sollte vier bis sechs Wochen vor dem Start des Projekts erfolgen.
• Der Erfassungsbereich sollte durch eine gut sichtbare Kennzeichnung am Boden abgegrenzt werden. Um zu verhindern, dass unaufmerksame Passanten den Bereich zufällig betreten, empfehle ich die Abgrenzung des Bereichs mit Sperrgittern, wie sie z.B. bei Radrennen oder Festumzügen verwendet werden, oder Ähnlichem.
• Zusätzlich sollten sich vor dem Aufnahmebereich schriftliche Hinweise befinden, welche die Passanten über die konkrete Datenverarbeitung informieren. Insbesondere sollte aufgeführt sein, dass es sich um eine Live-Übertragung ohne Aufzeichnung handelt und zu welchem Zweck die Verarbeitung erfolgt. Darüber hinaus ist der Betroffene nach § 4 Absatz 2 Satz 2 LDSG über den Empfänger der Daten zu unterrichten, das heißt, es müsste individuell für jede Kamera die Partnerstadt genannt werden, in die übertragen wird. Hierdurch erhält der Passant die Möglichkeit seine Entscheidung, den Erfassungsbereich zu betreten, auch von dem Land abhängig zu machen, in das sein Bild übermittelt wird.
• Der Kameraausschnitt sollte so ausgewählt werden, dass er ohne unzumutbaren Aufwand umgangen werden kann. Dabei ist außerdem darauf zu achten, dass weder der Eingang des Geschäfts in dessen Schaufenster sich die Kamera befindet, noch weitere Geschäfts- oder Hauseingänge im Erfassungsbereich liegen.
Ich habe die Stadt Konstanz darum gebeten, diese Ausführungen bei der Planung des Projektes zu berücksichtigen und mich über das weitere Vorgehen zu informieren. Insbesondere habe ich für eine abschließende Beurteilung zu gegebener Zeit um Zusendung weiterer Informationen und Dokumentationen gebeten, aus denen die konkret gewählte Umsetzung hervorgeht.
Ich hoffe, diese Informationen waren für Sie hilfreich. Für Rückfragen stehen ich und meine Mitarbeiter gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Jörg Klingbeil
Weiterer Link:
Konziljubiläum: Konstanz grüßt seine Partnerstädte ganz herzlich
Ich kann leider nicht erkennen, dass dieses Projekt damit wirklich eingestampft wird. Die 4 Punkte, die der Datenschutzbeauftragte ausführt, sind ja recht leicht zu erfüllen: Punkt 1 sowieso, für Punkt 4 richtet man die Kamera halt entsprechend aus und für Punkt 3 bringt man ein paar Infotafeln an. Selbst Punkt 2, eigentlich der schwierigste, ist doch leicht zu erfüllen mit dem Aufstellen einige Sperrgitter – Und diese sind ja lediglich eine Empfehlung, hier wäre auch ein farbiges Markierungstape o.ä. scheinbar vorstellbar.
Insofern wird das leider nicht dazu führen, dass dieses unsagbar teure 5-Wochen-Projekt an Konstanz vorbeigeht. Warum man allerdings eine Viertelmillion für etwas rauswerfen will, was nach 5 Wochen vorbei ist und keinerleich nachhaltigen Wert hat, ist mir völlig unklar. Mir ist aber auch unklar, was daran 250.000€ kosten soll, 5 Leinwände akzeptabler Größe kosten mit Sicherheit nicht annähernd so viel Miete.
@Christian: Natürlich stehen einem Datenschutzbeauftragten auch Kontrollfunktionen zu, die er wahrnehmen kann. Darüber hinaus ist dieser zuständig für die Einschätzung der Rechtslage. Sollte mithin ein findiger Bürger auf die Idee kommen zu klagen, so wird der Datenschutzbeauftragte sagen: „Ich hab’s euch doch gesagt…“
Warum haben Sie noch nie einer Überwachung schriftlich zugestimmt? Weil normalerweise Überwachungsmaßnahmen nach § 21 PolG NUR zur Gefahrenabwehr unter scharfen Voraussetzungen (Öffentlichkeit, Erkennbarkeit, materielle Gefahrvoraussetzung) zulässig sind. Die hier angedachte Überwachung entbehrt der Ermächtigungsgrundlage, ist also nicht geeignet, einen gerechtfertigten Grundrechtseingriff darzustellen. Dieses ‚Dilemma‘ kann nur durch Einwilligung gelöst werden – diese hat schriftlich zu erfolgen.
@Dennis Riehle: Nicht du wirst Künstler, die Videoinstallation ist Kunst – und darüber kann man bekanntlich trefflich streiten. BVerfG zu Kunst: Jede Darstellung, die mehr als eine Interpretationsmöglichkeit zulässt, mithin mehrere Formen des Sinngehalts erkennen lässt. (Offener Kunstbegriff)
Gruß
Simon Pschorr
Glauben die KNer KK14/18-Verantwortlichen ernsthaft daran, dass die Zensur-Chinesen einer Live-Übertragung zustimmen würden?
Eine Privatsphäre mit Datenschutz – wo gibt es denn so was?
Wer schon mal in einer Internet-Tauschbörse illegal Musiktitel- sei es auch nur in Radioqualität – gedownloaded hat, wird bald merken, wie effizient die Vorratsspeicherung funktioniert. Die Abmahnwelle wütet dann gnadenlos.
Und wer unumwunden Kritik am Rechtsstaat übt, muss sich nicht mehr wundern, wenn bei der nächsten USA Reise der Einreise-Check etwas länger dauert.
Also hilft nur das solidarische Bekenntnis – ich bin linksextrem – verhaftet mich nicht, denn wir sind die 99 Prozent.
Den Peilsender in der Hosentasche – dein Smartphone – solltest du auch nicht vergessen – in der XYZ Cloud – mobilen Wolke – werden die arglosen Leute so oder so geschröpft.
Deshalb können sich die meisten eh getrost vor einer Kamera aufbauen und sagen wir sind doch allemal ganz kleine Würstchen und lieben einen gewissen subversiven Narzissmus.
Ich werde also zum Künstler, wenn ich vor einem Konstanzer Schaufenster stehe und zur Interaktion aufgefordert werde – und verliere damit mein Anrecht darauf, schriftlich in die Verwendung und Weitergabe von Bildern meiner Person nach Übersee einwilligen zu müssen. Eine interessante Interpretation unseres Grundgesetzes!
Selten so gelacht.
Ein Datenschutzbeauftragter kann leider nur bellen, und das scheint er zu genießen. Sehr weltfremde Vorstellung, die er von sich gibt. Hehre Ziele, aber fast ohne Aussicht auf Erfolg.
Ich kann mich nicht daran erinnern, daß ich irgendwo jemals schriftlich einer Überwachung zugestimmt habe, oder daß ich schon mal irgendwo Erfassungsbereichsmarkierungen gesehen hätte bei vorhandenen Kameras. Und wo war er da?