Das Polittheater geht diese Woche in die 2. Runde

Was wollen die Theaterleute in Konstanz? Jetzt und in Zukunft? Wie gehen sie mit dem aktuellen Konflikt um? Antworten versuchten sie in einer nachdenklichen, streckenweise aber auch hitzigen Diskussion am letzten Freitag in der überfüllten Spiegelhalle: Drei Stunden lang Analyse und Aufklärung, dazu noch Adorno – vor allem aber Fragen nach dem Sinn von Theater und Macht und Politik.

Christoph Nix, der Intendant, um den alles geht, wollte sich zurückhalten, wollte nur aus Thaddäus Trolls „Wie werde ich Intendant?“ lesen, äußerte sich dann aber doch zur Diskussion um seine Vertragsverlängerung: Ja, er könne mit dem Kompromiss einer nur hälftigen Verlängerung leben; ja, soviel Wertschätzung wie in den letzten Tagen habe er in seinem Berufsleben noch nie erlebt; nein, manche Kritik in der Presse sei unfair (wobei er seemoz ausdrücklich ausnahm) gewesen und ja, die beiden Großprojekte 2019 und 2020 ließen sich jetzt wohl stemmen, vorausgesetzt, der Gemeinderat stimme am Donnerstag zu.

Denn das Polittheater geht diese Woche in die 2. Runde, wenn der Gemeinderat am Donnerstag erneut in nicht-öffentlicher Sitzung über den Kompromiss zur Vertragsverlängerung des Intendanten berät und in öffentlicher Sitzung über die Theatertage in Konstanz informiert.

Petition läuft weiter

Zuvor hatten sich zahlreiche Nix-Unterstützer zu Wort gemeldet: Petitions-Initiator Stefan Postius warb für weitere Unterschriften (Stand 18.2.: 1365) noch bis Ende Februar, Ensemble-Sprecher Georg Melich berichtete vom Arbeitsalltag in der „Knochenmühle Theater“ und vom Ensemble-Netzwerk, das sich deutschlandweit für Verbesserungen bei Bezahlung und Arbeitsbedingungen einsetzt, Daniel Morgenroth, Referent der Intendanz, schilderte nochmals die Verwerfungen der vergangenen Wochen und beteuerte, dass die Solidarität der Theater-Mitarbeiter mit ihrem Chef nicht ferngesteuert war, Renate Schwalb, stellvertretende Sprecherin der „Theaterfreunde“, verlas ein Solidaritätsschreiben und Dramaturg Daniel Grünauer dachte in seinem Referat „Adorno, Kulturindustrie und Konstanz“ über das Politische am Konstanzer Theater nach – derart eindrucksvoll, dass wir am Ende diesen Redetext im Wortlaut dokumentieren.

Und drei Stunden lang diskutierte das Publikum leidenschaftlich mit. Holger Reile (LLK), einer von vier anwesenden Stadträten, kritisierte die nicht-öffentliche Parlamentsdiskussion, bezeichnete die geheime Abstimmung als „feige“ und ihr Zustandekommen als „nicht rechtens“. Peter Müller-Neff (FGL) fühlte sich angesprochen und beteuerte, er könne seine Position nicht verdeutlichen, weil es sich ja „um eine nicht-öffentliche Sitzung“ gehandelt habe. Dem widersprach indirekt Marcus Nabholz (CDU), als er bekannte, gegen eine Verlängerung gestimmt zu haben, denn das „sei bei Vertragsverhandlungen eine ganz normale Sache.“

Aus dem Publikum, das sich ohne Ausnahme auf die Seite von Christoph Nix schlug, wurde vor allem Müller-Neff hart für seine „undurchsichtige Haltung“ kritisiert, bemängelt wurde das „Fehlen der Bürgermeister“ (Pressesprecher Walter Rügert, der als einziger die Fahne der Stadtverwaltung hochhalten musste, verteidigte seine Chefs „mit auswärtigen Terminen“ und brach eine Lanze für die „Diskussionskultur im Gemeinderat“) und bedauert wurde, „dass bei aller Diskussion der Konflikt bleibt: Die Mehrheit des Gemeinderates will kein politisches Theater“.

Fazit: Die große Mehrheit der Veranstaltungsteilnehmer war enttäuscht über die mangelnde Dialog-Bereitschaft der Politiker, vermisste einen wahren Diskurs („wo bleibt eine sachliche Begründung für die Ablehnung von Nix?“) oder, wie es ein Redner formulierte: „Aus den Fehlern des Konzils hat man ja auch schon nix gelernt.“

hpk (Fotos: Wolfram Mikuteit, hpk)

Adorno, Kulturindustrie und Konstanz

Fünf Thesen zur Theaterdebatte von Daniel Grünauer, Dramaturg am Theater Konstanz. Vorgetragen im Rahmen von Theater Macht Politik – Ein Dialog. Ein offenes Forum am 16.2.in der Spiegelhalle des Theaters Konstanz.

„Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe KollegInnen, liebe FreundInnen des Theaters, liebe politischen VertreterInnen, ich möchte den kleinen Versuch wagen, die zurückliegenden Vorgänge und Debatten um das Theater Konstanz anhand von fünf Aussagen des Philosophen und Soziologen Theodor W. Adorno zu beleuchten.

Es möge mir „Teddy“ Adorno, einer der großen Vertreter der Kritischen Theorie (auch bekannt als Frankfurter Schule) verzeihen, dass ich Ihn hierfür missbrauche, kann ich doch Ihm und seinen Schriften in keiner Weise – vor allem nicht in fünf Minuten – gerecht werden.

Lassen Sie mich vorab dazu einen zentralen Begriff klären: den der Kulturindustrie.

In der Sammlung „Dialektik der Aufklärung“ (verfasst von Horkheimer und Adorno 1944) prägt Adorno in einem eigenen Aufsatz den Begriff Kulturindustrie und ersetzt damit den Begriff der Massenkultur. Massenkultur impliziert für ihn, dass Massen selbst Kultur (also auch Theater) gestalten. Da er aber davon ausgeht, dass die Massenkultur von 0ben gestaltet und gesteuert wird, wählt er den Begriff der Kulturindustrie. Den Begriff der Industrie bezieht er auf die standardisierten Inhalte, nicht aber auf die Art der Produktion.

Adorno sagt in Minima Moralia:

1) „Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.“

Welche Macht ist damit gemeint? Wer hat diese inne? Was macht uns ohnmächtig, ob der kulturpolitischen Vorgänge (in Konstanz)? Wie können wir der Lösung dieser übermächtigen Aufgabe näher kommen? Ich glaube, indem wir uns für etwas einsetzen, uns stark machen, uns einmischen. Wir dürfen als Rezipienten nicht Objekte der Kulturindustrie werden. Die Kunst darf nicht zur reinen Ware verkommen, die man sich wünscht und einfach so bestellt. Ich bin guter Dinge, was das in Konstanz betrifft. Die Zuschauerzahlen zeigen: Theater kann widersprüchlich, unbequem, ein Störenfried sein und dennoch strömen die Menschen ins Theater. Oder vielmehr deswegen?

Dazu ein zweites Adorno-Zitat, auch aus Minima Moralia:

2) „Aufgabe von Kunst heute ist es, Chaos in die Ordnung zu bringen.“

Das scheint in den letzten Tagen und Wochen gelungen. Die Kunst darf weder ihre Ernsthaftigkeit noch ihr rebellisches Potential verlieren. Denn, so Adorno, die Kunst bzw. das Theater sind nicht dazu da, um die herrschende Ordnung aufrecht zu erhalten. Fallen wir also nicht auf Scheinlösungen herein, die wiederum dazu dienen die Menschen zur Akzeptanz der gegebenen Ordnung zu bewegen und den Autoritäten zu gehorchen. Anstelle des Bewusstseins darf nicht die Anpassung treten.

Adorno sagt außerdem:

3) „Kunst ist das Versprechen des Glücks, das gebrochen wird.“

Ich las und hörte in den letzten Tagen und Wochen viele Aussagen wie: „Ja, die Theatertage, sie waren doch schon so gut wie versprochen. Man muss zuverlässig sein. Konstanz, die Politik, die BürgerInnen wollen sie. Da darf man doch nicht absagen. Denken Sie an das Image der Stadt.“ Warum nicht? Das Theater ist viel mehr als eine städtische Verwaltungsabteilung. Weder die Absage, noch sachliche Kritik, sind ein schlechtes Signal nach außen. Im Gegenteil: Das Fehlen eines Diskursklimas wäre fatal. Kritik ist gut. Nicht aber eine Kritik, die ausschließlich dazu dient, die herrschende Ordnung der beschriebenen Kulturindustrie zu erhalten. Wir sollten vorsichtig sein, wenn seitens der Politik Qualität oder der Wahrheitsgehalt der Inhalte als Argumente nicht mehr wichtig sind. Genau dahin gehend lauteten viele Statements der Fraktionen. Die Theaterarbeit des Intendanten ist sehr gut, aber…

Im Geiste Adornos gilt also vielmehr:

Inhalt vor Event – kritische Auseinandersetzung vor Prestige.

Eben den Effekt eines solchen Vorgehens, wenn also beispielsweise ein einzelnes Theaterfestival wichtiger als gute Theaterarbeit (über Jahre) wird, bezeichnet Adorno als Anti-Aufklärung. Keine und keiner kann diesen Rückschritt wollen. Deswegen gilt es, Denken zu lernen, Denken zu üben, Denken zu praktizieren, Diskurse anzustoßen. Dabei hilft Theater, wenn es relevant ist.

Denn, so Adorno:

4) „Wer denkt, ist nicht wütend.“

Erst wenn die Masse selbstdenkend ist und wir als Individuen selbst entscheiden, können wir Freiheit erreichen. Nur ein aufgeklärter Mensch ist zur Kritik fähig, eben auch und besonders am bestehenden System. Die Kunst birgt enormes kritisches Potential und das ist gut so. Die Welt kritiklos hinzunehmen, ist gefährlich. Theater zu machen, das nicht relevant für die Welt, die Region und die Menschen ist, kommt einer Vereinnahmung durch die Kulturindustrie gleich. Eine beständige Bestätigung der bestehenden Verhältnisse führt zur Fesselung unseres Bewusstseins. Wir laufen der Unmündigkeit entgegen.

Was ist die Lösung? Vielleicht Adornos simpelster und zugleich zentraler Satz aus seiner Schrift Negative Dialektik:

5) „Nur wenn, was ist, sich ändern lässt, ist das, was ist, nicht alles.“

Das, was ist, ist sicher nicht alles. Daher lässt es sich ändern. Manchmal durch Chaos, manchmal kühn denkend, manchmal laut – aber nie durch Schweigen, nie durch jammerndes Hinnehmen, nie durch Wegsehen und verordnete Gleichförmigkeit.“