Das Siemens-Areal geht an ein Privatunternehmen

Der Gemeinderat beschloss gestern erwartungsgemäß, auf das Vorkaufsrecht der Stadt für das bisher von Siemens genutzte Gelände an der Bücklestraße zu verzichten. Damit geht eine der (vorerst) letzten großen stadtnahen Entwicklungsflächen an ein Privatunternehmen. Der Investor präsentierte sich als nachhaltig denkendes Familienunternehmen. Wie viel Einfluss die Stadt aber tatsächlich noch auf die dortige Entwicklung von Wohn- und Gewerbeflächen nehmen kann, bleibt abzuwarten.

Die gestrige Debatte im Gemeinderat bot noch mal Gelegenheit zu einer Aussprache, aber eigentlich waren die Würfel längst gefallen. Die Verwaltung sowie eine überwältigende Mehrheit der Gemeinderätinnen und -räte wollten das Siemens-Areal auf keinen Fall kaufen, um es durch die städtische Wohnungsbaugenossenschaft Wobak entwickeln zu lassen. Die Gründe dafür dürften teils ökonomischer, teils ideologischer Natur sein und manchmal auch praktischen Erwägungen entspringen.

Das Geld

Mit Kaufvertrag vom 16.11.2016 wurden die Einzelgrundstücke („Flurstücke“), aus denen das Gelände rechtlich besteht, und zwar sowohl die Gebäude- als auch die Freiflächen, zu einem Kaufpreis von 28 615 000 € an die Konstanz Invest GmbH veräußert. Dies ist eine Tochterfirma der i+R Wohnbau GmbH mit Hauptsitz in Lauterach im Vorarlberg. Insgesamt geht es um sieben Hektar, also 70 000 Quadratmeter Grundstück. Zum Vergleich: Ein Fußballfeld für Profis hat üblicherweise 7 140 Quadratmeter, es geht hier also um Grundstücke von insgesamt rund zehn Fußballfeldern im Bundesliga-Format.

Das alles ist ein Immobiliengeschäft von privat an privat. Allerdings hat die Stadt auf alle dieser Flächen verschiedene Vorkaufsrechte. Wenn die Stadt diese Vorkaufsrechte nicht bis zum 30.01.2017 ausübt, wird der Kauf der Grundstücke durch i+R gültig, und das Gelände gehört i+R. Will die Stadt ihre Vorkaufsrechte ausüben und das Gelände kaufen, muss sie die erwähnten 28 615 000 € hinblättern.

Die Stadt ihrerseits hatte bereits im Vorfeld mit dem Grundstückseigentümer verhandelt, war aber nicht bereit, mehr als den von ihren Gutachern ermittelten Verkehrswert von 24 Millionen € zu zahlen, und das war dem Besitzer zu wenig. Im Wortlaut der Vorlage: „Auch die Stadt Konstanz stand mit den Verkäufern lange Zeit in Verhandlungen über den Erwerb der Flächen, um dieses städtebaulich sehr interessante Gebiet einer sinnvollen städtebaulichen Entwicklung mit dem Ziel einer Mischnutzung unter Berücksichtigung des Handlungsprogramms Wohnens zuzuführen. Die Stadt hat schlussendlich jedoch von einem Ankauf abgesehen, da die Kaufpreisvorstellungen der Veräußerer und der Stadt zu weit auseinander lagen und der aufgerufene Kaufpreis aus wirtschaftlichen Gründen für die Stadt nicht akzeptabel war.“ Verkäufer und Stadt lagen um 4 615 000 € auseinander.

Das Recht

Offen ist nach Angaben der Verwaltung aber auch, ob die Stadt tatsächlich ein solches Vorkaufsrecht ausüben darf, denn, „gemäß § 27 Abs. 1 BauGB hat der Käufer das Recht, die Ausübung des Vorkaufsrechtes abzuwenden, wenn er in der Lage ist, binnen einer angemessenen Frist das Grundstück entsprechend der baurechtlichen Vorschriften und der städtebaulichen Ziele und Zwecke zu verwenden und er sich hierzu vor Ablauf der Frist zur Ausübung des Vorkaufsrechtes verpflichtet.“ Es gibt eine Absichtserklärung von i+R, in der das Unternehmen genau dies verspricht, deren juristische Bindungswirkung aber durchaus umstritten ist. Rechtlich betrachtet könnte dieses Papier den Hintern nicht wert sein, den man sich damit abwischt.

Der Kapitalist

Der „Investor“ i+R war eingeladen und präsentierte sein Vorhaben, das allerdings noch in den Kinderschuhen steckt. Wer irgendeinen gegelten Raffzahn („Heuschrecke“) erwartet hatte, der in bestem Investoren-Neusprech den heiligen Samariter mimt, wurde bitter enttäuscht. Alexander Stuchly aus der Geschäftsführung von i+R präsentierte dem Gemeinderat eine in der vierten Generation familiengeführte Unternehmensgruppe, die sich seit 1904 aus einer Zimmerei zu einem der zehn größten Bauunternehmen Österreichs entwickelt hat und vor allem in Süddeutschland, der Südwestschweiz und dem Vorarlberg tätig ist.

Er ist sichtlich ein Mann vom Fach, der etwas von der Zusammenarbeit mit öffentlichen Gremien versteht. Seine Referenz sind zahlreiche ähnlich gelagerte Bauprojekte, etliche davon in Nähe des Bodensees. Nach seinen Angaben steht i+R für ein nachhaltiges Bauen, das auch Freiflächen, Carsharing, Alternativenergiegewinnung, Ökologie usw. berücksichtigt, wofür er einige Beispiele anführte. i+R arbeitet nach seinen Angaben massiv mit nachwachsenden Rohstoffen, vor allem Holz. Profit ja, aber nicht um jeden Preis.

Echte Verblüffung erntete Stuchly, als er versicherte, seine Firma verfolge das 15-Minuten-Prinzip. Was ist das? Es werden nur Firmen beauftragt, die im Umkreis von 15 Minuten um das jeweilige Bauprojekt ansässig sind. Will sagen: Wenn i+R einen Auftrag an einem Ort wie Konstanz oder anderswo erhält, findet die Wertschöpfung auch zu mehr als 80 % tatsächlich in jener Region statt. Von außerhalb werden nur Aufzüge etc. angeliefert, was vor Ort nicht zu besorgen ist. Er präsentierte insgesamt ein Konzept hochwertigen Bauens und versicherte, dass er den Vorgaben des Handlungsprogramms Wohnen in Sachen sozialen Wohnungsbaus folgen und ohnehin eng mit der Stadt Konstanz zusammenarbeiten werde. Er lud den Gemeinderat zu einem Ausflug nach Lindau ein, wo sein Unternehmen das Vier-Linden-Areal entwickelt, das ähnlich gelagert sei. Es sieht zumindest derzeit so aus, als hätte es mit der Privatlösung schlimmer kommen können – viel schlimmer.

Die Debatte

Die Debatte verlief ziemlich einseitig. Klaus-Peter Kossmehl (FWK), führender Fliesenhändler vor Ort, schaute versonnen an die Decke, zählte statt Schäfchen Fliesen und hielt dann aus purer emotionaler Ergriffenheit doch leider keine seiner beliebten Brandreden. Michael Fendrich (FDP) ließ demonstrativ das Handy in seiner rechten Hosentasche klingeln. Er hat als Rufton das Pfeifen einer Western-Lokomotive gewählt, und was sagt uns das? Was wir schon immer ahnten: Die FDP steht für den Ellenbogen-Kapitalismus des Wilden Westens, wo es keinen sozialen Wohnungsbau gibt – einzige Ausnahme: Die Loser kriegen eine Holzkiste auf Kosten der Gemeinde als Sarg.
Zurück zur Sache.

Es gab erneut Diskussionen um den Anteil des sozialen Wohnungsbaus, der durch das Handlungsprogramm Wohnen auf 30% festgelegt ist. Die FGL beantragte zehn Prozent mehr und ob man denn nicht mit dem Investor verhandeln könne, das mache dem doch nicht so viel aus (Peter Müller-Neff, FGL).

Diese Diskussionen, damit haben Bürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn, Jürgen Faden (FWK) und Roger Tscheulin (CDU) einfach recht, nerven. Die Verwaltung tut in diesem Punkt, was der Gemeinderat sehr einhellig beschlossen hat. Bürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn kündigte an, noch in diesem Jahr neue Zahlen vorzulegen, dann könne man die Segmentierung des HaPro Wohnen ja per Gemeinderatsbeschuss verändern, aber bis dahin gelte der Gemeinderatsbeschluss, und damit basta. Recht hat er. Wer etwas an den sozialen Vorgaben dieses Handlungsprogramms ändern will, treibe halt den Bürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn per Antrag im Gemeinderat dazu, Zahlen noch vor dem Sommer vorzulegen und das HaPro Wohnen neu auszurichten. VolksvertreterInnen sollen nicht um soziale Veränderungen betteln, sondern solche gefälligst knallhart beantragen und politisch durchzusetzen versuchen.

Die Entscheidung

Verwaltung und i+R gehen Arm in Arm. Natürlich kann i+R auf diesem Gelände nicht tun, was es will, es wird einen städtebaulichen Vertrag mit einer Rahmenvereinbarung geben und zum Schluss einen Bebauungsplan, der eine Mischnutzung aus etwa 30 % Gewerbe und 70 % Wohnungsbau vorsehen wird, von letzterem 30 Prozent irgendwie sozialer Wohnungsbau. Aber Bürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn sagte es sehr deutlich: „Wo wir Herr im Haus sind, können wir bestimmen, aber hier sind wir nicht Herr im Haus.“

Den Antrag von Holger Reile (LLK), das Gelände zu erwerben, um Herr im Hause zu werden, lehnte die Verwaltung ab: Unsichere Vorkaufsrechte, woher solle man denn plötzlich innerhalb von Tagen 28 Millionen nehmen, und genug Personal für die nötigen Planungsarbeiten habe man auch nicht. Es ist erstaunlich, wie eine Verwaltung, die innerhalb relativ weniger Monate ein Bodenseeforum verwirklichen kann, sich in anderen Angelegenheiten für überfordert erklärt.

Dass die Verwaltung noch vor einigen Monaten 24 Millionen geboten hat, die also offensichtlich vorhanden oder mühelos auf dem Kapitalmarkt zu beschaffen sind, überging KLS. Faktisch hat i+R ja „nur“ 4 615 000 € mehr geboten, und nur um diesen Differenzbetrag ging es letztlich bei der Entscheidung von Verwaltung und Gemeinderat, dieses Gelände nicht zu kaufen. Gerade die SPD gefällt sich momentan übrigens in der Haushaltskatastrophennummer. Bloß keine städtischen Mehrausgaben, auch nicht für sozialen Wohnungsbau. Herbert Weber dürften seine GenossInnen so manches Mal den Magen umdrehen, aber er gibt’s nicht zu erkennen.

4,6 Millionen mehr also für die Möglichkeit, per Wobak tausend und mehr Menschen mit bezahlbarem Wohnraum in Stadtnähe zu versorgen. Das scheint nicht die Welt zu sein. Aber woher kommt eigentlich dieser Kaufbetrag? Warum hat keiner der Gemeinderätinnen und -räte den durchaus auskunftsfreudigen Vertreter von i+R gefragt, wieso eigentlich i+R so viel mehr zahlt als die Gutachter der Stadt für angemessen halten? Wieso liegt dieser Betrag, auch das hinterfragten die VolksverteterInnen nicht, laut Vorlage um 19 % über dem Verkehrswert, wo es doch bei 20 % ganz andere rechtliche Möglichkeiten für die Verwaltung gegeben hätte? Wieso hat niemand danach gefragt?

Die Antwort ist einfach: Wer Bürgerliche wählt, kriegt bürgerliche Politik. Und die läuft auf Privatisierung hinaus. Dass das Unternehmen i+R wahrscheinlich keine Heuschrecke ist, ändert nichts daran, dass solche Projekte in öffentliche Hand gehören. Anders ist auf Dauer eine sozial verträgliche Wohnungspolitik nicht möglich.

Ergebnis übrigens: 1 Nein (LLK: Holger Reile, Anke Schwede fehlte krankheitsbedingt), 0 Enthaltungen, 36 Ja.

O. Pugliese