Dem Drahtesel die Sporen geben

Sprechen wir ausnahmsweise einmal von etwas Spannenderem als Viren – nämlich vom Radfahren. In den letzten Jahren wurde an der Fahrradinfrastruktur einiges getan (man denke nur an die vieldiskutierte Fahrradstraße in Petershausen), aber es bleibt noch viel mehr zu tun, und zu den im Handlungsprogramm Radverkehr erfassten Aufgaben kommen ständig weitere hinzu. Gregor Gaffga, der Fahrradbeauftragte der Stadt Konstanz, legte jetzt seine Bilanz für 2020 sowie einen Ausblick auf die nächste Zeit vor.

Natürlich erwarten die Radelnden von der oft beschworenen Verkehrswende nicht nur eine Politik der kleinen Schritte, sondern substanzielle Verbesserungen, vor allem weitere Fahrradstraßen und ausreichend breite Radwege an den neuralgischen Stellen des Stadtgebietes, an denen sie sich auf ihrem Drahtesel unsicher oder gar regelrecht bedroht fühlen. Und wenn sie träumen, träumen sie von einer weitgehend autofreien Innenstadt mit der Hälfte von Laube, Bodan- und Konzilstraße als Radwegen.

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Im Alltag hingegen wird immer wieder nur allzu deutlich, dass das Fahrrad gegenüber dem motorisierten Verkehr bei der Verteilung der Verkehrsflächen viel zu kurz kommt – wer die Infrastruktur mancher niederländischen Städte kennt oder Bilder aus Kopenhagen betrachtet, kann sich gelegentlich einiger Zornestränen kaum erwehren, wenn er sich am Theater oder an der Musikschule auf einem handtuchbreiten Radstreifen an den FußgängerInnen vorbeiquetschen muss.

Aber, dazu braucht man keine hellseherischen Fähigkeiten, der Weg zu einer wirklich fahrradgerechten Stadt ist noch weit, sehr weit sogar.

Viel Farbe

Was also ist im letzten Jahr geschehen? Es wurden nach Angaben der Verwaltung in einigen Straßen Schutzstreifen markiert, etwa „in der Radolfzeller Straße, der Eichhornstraße im Abschnitt Hebelstraße/Büscheläcker sowie im ersten Sanierungsabschnitt der Fürstenbergstraße. Hervorzuheben sind außerdem die weißen Randmarkierungen am Radweg der Geschwister-Scholl-Schule zum Reithof Trab/THW sowie die Ausbesserung des Belags am Geh- und Radweg an der Fernbushaltestelle Döbele. Ende 2020 fanden in der Holzgasse zwischen Allmannsdorf und Egg Asphaltierungsarbeiten am Geh- und Radweg statt“. Auch in der Langenrainer Straße und an der Kreuzung Gottlieber Straße/Schottenstraße wurde markiert, um die Sicherheit zu erhöhen. „In der Bettengasse wurde im Kreuzungsbereich mit dem Hockgraben die Asphaltfläche vergrößert, um ein Sturzrisiko zu minimieren. Außerdem wurden Poller fahrradfreundlich so platziert, dass man auch mit Transporträdern und Fahrradanhängern bequem hindurch fahren kann.“

Das alles klingt natürlich weniger nach beherzten Schritten in Richtung Verkehrswende als nach Reparaturen am vorhandenen System. Die Verwaltung verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass es manchmal „vieler Abstimmungen bedarf, bis die Technischen Betriebe mit dem Eimer Farbe kommen können“.

Manchmal erleichtern solche scheinbaren Kleinigkeiten den Alltag tatsächlich – zum Beispiel ein abgeflachter Bordstein am Arbeitsamt, durch den man/frau sicherer mit dem Fahrrad von der Stromeyersdorfstraße auf den Radweg in Richtung Innenstadt wechseln kann. Außerdem wurden vor allem an Schulen 2020 auch 850 neue Abstellplätze für Fahrräder geschaffen, und das ist kein Pappenstiel. Damit soll es auch weitergehen: „Im Jahr 2021 sollen Fahrradabstellanlagen am Katamaran-Anleger, in der Altstadt und an der Geschwister-Scholl-Schule hinzukommen. Für 2022 und 2023 sind Standorte am Bahnhof Petershausen, an vielen Bushaltestellen im Stadtgebiet sowie im Stadtteil Paradies in Vorbereitung.“ Es steht zu vermuten, dass gerade im Paradies einige Autoparkplätze dem Fahrradparken werden weichen müssen, denn manche Fußwege wie etwa an Teilen der Brauneggerstraße sind wegen der dort stehenden Fahrräder beispielsweise mit einem Kinderwagen kaum noch passierbar. Ach ja, auch wenn wir Einheimischen das auch kaum bemerken, weil wir unsere Wege ja genau kennen – die schmucken neuen Radwegweiser sollen demnächst im gesamten Stadtgebiet montiert sein.

Besser zum Hörnle und zurück

Die Pläne für 2021, die Gregor Gaffga vorstellte, enthalten ein Vorhaben, das für Diskussionen sorgen dürfte, falls wir denn im Sommer das Haus wieder verlassen dürfen, um uns am örtlichen Teutonengrill zusammenzurotten. Die Situation an der Eichhornstraße ist für Radelnde zwischen Stadt und Hörnle ja bisher äußerst lästig und unsicher. Deshalb soll es dort nicht nur Schutzstreifen, sondern eine Einbahnstraßenregelung für den KFZ-Verkehr geben. Mit anderen Worten, manche Autofahrenden müssen in Zukunft auf dem Weg zum Hörnle einen Umweg einlegen, damit Fahrräder und Busse vor allem im Bereich des Waldes ausreichend Platz auf der Fahrbahn bekommen. Es ist abzusehen, dass die Autolobby aufjaulen wird, weil ein Umweg im heiligen Blechle ja mehr Abgase bedeutet und die heißgeliebte Umwelt (die den KFZlern sonst scheint’s herzlich egal ist) schädigt.

Dass die AnwohnerInnen jener Gebiete, in denen es dann mehr Autoverkehr geben könnte, auf die Barrikaden gehen, ist wohl ebenso absehbar, und schon jetzt war ein erstes unterirdisches Grummeln aus der Hermann-von-Vicari-Straße zu vernehmen, durch die in Zukunft die Anfahrt zum Hörnle geschehen könnte. Vielleicht lassen sich die VerkehrsplanerInnen ja etwas einfallen, um möglichst vielen automobilen Mitmenschen den Umstieg auf den Bus zum Hörnle schmackhaft zu machen oder schicken am Wochenende gar ein Wassertaxi in Richtung Badewiese. Wie auch immer, über den Planungsstand soll demnächst in einer Online-Veranstaltung informiert werden.

Schützenstraße wird Fahrradstraße

Als weitere Maßnahmen in diesem Jahr sind die Sanierung der Schützenstraße inklusive Umrüstung zur Fahrradstraße sowie Verbesserungen am Lutherplatz geplant. Außerdem soll es im Weiherhof einen neuen Geh- und Radweg zwischen Max-Stromeyer-Str. und Bahnlinie geben, falls das Geld denn langt, und der Bodenseeradweg zwischen Wallhausen und Staad soll verständlicher beschildert und markiert werden.

Neben weiteren kleineren Maßnahmen soll 2021 natürlich auch weitergeplant werden, und da gilt es, einige dicke Bretter zu bohren. Das dickste wird sicher die dringend notwendige Umwandlung eines Kfz-Fahrstreifens auf der alten Rheinbrücke in einen Radweg, denn der bisherige Radweg über die Brücke ist eine pure Zumutung. Außerdem will sich die Verwaltung Gedanken über eine bessere Radverkehrsführung am Zähringerplatz machen und überlegen, wie sich die KFZs noch besser aus der Fahrradstraße in Petershausen heraushalten lassen. Zudem ist geplant, „weitere Dauerzählstellen für den Radverkehr einzurichten. Gemeinsam mit den Stadtwerken wird die Erweiterung des Transportradmietsystems TINK vorbereitet, und sofern die Corona-Situation es erlaubt, sollen gemeinsam mit Schulen Radschulwegpläne erstellt werden.“ Insbesondere für den Zähringerplatz bedarf es dringend einer sinnvollen Lösung, denn dort gibt es nicht einmal ausreichende Aufstellflächen für Fahrräder vor den stets roten Ampeln.

Stadt erhält Fördergelder

Nach Angaben der Verwaltung werden in Konstanz „innerhalb des Stadtgebiets deutlich mehr Wege mit dem Rad (und zu Fuß) zurückgelegt als im Bundesdurchschnitt“. Deshalb erhält die Stadt jetzt im Rahmen der Initiative „Radkultur“ vom Landesverkehrsministerium 20.000 Euro und legt selbst noch einmal 5.000 Euro drauf. „Ziel ist es, die Radverkehrs-Kommunikation weiter auszubauen und die Menschen vor Ort mit einem vielfältigen, bunten und spannenden Programm für das Radfahren im Alltag zu begeistern. Auf diese Weise soll in Konstanz eine fahrradfreundliche Mobilitätskultur nachhaltig gestärkt werden.“

Wahrscheinlich aber wären diese insgesamt 25.000 Euro in verbesserten zusätzlichen Fahrradabstellanlagen wie etwa einem schmucken Hamburger Häuschen wesentlich besser angelegt als in Werbeaktionen, denn am überzeugendsten ist noch immer die Propaganda der guten Tat.

O. Pugliese (Text und Bild)